Erstellt am: 26. 4. 2015 - 15:10 Uhr
Into the Void
Wenn beim Donaufestival eine Band wie das amerikanische Trio Battles mit ihrem nervösen Mathematiker-Rock auffährt, dann muss sie im Gesamtzusammenhang des Festivals mittlerweile schon als der Popact im Programm gelten. Bei aller Güte und wichtiger Strenge, bei aller toller Abstraktion, interessanter Zukunftsforschung und bei allem slicken Minimalismus kann es mittlerweile doch vorkommen, dass man sich zwischen all der dunklen Drone-Musik, zwischen Doom-Techno und in Gletscherspalten aufgenommenen Field Recordings so etwas wie eine schnöde Indieband auf die Bühne wünscht. Mit Gitarren und greifbaren Menschen.
Die Neugründung des Abendlandes
Donaufestival, Tag 1: Stars of the Lid, Carter Tutti Void, Ben Frost, Gazelle Twin, James Holden.
Rebuilding The World
Donaufestival, Tag 3: Godspeed, klingt.org, Platzgumer und mehr. Halbzeit beim Donaufestival.
Klar, das Donaufestival bezirzt nicht easy und verwöhnt nicht mit Zucker. Auch am Samstag - wieder ausgezeichnet, wenn auch abgesehen von den Battles etwas monochrom gebucht - wurde also wieder geschaut, was in fortschrittsinteressierten Betonbunker-Clubs, elektronischen Meditationsräumen und digitalen Folterkammern so an Surren, Summen und Beats zu holen ist.
David Visnjic
Das fantastische englische Kassettenlabel Opal Tapes richtete da beispielsweise ein Showcase in der Minoritenkirche aus. Wer sie schon einmal von innen erfühlt hat, weiß es: In der Minoritenkirche ist es finster, man stolpert und schlägt sich an Säulen den Kopf. Opal Tapes lieferte am frühen Nachmittag den Soundtrack für die speziell Interessierten: Der alte, öde Slogan von "Keine Genregrenzen" stimmt bei Opal Tapes, es erscheint, was gefällt, meist elektronischer Bastelstuben-Minimalismus. Es gab also Schab- und Kratzgeräusche, Sausen und Rauschen und dann von Labelboss Basic House ein fast schon tanzbares Set mit am Grunde des Swimmingpools aufgenommenen Beats.
Danach wurde es spannend - und aufreibend. Die amerikanische Musikerin Liz Harris gab in der bis zum Rand mit sitzenden Menschen gefüllten Kirche eine Lektion in Aufmerksamkeitsspannenerweiterung. Im Schneidersitz mit Gitarre und allerlei Effektgeräten zelebrierte sie weltvergessen zerdehnten Todesfolk und meditative Brummsounds samt kaum wahrnehmbarem Murmelsingsang. "Anstrengend", "Langweilig", hört man ein Flüstern. Man muss sich bloß kurz hingeben, seinen Twitter-Account löschen und sich von dieser Messe der Trance und Transzendenz einlullen lassen und so tun, als wäre man eine halbe Stunde lang Esoteriker. Dann kann man sie spüren, die Erleuchtung.
Peter Myer
Auf dem Messegelände wurde das musikalische Energielevel nach oben geschraubt. Der britische DJ Powell sorgte mit einem stumpfgeil in die Halle 2, doch, geballerten, Set aus Oldschool Hardcore, Jungle- und Drum'n'Bass-Schlenkern, digitalem Noise und im Takt heulenden Bohrgeräuschen für Euphorie, die diesen Ausdruck auch verdient.
Der englische Produzent patten setzte bei seiner Performance im Stadtsaal - dunkel, einzelne blaue Lichtstrahlen säbelten durch den Raum - auf eine Direktheit und Dancefloortauglichkeit, die seinen Platten - oft auch glücklicherweise - meist fehlen. Auf Tonträgern bastelt patten kleinteilige Kaleidoskop-Elektronika mit Pop-Einschlag, die vibrieren, wuseln und in allen Farben schillern. Beim Donaufestival wurde die gerade Bassdrum ausgepackt, auch mal ein knackiger Breakbeat, das Zitterrochenhafte von pattens sonst so hübsch zwischen niedlich und hektisch oszillierender Musik wurde im Dienste der Klarheit weitgehend ausgeblendet. Funktioniert, Herz macht Bumm.
David Visnjic
Auf Platte haftet der Band Battles nicht selten ein streberhafter Muckergestus an. Da werden virtuos Haken geschlagen, es wird gekonnt. In der Live-Variante wird das goldene Handwerk durch Funkiness und ungelenken Nerdcharme ins Positive gedreht. Die Freude im Publikum war also groß, als diese drei Herren an Gitarre, Bass, schrägt montierten Synthesizern und Drums - vor allem Drums - vorführten, wie sich älter gewordene Hardcore-Kids die Idee von elektronischer Tanzmusik mit ihren eigenen Mitteln zusammenpuzzlen.
Der große, große einstige Drummer von Helmet John Stanier hat bei Battles die Aura des strengen, aber gerechten Chefs, und eine Band, in der der Drummer im Mittelpunkt steht, kann meistens schon mal keine schlechte sein. Auch wenn mit Loops gearbeitet wird, ist bei Battles der Aspekt des "Live"-Spielens und -Machens essenziell.
David Visnjic
David Visnjic
Und Live-Bandsein bedeutet eben auch, dass es vorkommen kann, dass man sich verspielt. Beim Überhit "Atlas" beispielsweise verhaut sich die Präzisionsmaschine Battles schon mal im Tempo, vielleicht war es Free Jazz. Ein ganzes Konzert kann der Soundentwurf von Battles nicht immer mit allerhöchstem Magnetismus tragen, dennoch war der Auftritt der Band ein Höhepunkt des Donaufestivals bislang. Die Avantgarde wurde mit Leben betankt, die perfekt konstruierte Weltformel durch Humor und Error aufgeweicht.
Your Festival Radio
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Bestmöglicher Abschluss der Nacht war danach eben doch wieder Techno-Bestrafung, meisterlich vorexerziert durch die Hamburger Produzentin und DJ Helena Hauff. Dark und schlank, roh, rau, ohne Fett. Bass, Drum, Hi-Hat, Roots, Rock, Riot, komplette Körpermusik aus Zeiten der weltersten Drum-Machine, dargebracht, wer es nicht ahnt, ausschließlich per Vinyl.
In Perfektion verhakt von einer Frau, deren Blick die Gewissheit über jene Wahrheit verkündete, die besagt, dass sie wohl die Beste sei. Wir wollen schwitzen und uns nicht zu schade sein, bezüglich des Donaufestivals einen verstiegenen Kalenderspruch zu formulieren: Auch das kann Dancefloor sein: Kunst.