Erstellt am: 27. 4. 2015 - 15:14 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 27-04-15.
#journalismus
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Am Anfang stand das Zitat der neuen Co-Chefredakteurin von News: "Nur ein Interview führen und abdrucken, wird es künftig zwar auch geben, aber darüber hinaus viel mehr echte Geschichten mit gleichzeitiger Tiefe und Breite im Thema."
Sätze wie diese lassen mich immer eine Spur leichter in den Medientag steigen. Nicht nur, weil das Interview an und für sich, seine Auslappung ins Gespräch oder die Unterhaltung sowie die zunehmende Sinnlosigkeit des herkömmlichen Interviews in egal welchem Medium ein ewiges Abarbeitungs-Thema ist, sondern weil jede Erweiterung rund ums Nachdenken über diese journalistische Form dringend Not tut.
Ich will nun nicht das seit diesem Wochenende wirklich neue News (das sich vom ersten, noch nicht durch Layout und Kolumnen deutlich gekennzeichneten ersten neuen News von vor zwei Wochen überraschend wenig unterscheidet - aber es gilt zuzuwarten um Entwicklungen mittelfristig aufzuspüren; nicht immer stimmt der erste Eindruck) an dieser Aussage messen. Ich möchte niemanden anstinken oder vorführen. Schließlich sind wir Medienmenschen alle seit gefühlten Jahrzehnten an eine ganz bestimmte Interview-Gesprächskultur gewöhnt und eine Loslösung von rituellen Gepflogenheiten ist ein mühsamer Prozess.
Dieser Prozess in eine noch sinnhafte Medien-Zukunft verlangt, dass das Interview, das Gespräch seine grundsätzlich lineare Form verlassen muss (oder: müssen darf), wenn es nachzuhaken/-fragen gilt. Da wird es auch für Print-, Radio- oder TV-Interviews nötig sein die im Web schon technisch mögliche Vertiefung oder quasi einen Second Screen einzuziehen. Was nur in der Ausnahme der Live-Situation (egal ob im Flash-Interview aus dem Streif-Zielraum oder im aktuell gestrickten Politiker-Statement-Abholdienst) nicht funktionieren wird - aber schon bei gut vorbereiteten Live-Talks (etwa im Sommergespräch) klappen kann.
Dazu braucht es eine (offen ausgewiesene) Doppelbesetzung: einen Gesprächspartner, der den Dialog, den Fluss aufrecht hält und den Researcher, den Datenjournalisten, der Behauptungen checkt (in Echtzeit) aber auch Ausfluchtstricks, Ebenenhopping etc. einfangen soll. Den Checker gibt es durchaus schon, im TV-Bereich, meist aber nur als Stimme im Ohrknopf, die dem eigentlichen Interviewer Möglichkeiten anbietet (Print rückt auch zunehmend gerne mit zwei Fragestellern aus, klare Rollenverteilungen erlebt man dort aber selten).
Die Rolle des Checkers und Infragestellers wird aber, sollte das Interview eine journalistische Zukunft haben wollen, dramatisch aufgewertet werden müssen. Andernfalls wird das Interview in die Untiefen der Hofberichterstattung absacken - und sich auf dem, Level der allermeisten aktuellen Kultur-, Sport- und Wirtschafts-Interviews einpendeln, in denen die Medien eh nur noch Stichwortgeber für Selbstdarstellung sind.
Ein Beispiel. Und es ist das Beispiel des Interviews, das ich direkt nach dem News-Sager gelesen habe, quasi ein Chatroulette-Schicksal, eines, da in der Presse am Sonntag mit Heinz Palme, dem österreichischen Fußball-Logistiker und Sicherheitsexperten, der seit drei Jahren in Katar bei der ICSS (und damit direkt und indirekt auch für Regierungsstellen und die anstehenden Sportgroßereignisse) arbeitet. Es ist ein ungemein aussagekräftiges Interview, ein good-practice-Beispiel also, das aus den linearen Möglichkeiten des alten Modells Interview das Beste macht.
Das Interview der Zukunft würde aber anders ablaufen. Der Gegenchecker müsste z.B. nach der zweiten Antwort auf die Meta-Ebene gehen und nachfragen wieso Palme in seiner ersten Antwort (Thema: andere Kultur/Mentalität) gesellschaftlich relevant auftritt, nach einer leise-kritischen Zwischenfrage dann aber auf die persönliche Ebene wechselt und sich so um die Fortführung seiner eigenen These drückt.
Nach seiner dritten Antwort wäre die Frage nach der Beschaffenheit des "wirklichen Elend", das nicht unter der katarischen Gast-/Wanderarbeitern sondern "in Südafrika" herrsche, das Palme 2010 besucht hat, dringend angestanden.
Palme ist (nicht einmal nur zwischen den Zeilen) sowieso deutlich hörbar der Meinung, dass kurze Entscheidungswege, wie sie in autokratischen Regimen oder restriktiven Diktaturen wie der katarischen Monarchie herrschen, rasche Umsetzung und restriktionsfreie Geschäftsoptionen nach sich ziehen und somit der Praxis in anderen Ländern, wo "politische oder gesellschaftliche Gegebenheiten" das verlangsamen, vorzuziehen sind. Will sagen: Demokratie und Mitbestimmung lähmt. Und bringt - wie im Fall Südafrikas - dann auch noch größeres Elend.
Eine direkte Ansprache dieser hinter Palmes Worten stehenden Philosophie hätte dem Gespräch ein wenig Leerlauf zwischen Antwort 3 und 6 erspart. Und weil Palme kein Stratosphärenspringinkerl mit Sehnsucht nach dem guten Diktator, sondern ein reflexionsbegabter Vielgereister ist, wäre dieser Ansatz auch möglich.
Zudem wäre der Palme'sche Vergleichsmodus (das Elend ist anderswo noch viel größer) dann auf die Reaktion auf Frage 7 (wo Palme sich auf den Korruptions-Vorwurf bei der Vergabe der WM 2022 angesprochen gleich in eine Schnurre von der EM-Vergabe 2004 begibt, wo angeblich Portugal auch ein Bewerbungsbudget hatte, das auffällig größer war als das Österreichs) schon im zweiten Beispiel noch deutlicher herauszustreichen gewesen.
Anstatt sich zum Interview-Ende auf die visionslose österreichische Sport-Politik zu einigen (wofür ein Experte wie Palme eigentlich zu schade ist, das ließe sich selbst mit Andi Ogris belabern) wäre ein Interview, wie es die Medien-Zukunft bedingen wird, in einen Ideenabtausch um Sportveranstaltungs-Ethik und die Rolle von Premium-Unterhaltung als Herrschafts-Mittel geraten. Womöglich mit einem good und einem bad cop, was die Rollenverteilung der Interviewer betrifft.
Im Gegensatz zum herkömmlichen, längst überkommenen Interview, wo der ums Gespräch Ansuchende sich durch den naturgegebenen Nachteil nirgendwo substanziell einhaken zu können, weil hektisches Themen-Abgrasen das verhindert, fast automatisch der Kumpanei schuldig macht, und weder eine These transportiert, noch eine umfassende Vertiefung und Verbreiterung (siehe oben) greift, kann, wird und muss das Medien-Gespräch der Zukunft mehr als nur einen Blickwinkel erfassen und bereits in the making vertiefend geführt werden; was im Regelfall Verhaberung ausschließt.
Das Palme-Interview sollte ja nicht dazu dienen, Menschen vorzuführen, nur weil sie eine wirtschaftsorentierte, autokratiedienliche Meinung haben. Es muss aber die dahinterstehende Denkungsart ausleuchten, das "Warum" klarmachen und die Unterschiede des gesellschaftspolitischen Ansatzes verdeutlichen. Palme ist kein an Sprechdurchfall leidender Promi-Tourist, sondern ein im Kulturraum Ansässiger, also jemand, der dortige Usancen bereits verinnerlicht hat; die auszustellen ist Pflicht eines Interviews mit ihm. Wenn es mehr als nur ein Interview sein soll.