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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

28. 4. 2015 - 17:42

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 28-04-15.

Medienkompetenz ist der gezielte Umgang, die plumpe Verteufelung ihr Gegenteil.

#journalismus #verschwörungspraxis

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Schwer zu sagen, wer ärmer dran war.
Der Prediger, der heute früh in die U-Bahn einstieg und drei Stationen lang seine Weltsicht erklärte, angefangen mit seiner Hoffnung auf den EU-Austritt, die in eine Erklärung der Schlechtigkeit der Amerikaner und der dringenden Warnung vor der Falschheit der Medien mündet. Die würden nämlich nicht die Wahrheit sagen, weil sie die Interessen ihrer Besitzer vertreten.
Oder doch die Waggon-Insaßen, die sich diese Plattitüden mit einer Mischung aus höflichem Desinteresse und dem Versuch, die Ohren auf Durchzug zu schalten anhören.
Letztlich ist es der Prediger, weil er davon ausgeht in Besitz der Wahrheit zu sein. Und weil er in seinem von Verfolgung und Verschwörung geprägten Leben gefangen ist, 24/7, während für die Fahrgäste der Spuk nach drei Minuten vorbei ist.

Ich spreche noch kurz mit dem Mann, stelle Verständnis-Fragen (ich habe einiges rein akustisch nicht verstanden, war zu weit weg) und bin zwar auch erleichtert als er schnell abdreht und nicht weiter an einer Einzelüberzeugung interessiert ist, aber doch ein wenig enttäuscht. Einem echten Prediger mit einer echten Botschaft darf sowas nicht zu minder sein.

Ich hätte ihm von mir und meinen jugendlichen Medienerfahrungs-Anfängen erzählen wollen. Die fielen zwar in eine Ära jenseits der Hugo-Portisch-Nachkriegszeit mit ihrer feisten 50er-Jahre-Fratze, waren aber nicht weniger partei- und interessenspolitisch aufgeladen. Ich bin in weiten Teilen mit dem im Kern reaktionären (und nur an ungeliebten Rändern ein bissl liberalen) Bacher-ORF und mit Printmedien aufgewachsen, die man nur mittels Filtern überhaupt dechiffrieren konnte.

Das was der noch nicht von seiner Botschaft durchdrungene U-Bahn-Prediger, der sich fürs Einzelgespräch zu schade war, als neuzeitliche Erkenntnis, als exklusiven Erleuchtungs-Bonus verkaufen wollte, ist aber nicht nur ein ganz alter Hut. Die mediale Meinungs-Freiheit in Österreich ist, nicht nur - aber auch - wegen des leichten Zugangs zu digitalen Medien, sondern auch wegen einer Vielzahl von (im Vergleich zu meiner Jugend deutlich) liberaleren Medien und Verlagen, größer denn je zuvor. Inklusive der freiesten ORF-Newsberichterstattung aller Zeiten (was nicht heißt, dass es nicht noch besser und vielfältiger gehen würde).

Die Schere im Kopf des Predigers und anderer, die entweder offen oder klammheimlich seiner Meinung sind, entsteht dadurch, weil ein Faktor mit dieser Entwicklung nicht mithalten konnte: die der Medienkompetenz.
Die ist, relativ gesehen, nämlich sogar zurückgegangen, quasi reaktiv.

Wurden viele Österreicher und -innen früher nämlich durch die deutlich ausgeschilderte Parteilichkeit der Medien quasi gezwungen, zwischen den Zeilen lesen zu lernen, sich Medien-Leuchtürme ihres Vertrauens zu suchen, suggeriert die digitale Vielfalt für eine neue, unpolitisch sozialisierte Generation an neuen Medienkonsumenten, dass dies gar nicht grundsätzlich notwendig wäre. Und weil es trotz jahrzehntelanger Ankündigungs-Politik Medienkompetenz in der Erziehung, also vor allem in den Lehrplänen zentral zu verankern, nur bei Gerede bleibt; weil die heimische Medien-Politik es zwar versteht Behörden zu installieren, aber über keinerlei öffentlichen Gestaltungswillen jenseits kleingeistiger Eigeninteressen verfügt, verfügten Menschen ohne eigenen gesellschaftpolitischen Antrieb über kein Instrumentarium, mit dessen Hilfe sie medienkompetent konsumieren können.

Was angesichts der Komplexität global zusammenhängender Ereignisse fatal ist und dazu führt, dass die Inexistenz von Medienverständnis die vielen Prediger dazu verleitet die Verteufelung jeglicher medialer Äußerung für praktisch angewandte Medienkompetenz zu halten. Man schüttet also das Kind mit dem Badewasser aus, weil man nicht zu schwimmen gelernt hat.

Heute Mittag plädierte dann der geschätzte Ausnahme-Journalist Armin Thurnher auf einem Podium zur Medienzukunft für die Vermittlung von Medienkompetenz, und zwar auch jenseits der wohl auch ihn nervenden Sonntagsreden, in der aktivsten Praxis. Er hätte da gern zur Hauptsendezeit auf ORF2, um 20.15 Medienmagazine, die aktuelle Fragen diskutieren. Meint damit sein Medien-Quartett auf Okto, dessen prinzipiellen aufklärerischen Gestus sicher niemand, dessen Teilnehmerschaft man aber - qualitätssicherungstechnisch - schon auch beeinspruchen müsste. Der Vergleich ist zwar schief as fuck, weil 20.15 in etwa dem Falter-Cover entspricht, das Medienthemen, wenn überhaupt, auch maximal boulevardesk anreißt, aber egal. Im Prinzip ist der Gedanke schon richtig, Ich glaube allerdings, dass es zu spät ansetzt.
Denn die vielen Prediger und die, die bereits in innere Medien-Immigration gegangen sind, werden über die Medien selber nicht mehr erreicht.

Was bleibt, ist der Appell an die Selbstoptimierung:
"Büffeln Sie doch mal ein wenig Medienkompetenz!" sagt der Text, der mich zum Eintrag letzten Freitag verleitet hat.
Es würde sich auszahlen, sagt dieses Beispiel: Genau 5 tägliche Klicks haben die angeblich geheimen Dokumente, die die EU-TTIP-Verhandler offen ins Netz stellen, Panier-Aprilscherze, die auch Parteichefs zum EU-Bashing dienten, kriegen hundertausende.

Es ist schließlich deutlich einfacher in der U-Bahn Gemeinplätze zu predigen als sich durch die komplexe neue Informationswelt zu wühlen. Ganz ohne entsprechendes Navi ist das zunehmend eh sinnlos.