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Johanna Jaufer

Revival of the fittest... aber das war noch nicht alles.

30. 4. 2015 - 18:03

Selber schuld?

Was tun, wenn man arbeitslos wird? Arbeitsrechtsexperte Martin Risak im Gespräch über Tricks, Klischees und Flexibilisierung.

30. April, Tag der Arbeitslosen

Ein Special auf FM4

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  • Selber schuld? Was tun, wenn man arbeitslos wird? Arbeitsrechtsexperte Martin Risak im Gespräch über Tricks, Klischees und Flexibilisierung.

Mehr als 300.000 Leute in Österreich sind derzeit ohne Job. Soziale Initiativen und Vereine haben deshalb den heutigen Tag zum "Tag der Arbeitslosen" erklärt. Über den ganzen Tag gibt's dazu auf FM4 Berichte und Portraits von Arbeitssuchenden. In FM4 Connected war Arbeitsrechtsexperte Martin Risak zu Gast.

Martin Risak

Martin Risak

Was heißt denn das eigentlich, arbeitslos werden? Was ändert sich organisatorisch und was sollte man als allererstes tun?

Typischerweise heißt arbeitslos werden natürlich, dass man sein Erwerbseinkommen verliert – und am Erwerbseinkommen hängt im österreichischen System mehr oder weniger alles. Abgesehen davon, dass man davon natürlich seinen Lebensunterhalt bestreitet, hängt daran auch der Krankenversicherungsschutz. Das heißt: das erste, was man tun sollte, ist, sich arbeitslos zu melden. Das kann man auch machen, noch bevor das Arbeitsverhältnis vorbei ist.

Auf was muss man dabei unbedingt achten – Stichwort Rechte und Pflichten, die man hat?

Im Zusammenhang mit der Kündigung: Da läuft ja dann meistens eine Kündigungsfrist. Das erste ist – arbeitsrechtlich – man hat, wenn man von der Arbeitgeberin/dem Arbeitgeber gekündigt wird, Anspruch auf einen Postensuchtag pro Woche. Das heißt, man hat einen Tag frei – das ist das erste, was man während der Kündigungsfrist machen kann. Das zweite: Typischerweise wollen ArbeitgeberInnen, dass man Urlaub und Zeitguthaben abbaut. Dazu muss man wissen: Wenn man Zeitguthaben abbaut, sind diese Guthaben danach eigentlich Überstunden. Eigentlich sind die nachher also 150 Prozent wert. Das heißt: Ich würde zuerst Urlaub abbauen und dann Zeitguthaben, wenn überhaupt. Das sind so kleine Details, die man während der Kündigungsfrist beachten kann.

Was sind typische Fallen oder Fehler, die man in dieser ersten Zeit der Arbeitslosigkeit vermeiden kann?

Das erste, was man machen sollte, ist, sich arbeitslos zu melden. Das Arbeitslosengeld, diese Einkommensersatzleistung, steht nur auf Antrag zu. Und dann beginnt mehr oder weniger die Maschinerie zu laufen. Dann gibt's einen zuständigen Betreuer/eine Betreuerin, mit dem oder der man eine Art Betreuungsplan vereinbart. Dann muss man alles tun, um arbeitswillig zu erscheinen.

Was heißt das?

Das System ist schon so aufgebaut, dass das Arbeitslosengeld kein bedingungsloses Grundeinkommen ist. Sondern das gebührt nur dann, wenn man auf Arbeitssuche geht. Das heißt: Am Anfang macht man das eher selbstständig, und wenn das nicht funktioniert, kriegt man später halt auch vom AMS Jobs zugewiesen.

Oder Kurse...

Genau. Das ist die zweite Möglichkeit: man wird "requalifiziert". Gar nicht so selten dienen diese Qualifikationsmaßnahmen auch dazu, die Leute halt zu beschäftigen, zu schauen, dass sie etwas tun während dieser Zeit, wo sie arbeitslos sind. Was man nicht machen sollte: Vorstellungstermine versäumen, dort ganz besonders unkooperativ erscheinen, alkoholisiert aufkreuzen oder sowas. Wenn man die Stelle nämlich "vereitelt", kann einem das Arbeitslosengeld gesperrt werden. Dann bekommt man diese Leistung nicht.

Es gibt ja viele Klischees über Arbeitslose: "Schulabbrecher mit schlechten Sprachkenntnissen" und so weiter. Gibt es überhaupt so etwas wie den "typischen Arbeitslosen"?

Den gibt's wohl nicht. Arbeitslosigkeit bedeutet in unserem Konzept ja nicht, dass Menschen keine Arbeit haben. Sondern, dass sie keine Arbeit haben, die ein Erwerbseinkommen sichert. Es gibt ja zahlreiche Menschen, die nicht zu Erwerbszwecken arbeiten, und das sind ja auch Leute, die manchmal gerne als "stille Reserve" bezeichnet werden – Hausfrauen zum Beispiel: Wenn die Arbeitsmarktsituation schlecht ist, versuchen sie's unter Umständen gar nicht, nach dem Kind wieder einen Job zu finden, sondern bleiben gleich zu Hause. Da sieht man schon, hier verschiebt sich dann das Bild: Das ist nicht typischerweise "der übergewichtige Mann im Unterhemd mit der Bierdose im Park", sondern das kann genauso eine Person sein, die mit dem Kinderwagen durch die Straße geht.

Es gibt ja sehr viele unterschiedliche Forderungen: die nach 1.500 Euro Mindestlohn für Vollzeitbeschäftigung, die nach Arbeitsmarktöffnung für Asylsuchende etc. Was müsste sich an der Arbeitsmarktpolitik am allerdringendsten ändern?

Die Frage ist immer, worauf der Fokus liegt – woher kommt die Arbeitslosigkeit? Kommt die daher, dass die einzelnen Menschen nicht ausreichend tun, damit sie "beschäftigungswürdig" sind? Also eine Individualisierung des Problems. Oder ist es ein systemisches Problem, das ohnehin angelegt ist in einer Wirtschaftsordnung, die immer wieder zu Krisen führt und die Krisen führen dazu, dass es dann zu Arbeitslosigkeit kommt. Dann ist die Frage: Muss ich "nur die Leute requalifizieren" oder muss ich schauen, dass ein Wirtschaftssystem in irgendeiner Art und Weise auf Veränderungen reagiert? Es ist die Frage, worauf ich mich konzentriere: Tu ich nur die employaility der Leute anheben, oder schaue ich, dass ich aktiv Arbeitsplätze als Beschäftigungsmöglichkeiten schaffe.

Wie Sie gesagt haben: Es gibt ja auch Menschen, die wollen arbeiten, und finden aber keine Arbeit, oder welche, die arbeiten, können aber nicht davon leben...

Manche würden behaupten, es gibt in Österreich keine Arbeitslosigkeit, es gibt nur zu hohe Löhne. In einer liberalen Ansicht würde bedeuten, wenn man den Lohn herunterfährt, dann werden wir uns irgendwann keine Maschinen mehr kaufen, sondern werden wieder zu Hause jemanden zum Teller waschen anstellen. Die würden sagen: ein zu hoher Mindestlohn erhöht die Arbeitslosigkeit. Andere würden sagen: Wir haben ein humanistisches Menschenbild. Für jede Arbeit soll es in einer Gesellschaft einen vernünftigen Lohn geben, von dem man vernünftig leben und mitpartizipieren kann. Man sieht: Gerade hier scheiden sich die Geister natürlich sehr stark.

9,3 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind derzeit arbeitslos. Der höchste Stand seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben uns am heutigen Tag der Arbeitslosigkeit umgehört, wo die Probleme und vielleicht auch Gründe liegen für diese hohe Arbeitslosigkeit liegen könnten. Ein Betroffener hat uns gesagt, 'ich glaube, es liegt am Menschen selber, ob er arbeitslos ist oder nicht. Ob er was tun will in seinem Leben oder nicht'. Trifft das Ihrer Ansicht nach den Punkt?

Der hat das völlig internalisiert, was Arbeitslosen seit 20 Jahren vermittelt wird: Nämlich, dass sie selber schuld sind an ihrer Situation. Dass das nichts mit einem Wirtschaftssystem zu tun hat, dass das nichts mit einer krisengeleiteten Art und Weise zu tun hat, dass das nichts damit zu tun hat, dass die öffentliche Hand Ausgaben zurückfährt und Stellen abbaut. Das würde dann bedeuten: Der Beamte, der gekündigt wird, ist halt selber schuld, dass er gekündigt wurde, weil zu wenige Steuereinnahmen da sind und wir unser Geld lieber für Bankenrettungen in Kärnten ausgeben.

Gibt es auch so etwas wie eine positive Veränderung, wo man sieht, das geht vielleicht in die richtige Richtung?

Eine Debatte, die wieder verstärkt geführt wird, ist die Frage von Verkürzung der Arbeitszeit. Die war ein bisschen in den Hintergrund geraten, kommt aber jetzt wieder hervor, weil man sich sagt, okay, es kann sein, dass durch technologische Veränderungen Arbeit zumindest kurzfristig einfach einmnal weniger wird. Jetzt müssen wir uns überlegen, wer davon profitiert. Weil: Arbeit wird effizienter geleistet, also das Produktionsniveau das herauskommt, ist am Ende nicht weniger, aber weniger Menschen werden dafür verwendet. Und jetzt ist die Frage: wer gewinnt daran?

Die Idee der Verteilung der Arbeit auf mehrere...

Genau. Gerade vor dem ersten Mai – der war ja eigentlich der Kampftag der Arbeitszeit, des Achtstundentages, und das ist ja vor genau 125 Jahren genau so gedacht worden. Man hat damals gesagt: wir schauen doch, wenn wir Menschen haben, die sehr viel arbeiten, und Menschen, die nichts arbeiten, dass wir die Arbeit anders verteilen und dann alle ein vernünftiges Zeitausmaß haben und vernünftig davon leben können.

Was wäre denn Ihr Wunsch bezüglich positiver Veränderungen?

Wir führen permanent Flexibilisierungsdebatten. Und Flexibilisierungsdebatten zwar unter dem Focus "Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben", aber in Wirklichkeit ist das nur ein Etikellt, wobei man sich denkt, Menschen sollen sich einem Wirtschaftskreislauf anpassen und schauen, dass sie dort hineinpassen. Aus meiner Sicht würde sich positiv etwas verändern, wenn man mal schaut, wie ein Wirtschaftskreislauf dem Menschen gerecht gestaltet wird. Das würde aus meiner Sicht verstärkt in den Vordergrund gehören.

Also ein groß angelegter Paradigmenwechsel.

Ja.