Erstellt am: 29. 4. 2015 - 15:12 Uhr
You can start making games today!
21st Century Entertainment
Computer haben eine magische Anziehungskraft, hat man erst mal ihr Potenzial begriffen. Schon mit ein paar Zeilen Code kann man mit eigener Hand Dinge auf den Bildschirm zaubern und sie bewegen. Anfang der 90er Jahre hatte ich mein diesbezügliches Erweckungserlebnis als ich mit Hilfe eines Hex-Editors Programmdateien von "Pinball Dreams" durchwühlt habe. Dort war zwischen viel unentzifferbarem Kauderwelsch auch normaler Text versteckt, Text, den man einfach so ändern konnte. Nach ein paar Versuchen stand im Spiel bei den Flippern dank meines Eingreifens dann nicht mehr "21st Century Entertainment presents Pinball Dreams" sondern "Presented by Robert, Greetings to Markus and Leo" oder ähnliches. Faszinierend!
Der unausweichliche Indie-Fürsprecher und notorische Dauerreisende Rami Ismail vom niederländischen Studio Vlambeer erzählt in der aktuellen Doku "GameLoading - Rise of the Indies" eine ähnliche Geschichte. Er hat als Kind auf dem DOS-PC seines Vaters das der Einsteiger-Programmiersprache Q-Basic beigelegte Programm "Gorillas" gerne gespielt und irgendwann den Code modifiziert. Sein Weg ins Wunderland war geöffnet. Hat bei mir die Begeisterung für Computer und ihre Spiele das professionelle Schreiben über Games angestoßen (mein Programmiertalent war nur mäßig ausbaufähig), ist sie bei Rami Ismail in eine Karriere des leidenschaftlichen Spielemachens geflossen. Sehr viele Menschen, die heute in den weiten Bereichen von Games, Netzkultur und IT arbeiten, hatten ähnliche Schlüsselerlebnisse. Wie stark und lange die Leidenschaft anhalten kann, wenn man dabei genau das tut, was man wirklich will, davon erzählt die Doku "GameLoading - Rise of the Indies" anhand unterschiedlicher Protagonist/innen.
Indie-Games damals und heute
Indie-Games sind nichts Neues, eigentlich gab es die erste große Welle schon Anfang und Mitte der 80er Jahre, als die Urversion der Games-Industrie (Atari, usw.) zusammgenbrochen ist und die offenen Heimcomputer eine Weile die geschlossenen Spielkonsolen klar übertrumpften. Die damalige Technik und ihre Möglichkeiten waren überschaubar, dementsprechend war der personelle Aufwand für das Gestalten und Produzieren eines professionellen Spiels auch für eine Einzelperson durchaus machbar. Zehn Jahre später wurde dann aber alles wieder größer und aufwendiger, die Games-Industrie und ihre Entwicklerteams sind erneut gewachsen, alles ist komplizierter geworden. Indie war dann bis Mitte der 00er Jahre kaum ein Thema, doch dann hat die Vielfalt zugeschlagen: Viele Menschen wollten nicht mehr nur technisch aufpolierten Fußball, Rennspiele und Fantasyschlachten, sondern neue Ideen, kreative Spielmechaniken und allgemein andere Zugänge zum Medium Computerspiel.
Dieser wichtige historische Abriss wird in "GameLoading" allerdings nur gestreift, die Indie-Games-Veteranen Don Daglow und John Romero kommen in kurzen Ausschnitten zu Wort. Danach geht es sofort über zu den sympathischen Stars der Jetztzeit: Junge Männer und Frauen mit bunten Haaren, die die Möglichkeiten des kreativen Arbeitens mit Computern und Code erkannt haben und nun überzeugt sind, dass sie damit ihre Einfälle und Geschichten viel besser und vielseitiger erzählen können als mit anderen Erzähl- und Darstellungsformen. Ein loser roter Faden ist dabei die Geschichte des Entwicklerduos Davey Wreden und William Pugh, die Macher des famosen "The Stanley Parable". Wir begleiten ihre Reise von der Fertigstellung des Spiels über die Präsentation auf Gamesmessen bis hin zur renommierten Awardshow, bei der das Spiel nomiert ist.
"Spiele zum Schauen" - Kurzrezensionen zu weiteren Games-Kultur-Filmen auf fm4.ORF.at.
Abgesehen von diesem Begleiten, das ein bisschen an den bereits 2012 erschienenen Film "Indie Game: The Movie" erinnert, gibt es wenig zusammenhängende Stränge in "GameLoading". Viele bekannte Szenegesichter erzählen von ihrer persönlichen Faszination mit Computerspielen, die Freude des freien Gestaltens und den kreativen Austausch in der Indie-Games-Welt. Kommunikation sowie Friede, Freude, Eierkuchen ist dabei alles: Die Kameras zeigen kaum einen Moment des Alleinseins, immer sind Freunde, Kollegen, Gleichgesinnte ringsum zu sehen: in der WG, bei der Gartenparty, auf nichtkommerziellen Spielefestivals (etwa Game City in Nottingham oder Fantastic Arcade in Austin), bei Game Jams im Zug nach San Francisco zur Game Developers Conference. Off-Stimme gibt es keine, die Bilder und Originaltöne der Interviewten stehen für sich.
Porträt der Sichtbaren
StudioBento
So mitreißend die Dynamik der unkonventionellen SpielemacherInnen ist, die sich gegen den aufdringlich marktkonformen Games-Mainstream stemmen, so wenig Details erfahren wir über die Hürden und Notwendigkeiten, die das unabhängige Entwickeln von Spielen mit sich bringt. Zwar fallen Kommentare wie jene, dass sich Indies meist verunsichert von einem Projekt zum nächsten hanteln, in der Hoffnung, weiterhin seine Visionen umsetzen zu können und dabei auch die Miete bezahlen zu können. Doch der emotionale Zugang wird nie von konkreten Beispielen und Begehrlichkeiten untermauert, der Alltag der Interviewten bleibt vage und wird nur angedeutet.
Darüber hinaus sehen wir zumeist nur Gesichter, die bereits über ausreichend Medienaufmerksamkeit verfügen. Das ist angesichts der Tatsache, dass ein Film durch bekannte Köpfe attraktiver wird, verständlich, andererseits steht es dem Wesen der dargestellten Indie-Welt entgegen: dass sich nämlich alle gemeinsam und gleichwertig in einer Community tummeln würden. Im Laufe des Films wird man den Eindruck aber nicht los, dass der innere Indie-Zirkel doch recht klar abgesteckt zu sein scheint und sich auf zwei, drei Dutzend Leute beschränkt. Auch lässt "GameLoading - Rise of the Indies" nur englischsprachige Menschen (oder solche mit sehr guten Englischkenntnissen) zu Wort kommen. Bei einem überschaubaren Filmbudget (zwei Crowdfunding-Kampagnen haben knapp 120.000 US-Dollar eingebracht) sind ausgiebige Reisen nach Afrika oder Asien vielleicht nicht drinnen, doch auf den einschlägigen Konferenzen Besucher/innen aus anderen Kulturkreisen zu interviewen und Übersetzer/innen zu engagieren, wäre bestimmt möglich gewesen.
Just make things!
"GameLoading: Rise of the Indies" ist bereits veröffentlicht, wird digital vertrieben und ist etwa auf Steam erhältlich.
Im direkten Vergleich zu "Indie Game: The Movie" hat "GameLoading: Rise of the Indies" trotz viel gezeigter Leidenschaft und schöner Bilder klar das Nachsehen. Hier wird wegen der vielen Interviewten der Eindruck eines repräsentativen Überblicks suggeriert, der aber in Wahrheit doch nur ein recht oberflächlicher Ausschnitt ist und die am stärksten sichtbare Szene zeigt. Allerdings wird das Wesen von Indie-Games, die Politik und Philosophie dahinter, eindringlich vermittelt und glaubhaft dargestellt. Die gezeigten Frauen und Männer, die über ihre andersartigen Spiele und deren sozial-kommunikative Stärke sprechen, sind Pionier/innen, von deren Experimentierfreudigkeit die geldgetriebene Spieleindustrie mehr profitiert als ihr zusteht.
"GameLoading: Rise of the Indies" ist zwar inhaltlich nicht mehr als ein grober, subjektiv gestalteter Überblick über eine verblüffend vielseitige internationale Kreativgemeinschaft. Die große Stärke des Films aber ist, dass er mitreißt und dazu anregt, seinen eigenen, persönlichen Visionen mehr nachzugehen.