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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

26. 4. 2015 - 17:01

Zwischen den Orten

Der Song zum Sonntag: Leyya - "Superego"

Nahezu schwerelos wollen wir uns fortbewegen. Fort. "Float" - so lautet gleich das erste und deutlich akzentuierte Wort im Song "Superego". Treiben, schweben, gleiten. Das österreichische Duo Leyya setzt die im Text gestreiften Motive auch in der Musik um. "Superego" ist ein in den Morgennebel gehauchtes Stück elektronischer - ja, ohne falsche Scham - Sehnsuchts-Pop. Weich entfahren dem Synthesizer die Töne, gerade so, als wären sie das ganz teure Parfüm, gleich schon sind sie verflogen.

Bald ist in dem Lied von den sterblichen Überresten - "my mortal remains" - der Erzählerin die Rede. Ist hier schon jemand aus dieser, unseren, schnöden Welt geschieden? Gleitet ein Gespenst durch die Häuser der Vergangenheit, wirft letzte Blicke auf die eigenen verblassenden Erinnerungen? "We Store Our Memories For Leaving Them Behind At This Time", heißt es am Ende der ersten Strophe des Songs.

Leyya

Leyya

Das Eine - die Eine, den Einen - lassen wir zurück, neue Wünsche, Bedürfnisse und, groß gedacht: Hoffnungen liegen in der Zukunft. Vieles wird nicht gelingen, an viele Ziele werden wir nie gelangen: "Caught In A Basement Of Aims, Built Way Too High, Too Far".

Das titelspendende "Superego" kommt im Song selbst nicht vor, ist der gesamte Text, der gesamte Song eine Manifestation des Über-Ichs? Die laut Freuds Psychoanalyse im Menschen installierte moralische Instanz, höchsteigener Zensor und Waage von Wert- und Normvorstellungen?

Es wird hier also überlegt und hin- und hergezaudert zwischen dem, was man will oder meint, möglicherweise zu wollen, und der eventuell vernünftigeren, eventuell öderen Option. Superego - vielleicht hat die im Song sprechende Person auch bloß ein besonders ausgeprägtes Selbstwertgefühl und stellt bevorzugt das eigene Verlangen über das, was andere so tun, fühlen und denken mögen.

Ein Beat, der betont hölzern, "organisch" und erdverbunden klappert, durchzieht den Song und verankert ihn bei allem Fliegen und Fliehen wieder am Boden der Welt. Bisweilen scheint er ein Händeklatschen nachzustellen - das ist ein Geräusch, das von Menschen hergestellt wird. Ein kurzes, vokabelloses, leid- wie lustvoll verpitchtes Stimmhook, wie am prächtigsten Charts-R'n'B geschult, verleiht dem sonst so entrückt und distanziert durch den Tag treibenden Stück ein funkelndes, greifbares Pop-Moment.

Am Ende wird gefallen:"I Hold On To My Rails / But I Lose My Grip". Orientierungslosigkeit, Sinnsuche, Abschied, Transit. Ein rätselhaftes kleines Lied, das nicht zu viel verrät und auch nicht zu lange dauert. Ein perfekter Popsong, aus dem diese verflixten Dilemmas der Existenz mit einer selten gehörten Leichtigkeit und vage wie das Leben zu uns sprechen. Und dann geht der Wind.