Standort: fm4.ORF.at / Meldung: ""Da fängst du an, zu sinnieren""

Andreas Födinger

tourt(e) mit Bilderbuch, Beth Edges, Farewell Dear Ghost, Gerard uvm. durch die Länder, trifft dabei hochinteressante MusikerInnen

1. 5. 2015 - 21:29

"Da fängst du an, zu sinnieren"

Die österreichische Band Farewell Dear Ghost tourt China. Heute: Tourtagebuch, Teil 2. Peking.

Liebes Tagebuch,

Farewell Dear Ghost auf China-Tour:

30.04. Beijing, Sound of the Xity
01.05. Nanjing, Secco Bar
02.05. Shanghai, Yuyintang Club
03.05. Wuhan, Vox Club

Farewell Dear Ghost sind Philipp Szalay, Alex Hackl, Philipp Prückl und Andreas Födinger

Unterstützt durch das Österreichische Kulturforum Peking

während ich dir hier die folgenden bedeutungsschwangeren Zeilen auf die gin-geschwängerten Computer-Tasten dresche, kommt die famose Band gerade zurück ins Hotel, vom ersten Konzert: Peking. Lass es mich so sagen: euphorisch, shining bright like a diamond und nach ein paar Drinks hinter der Binde schreibt es sich ja auch leichter, die Zunge ist gelöst, die Finger fliegen förmlich.

Jedenfalls: es hat sich so Einiges getan, seit wir uns das letzte Mal lasen. Nach 10 Stunden Flug, in denen sich Rockstar Philipp Prückl drei Bierchen und zwei süffige winzerische Wunder hineinbetonierte, wurden die vier Herren straight outta plane von einem Chauffeur und einer Reiseleiterin in einen Bus verfrachtet, kurze Einführung, zack, hinein in die Peking-Sightseeing-Tour. Es fühlte sich ein bisschen an wie die Beatles damals am JFK-Airport, der jubelnden Menge wegtaumelnd und vom Flugzeug in die Limousine gebracht, nur halt ohne jubelnde Menge und nicht JFK, sondern Beijing. Jedenfalls, was soll ich sagen, null Stunden Schlaf, rauf auf die chinesische Mauer.

Farewell Dear Ghost rocking chinese Wall.

Andreas Födinger

Die Reiseleiterin geht auf der Maue ein

Wenn du deine Reiseleiterin atemtechnisch schon nach den ersten Stufen zurück lassen musst, fängst du schon mal an, zu sinnieren. Eine Stunde auf chinesschem Boden und schon hinauf gejagt auf die Mauer, dann diese, so ließ ich es mir sagen, berühmten Ming Tombs, dann verbotene Stadt, dann Mao-Mausoleum. Umringt von einer Horde wildgewordener Chinesen, die auf grundsätzliche Verkehrsregeln genüsslich pfeifen, ulkige bunte Schirmchen am Kopf spazieren tragen und zeitweise die tiefsten Innereien ihrer Körper nach oben geleiten und auf die Straße pracken. Was soll ich sagen: die Abendsonne ist derzeit klein und deprimiert eine Horde wildgewordener Männer. Du siehst keinen Himmel, den Vogel, wenn er fliegt, wähnst du auch nur von unten.

Farewell Dear Ghost and a lotta chinese people.

Andreas Födinger

Holzbrett, Würmer und Bienen

Nach Bezug des vielverspechenden Hotels gönnen sich die edlen Rabauken einen Schlenderer durch die Stadt, Reiseleiter Alex "das Holzbrett" Hackl empfiehlt uns eine dieser angeblich berühmten Nudelsuppen. Hinein ins pittoresk tapezierte Restaurant, zack, Suppe bestellt, die Farbe erinnert mich an das sanfte dunkelrot der Cola-Rot-Mischung, die ich so gern genieße. Also: ungesund. Und scharf. Unfassbar scharf. So scharf, dass es den Prückl fast umschießt. Das Leuchten seiner Augen verschwindet bis zu dem Moment, in dem die Iris Reißaus nimmt. Langsam dringt dann auch der Rauch aus Alex' Ohren, seine Lippen vibrieren wie ein Nokia, das übertrieben lange den Stromkreis schlucken durfte.

Farewell Dear Ghost catering.

Andreas Födinger

Als die Bande den ersten Tag, also den Day-off, in den Zimmern ausklingen lässt und Alex Hackl sein brettartiges Schlafgemach bezieht, fängst du wieder an zu sinnieren: Wien ist ja an allen Lebensqualitäts-Bestenlisten ziemlich weit vorne, du kannst aber Europa halt wahrscheinlich mit Asien auch nicht vergleichen. Hier inhalierst du Bienen, die fleißigen Nagetiere, die dir in ihren Käfigen Glasnudeln anbieten.

Die Schönheit der Chance

Aber damit will ich dich jetzt nicht zu lange aufhalten, machen wir beim wirklich Wichtigen weiter, next day, gig calling. Der erste der Tour, quasi der Tourstart. Jedenfalls, was soll ich sagen. Wir sind sprachlos. Als wir die Bühne nach den chinesischen Nine Inch Nails entern, deren Sänger im Bariton alle Vokale der Phonetik durchgeht, dreht das Publikum durch. Man versucht als Musiker ja ständig, den Hund nicht aus der Pfanne zu hauen und demütig, bodenständig und bescheiden zu bleiben. Aber was da abging, hab ich in Europa noch nicht erlebt. Die Chinesen und Chinesinnen gieren, sind euphorisch, tanzen, feiern jeden der noch so...nennen wir sie speziellen... Moves des Sängers Philipp Szalay. Das ganze Konzert ist ein einziger feierlicher Marsch. Mit hochhackigen Pumps und einem Pilum in der Hand und einer halben Portion Eis. Es ist wunderbar. Jedenfalls, was soll ich sagen. Dann fängst du wieder an zu sinnieren. Da fliegst du 8.500 Kilometer, schläfst die Länge einer Kontaktanzeige und dann wirst du gefeiert für das, was dich nie zur Ruhe kommen lässt. Wir fordern unseren Teil der Ernte ein.

Farewell Dear Ghost rocking the stage.

Felix Dicketmüller

Morgen geht es weiter nach Nanjing. Es ist jetzt drei Uhr früh, in vier Stunden läutet der vermaleidete Wecker. Ich hab den Hammer schon parat. Wir lesen uns später.