Erstellt am: 30. 4. 2015 - 13:07 Uhr
Die Leere hinter dem Getöse
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Bevor hier ein falscher Eindruck entsteht: Die Typen, die da draußen auf urbanen Schlachtfeldern mit ihren futuristischen Waffen, Schildern oder mit bloßen Fäusten kämpfen, eingezwängt in etwas infantile Uniformen und Verkleidungen, die sind natürlich meine Vertrauten. Zumindest virtueller Natur. Beziehungsweise waren sie geistige Gesinnungsgenossen in einer Zeit, als das Internet noch kein Thema war und das Haptische regierte, als abgegriffene Hefte voller knallbunter Bildergeschichten stets aufs Neue verschlungen wurden.
Marvel
Irgendwann haben wir uns verabschiedet, die Avengers blieben in ihrem kindlichem, immer unübersichtlicherem Kosmos und ich marschierte in andere Richtungen, ließ mich vom Rock’n’Roll berauschen, von der Arbeit vereinnahmen, vom saftigen, greifbaren, wirklichem Leben mitreißen. Umso sentimentaler war dann das erwachsene Wiedersehen auf filmischen Wege, als sich unsere Pfade im dunklen Kinosaal erneut kreuzten.
Ich hätte 2012, als Übergeek Joss Whedon mit seinem ersten „The Avengers“ Epos die Welt eroberte, sofort ein Manifest für das Marvel-Kino verfasst und habe es in gewisser Weise auch getan. Wie viele andere auch faszinierte mich die Herangehensweise des Comicverlags, der zum Filmstudio mutierte, weil die Superhelden in all ihrer Mehrdimensionalität und gegenseitiger Vernetzung endlich ähnlich ernst genommen wurden wie in den Printvorlagen.
Neulich in „Avengers: Age Of Ultron“ wartete ich dann auf die Euphorie, das Fieber, das Einsetzen der Begeisterung. Und tatsächlich fegten mich etliche Momente wieder erwartungsgemäß hinweg, verfiel ich dem Charisma der Figuren und ihrer durchwegs in Topform agierenden Darsteller. Trotzdem blieb da ein leichtes Gefühl der Leere zurück, ein Vakuum klaffte hinter all dem pingelig inszeniertem Chaos und Getöse auf. Die Sackgasse, die bereits in Filmen wie „X-Men: Days of Future Past“ oder „The Amazing Spider-Man 2" spürbar war, beide von Marvel-Konkurrenzfirmen produziert, deutete sich nun auch im Reich der Rächer an.
Marvel
Im Auge des kapitalistischen Taifuns
Das Problem ist offensichtlich allgemeinerer Natur. Schneller-Höher-Weiter lautet die Parole des unbedingten Blockbuster-Maximalismus, der Hollywood in einem eiseren Würgegriff gefangen hält. Klarerweise kann sich das Comic-Kino, das mittlerweile den Hauptnachschub für die globalen Multiplexe liefert, dem gnadenlosen Wettbewerbsprinzip am wenigsten entziehen.
Ging die Gratwanderung, einerseits um jeden Preis brachialer und bombastischer als die Vorläufer und Konkurrenten zu sein und andererseits auf menschliche Chemie zu setzen, bislang im Hause Marvel relativ gut, beginnt die Maschinerie nun etwas zu stottern. Künstlerisch zumindest. Die Bemühungen von Joss Whedon, in das strikt durchformatierte Drehbuch von „Avengers: Age of Ultron“ Ruhepole und Brüche einzubauen, wirken schon beinahe angestrengt. Denn die nächste Actionsequenz lauert längst und der gefühlt mehrstündige Showdown gehört unumstößlich zum Konzept.
Dass ein kluger, sensibler Typ wie der 50-jährige Regisseur und Autor überhaupt mitten im Auge dieses kapitalistischen Taifuns überlebt, scheint ein Wunder. Aber nachdem Whedon die Comicfirma Marvel mit seinem ersten Avengers-Film in die Königsliga der Businessplayer katapultierte, durfte er noch einmal das Superhelden-Ensemble zu seinen Bedingungen dirigieren. Der sich unentwegt hochschraubenden Gigantomanie des Eventkinos kann er sich dabei trotzdem keine Spur entziehen.
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Die Welle rollt weiter
Während ich für meinen Teil also im Kino sitzend von einem Marvel-Blockbuster träume, der bewusst unspektakulär endet oder mir endlich einen Hulk-Spinoff-Film ausmale, in dem Mark Ruffalo ausführlicher glänzen darf, absolviert Joss Whedon die Aufgabe, zirka ein Dutzend Hauptfiguren, zahlreiche Nebenstränge und unzählige Insider-Zitate zu verknüpfen. Schließlich beendet „Age Of Ultron“ die zweite Marvelphase, verschiedene Storystränge der letzten beiden Jahre kreuzen sich.
Auch in dieser Hinsicht zeichnet sich eine Ermüdung ab: Die unentwegten Selbstreferenzen, die zu Beginn der ersten Marvelphase noch amüsierten, haben mittlerweile einen hermetischen Grad erreicht, der fast schon absurd anmutet. Kein Wunder, dass für Avengers-Quereinsteigerinnen der Film wie unbeabsichtiger Surrealismus daherkommt. Man mag sich „Avengers: Infinity War Part 2“, den übernächsten Teil und Abschluss der Saga anno 2019, nicht nur diesbezüglich nicht so gerne ausmalen.
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Bevor hier der Frust die Überhand gewinnt: Ich habe die Auseinandersetzung mit dem Maschinengott Ultron immer noch genossen. Auch wenn Robert Downey Jr., Chris Hemsworth oder die Neuzugänge Aaron Taylor-Johnson und Elizabeth Olsen in dem Dauersperrfeuer bisweilen verloren aussehen, der Film schafft es trotzdem, seinen angeknacksten Helden schöne Auftritte zu verschaffen. Und von einigen lakonischen Wortgefechten oder dem Charme von Scarlett Johansson zehrte ich auch noch, als ich erschöpft aus dem Kino taumelte.
Die Welle rollt bald weiter. Ohne Joss Whedon, der sich erstmal in Richtung Ruhepause verabschiedet. In der Phase Drei des Marvel Cinematic Universe warten Ant-Man, Dr. Strange, weitere Thor- und Captain America-Filme in der Pipeline, ganz abgesehen von dem erwähnten megafetten Avengers-Zweiteiler. Noch mehr Vernetzungen, Querbezüge, Marathonaction. Irgendwann wird es wohl zum Overkill kommen, bis dahin mischt sich die Euphorie erstmal mit etwas Ermüdung.