Erstellt am: 27. 4. 2015 - 10:31 Uhr
Rebuilding The World
In der programmbegleitenden Broschüre zum diesjährigen Donaufestival erklärt Kurator Tomas Zierhofer-Kin sehr schön den selbstgewählten Auftrag des Festivals für zeitgenössische Kunst in Krems.
Die Neugründung des Abendlandes
Donaufestival, Tag 1: Stars of the Lid, Carter Tutti Void, Ben Frost, Gazelle Twin, James Holden.
Into the Void
Der Samstag beim Donaufestival Krems: Grouper, Battles, Helena Hauff, patten und mehr.
An zwei Wochenenden haben wir KünstlerInnen aus sehr unterschiedlichen Genres in Krems versammelt, deren Arbeiten das Potential in sich tragen, Welterklärungsmodelle in Frage zu stellen, tradierte Strukturen zu attackieren aber auch die Kraft besitzen, utopische, neue Gedanken- und Erlebnismodelle zu evozieren.
Mit bemerkenswerter Mühe bildet das Donaufestival Jahr für Jahr die momentan aufregendste Sub-Kultur-Pop-Lava ab. Super-integre Leute, die der oben beschriebenen Losung des Donaufestivals meist ambitioniert nachkommen. Allerdings ist die Abbildung augenblicklicher Euphorie - oder sagen wir ganz einfach Hypes, nicht ganz unproblematisch.
David Visnjic
Beispiel: Vor zwei Jahren porträtierte das Donaufestival das Tri Angle Label. Damals war diese kleine Plattenfirma der Nabel in der Witch-House-Aufregung. Gebucht und dann am Donaufestival aufgeführt wurden Tri Angle Acts wie etwa Forest Swords oder Haxan Cloak - zu einer Zeit, als diese Genre-Etikette höchst aufregend gehandelt wurde. 2015 ist der Musiker Haxan Cloak eine etablierte Marke, aber die heißen Slots sind gespielt und wenn er nicht irgendeinen schlauen Haken schlägt, muss er sich wohl in den nächsten Jahren um einen etwas konventionelleren Broterwerb umsehen.
Denn frische Elektronik-Abstrakt-ForscherInnen wie Gazelle Twin oder Arca sind die neue Lava. Live porträtiert werden sie am Donaufestival. Nun ist dieses schnelllebige Prinzip primär nichts Fremdes im Popgeschäft. Aber dass sich turbokapitalistische Gesetzmäßigkeiten besonders in der alternativen Pop-Subkultur, die meist schon zu einem gewissen kritischen Streben neigt, radikal abbilden, ist bemerkenswert.
Der österreichische Musiker, Komponist und Schriftsteller Hans Platzgrumer weiß dieses Phänomen zu kommentieren.
David Visnjic
"Seit den Neunzigern ist diese Entwicklung zu erkennen und sie wird von Jahr zu Jahr immer rasanter, sodass man den Eindruck bekommt, dass Themen, die momentan groß gehypt werden und wirklich gut sind, nicht erst in einem Jahr niemanden mehr interessieren, sondern schon in einer Woche. KünstlerInnen werden zu früh groß gemacht und man merkt, dass sie eigentlich noch gar nicht fertig sind. Die sind noch lange nicht am Punkt, werden aber so dargestellt, als wären sie schon am Punkt. Und dann, wenn sie vielleicht noch weiterkommen würden, haben sie keine Chance mehr, weil schon andere da sind."
Das Donaufestival hat daran keine Schuld. Ganz im Gegenteil, es kommt seiner illustrierenden Aufgabe nach. Und deshalb wird so viel Wert auf Nachdruck durch Wiederholung in der Programmierung des Festivals gelegt. Das ist der Grund, warum Acts beim Donaufestival oft wiederkehren. Kurator Zierhofer-Kin weiß viel darüber zu berichten, wie darwinistisch und erbarmungslos Agenten ihre jungen spannenden KünstlerInnen verkaufen: "die ganze Investment-Blase ist nichts dagegen".
Überleben kann solch ein System natürlich auch nur, wenn es ein Publikum gibt, welches immergeil und hungrig nach frischen Kicks verlangt. Schuldig sind also wir alle.
Angriff durch Wiederkehr, Evolution durch Beständigkeit
Mit Beständigkeit und Entschleunigung versucht das Donaufestival den Fast Food-Zeitgeist auszubalancieren. Beispielsweise mit den Musiken des gerade zitierten Hans Platzgumer. Der stellte in Krems seine neuen Kammer-Folk-Musik-Miniaturen vor, die in ihrem Gestus völlig aus der Zeit fallen und damit gleichzeitig wieder Reaktionen auf momentane Unbehaglichkeiten oder Ratlosigkeiten abbilden.
Pipilotti Rist
Eine Verwandte im Geiste, die Schweizer Medienkünstlerin Pipilotti Rist, unterstützte Platzgumer dann auch im Rahmen einer raumgreifenden Videoinstallation. Die Kunsthalle Krems präsentiert ja seit dem Frühjahr die bisher größte Einzelausstellung von Pipilotti Rist aus dreißig Schaffensjahren. Die Ausstellung thematisiert "Das Wesen der Liebe" meint Kollegin Alexandra Augustin.
Und während ich mit Hans Platzgumer ein wenig bange in die popmusikalische Zukunft blickte, besuchte Kollegin Katharina Seidler das Rimini Protokoll.
Rimini Protokoll
Zwanzig Personen, nicht mehr und nicht weniger, müssen an "Situation Rooms" von Rimini Protokoll teilnehmen, sonst funktioniert es nicht. Der Andrang ist groß. Die Besucher bekommen jeweils ein iPad in die Hand, setzen sich die Kopfhörer auf und halten sich von nun an an die Anweisungen auf dem Bildschirm. In einer Halle hat die Künstlergruppe ein riesiges Areal aus zahlreichen Räumen gebaut, in denen man sich unter wechselnden Namen bewegt.
David Visnjic
Die Rollen, die man als Mitspielende einnimmt, haben alle auf die eine oder ganz andere Art etwas mit der Waffenindustrie zu tun. Man spielt den Chef einer Bank, die Waffenproduktionen in Millionenhöhe unterstützt, ist Chirurg in einem Kriegslazarett, wird zum verwundeten Flüchtling oder zur Greenpeace-Aktivistin. Man begegnet anderen Spielern, schüttelt ihnen am Konferenztisch die Hand oder verarztet sie im Lazarett. Die Zimmer und Gänge sind sorgfältig gestaltet, es ist unterschiedlich warm und kalt, es riecht nach Essen, es gibt echte Suppe und heißen Tee, der Strom fällt aus. Das Staunen über die Makellosigkeit dieser Videospiel-Welt bleibt einem angesichts der realistischen Erzählungen und Nachstellung von Schicksalen, deren Geschichte von Waffen geprägt wurde, oft im Hals stecken.
Rebuilding Everything
Zwei Programmpunkte dominierten noch den dritten Tag des Donaufestivals. Die großen Donner-Blueser Godspeed You! Black Emperor und klingt.org.
Der österreichischen Website klingt.org wird in Krems viel Spielzeit zur Verfügung gestellt. Sie wurde im Jahr 2000 von Dieter Kovacic alias dieb13 gegründet, um Musikschaffenden experimenteller Musik eine virtuelle und auch geistige Heimat anbieten zu können.
David Visnjic
Und klingt.org leistet fantastische Arbeit, denn entscheiden sich KünstlerInnen ihre Überlegungen und Befindlichkeiten in abstrakten Noise-Elektronik-Variationen auszudrücken, dann werden sie in der Regel nur mit dem köstlichen Gefühl der Masturbation bezahlt. Deshalb ist das Donaufestival jedes Jahr für eine Handvoll Stunden so eine große Erleichterung, wenn etwa Multiinstrumentalist Oliver Stotz in angemessenen Rahmen Steve Reich interpretieren kann oder Tony Buck, John Butcher und Burkhard Stangl einen psychedelischen Free-Free-Jazz-Dschungel anzünden.
Und dann in der Nacht kamen die Superstars des dritten Donaufestival-Tages. Die kanadischen Apokalyptik-Rocker Godspeed You! Black Emperor.
David Visnjic
Your Festival Radio
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Die haben ja besonders mit ihrem emotional intensiven und fragilen Soundtrack zu Danny Boyles Zombie-Meisterwerk 28 Days Later breite Aufmerksamkeit erregt. Mit Eleganz, langsamen Bewegungen und Besonnenheit bauten sie, wie zu erwarten, ein kauziges Sound-Königreich aus Donner, katatonischem Futurismus-Blues und milder Versöhnlichkeit. Ein hymnischer Abschluss des ersten Donaufestival-Wochenendes.
Fortsetzung findet das Donaufestival in Krems ab Donnerstag 30. April. Musikalisch wieder programmiert zwischen Experiment Pop, Elektronik und Ambient/Doom. Leute wie Holly Herndon, Clark, Alva Noto, Arca oder Autechre wurden eingeladen.