Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Tracey Emin vs. Egon Schiele"

Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

29. 4. 2015 - 12:11

Tracey Emin vs. Egon Schiele

Das Leopold Museum in Wien stellt die Arbeiten von Tracey Emin denen von Egon Schiele gegenüber. Die Königin der Provokation trifft auf das Enfant terrible der Jahrhundertwende. Und was das mit David Bowie zu tun hat.

"Tracey Emin / Egon Schiele"
Where I Want to Go

24.04. bis 14.09.2015
Leopold Museum
Museumsplatz 1
1070 Wien

Sie geht mittlerweile um acht Uhr Abends schlafen, die ewig gleichen Fragen der Journalisten nerven sie. Während Emin geduldig die Fragen zur Ausstellung beantwortet, bleibt das Weinglas daneben unberührt. Sie lebt nun gesund und ernährt sich auch so.

Hochschaubahnen sind ihr übrigens ein Gräuel, mehr noch: Ihre Angst, während der Fahrt in einer zu sterben, hat sie 2005 zu einer Arbeit inspiriert, die gleich beim Eingang ihrer Ausstellung im Leopold Museum zu sehen ist: Ein abstrahierter, wackeliger Rollercoaster, zusammengesetzt aus morschem Holz. "Mein ganzes Leben lang hatte ich Albträume davon, dass ich auf dieser Bahn steckenbleibe und auf einem Riesenpenis hinunter klettern muss."

Verstörende künstlerische Bekenntnisse sind es, die Fragen nach Authentizität und Wahrhaftigkeit in der Kunst und den Grenzen zwischen Kunst und Leben aufwerfen. Wie viel Privates verträgt die Kunst? Wie viel Kunst verträgt das Private? Bei Emin sind diese Grenzen scheinbar inexistent, frei nach dem Urvater des Happenings, dem Kunsttheoretiker Allan Kaprow, "the line between art and life should be kept as fluid, and perhaps indistinct, as possible."

Tracey Emin

FM4/ Alexandra Augustin

Tracey Emin in ihrer Ausstellung im Leopold Museum, April 2015

"That's Not The Way I Want To Die" nennt sich die Arbeit von Tracey Emin, die sich auf einen Vergnügungspark in ihrer Heimatstadt Margate bezieht. "Dreamland" nennt sich dieser absurde Ort in der Hafenstadt, in dessen Mitte eine hölzerne Achterbahn steht.

Einer Hochschaubahn gleichen wohl auch das Leben und die Kunst von Tracey Emin, in der Themen wie ihre eigenen Vergewaltigungen, Sex, ihre Abtreibungen, Essstörungen, Drogen und ihre Kindheit in der trostlosen Umgebung in der Hafenstadt Margate die Hauptrollen spielen. Ihre vermeintlich kaputte Biografie ist der Stoff, aus dem die Arbeiten von Tracey Emin gestrickt sind. "Radikaler Exhibitionismus", wie er auch genannt wird, der polarisiert. Tracey Emin wird geliebt und/oder gehasst. Die Graustufen dazwischen sind verschwindend dünn.

Seit Mitte der 1990er-Jahren gilt Tracey Emin als "Popstar" der Kunstwelt, deren Arbeiten heute bis zu sechsstellige Beträge erzielen. Sie ist eines der Puzzleteile der Szene rund um die "Young British Artists", zu denen auch Damien Hirst und Sarah Lucas gehören.

Tracey Emin Tent

Jay Jopling/W

Am bekanntesten sind wohl ihre Arbeiten "My Bed" (1998) und "Everyone I Have Ever Slept With 1963-1995": Letztere Arbeit besteht aus einem handgenähten Stoffzelt, auf dessen Innenwände mit buntem Zwirn die Namen von 102 Sexualpartnern eingestickt worden sind. Ganz groß mit dabei: Langzeitpartner Billy Childish. Nicht mit allen ist Emin sexuell aktiv gewesen, geht es bei dieser Arbeit vor allem um Intimität im Allgemeinen, wie sie einst erklärt hat:

"Some I'd had a shag with in bed or against a wall some I had just slept with, like my grandma. I used to lay in her bed and hold her hand. We used to listen to the radio together and nod off to sleep. You don't do that with someone you don't love and don't care about."

Die Installation "My Bed" hingegen ist radikaler, sie zeigt das völlig zerwühle, dreckige Bett der Künstlerin, rundherum wahllos Zigarettenreste, benutzte Kondome und leere Wodkaflaschen drapiert. Seit März 2015 ist diese Arbeit, 15 Jahre nachdem sie bei der Turner Prize-Ausstellung zu sehen war, wieder in der Tate Britain öffentlich zugänglich.

Von diesen etwas älteren Arbeiten ist in "Where I Want To Go" im Leopold Museum keine Spur. Das Zelt, das der Londoner Kunstsammler Charles Saatchi einst gekauft hatte, ist 2004 einem Brand zum Opfer gefallen. Die Wodkaflaschen und Tschickstummeln machen heute filigranen, kleinteiligen Akt-Stickbildern Platz.

Überhaupt haben die Bilder, die Tracey Emin hier ausstellt und die sie mit ausgewählten Arbeiten von Egon Schiele in Dialog treten lässt, viel Platz. Ist nach den wilden Jahren Ruhe eingekehrt oder wurde Tracey Emin vielleicht gar falsch verstanden?

"More Solitude", so besagt es eine Neonarbeit von Emin in der Ausstellung. Mehr Ruhe. Punkrock auf Sparflame, Einsamkeit als Chance zur künstlerischen Weiterentwicklung. Derartig skandalfrei kennt man Tracey Emin freilich weniger, die auch schon einmal völlig angetrunken Fernsehinterviews gegeben hat. Vielleicht war es aber auch der Kunstmarkt, welcher der Künstlerin gerne das skandalöse Image anhängt, was den Gegenwert ihrer Arbeiten freilich nicht geschmälert hat. Die Arbeit "My Bed" wechselte zuletzt für 3,9 Millionen Euro den Besitzer.

Betrachtet man das Leben und Schaffen von Tracey Emin und Egon Schiele, dann macht die aktuelle Ausstellung tatsächlich auch viel Sinn: Körper und Körperlichkeit stehen hier im Mittelpunkt, vor allem der eigene Körper. Beide KünstlerInnen gelten als tragische Rebellen ihrer Zeit. Ihre Werke erzählen Geschichten von Sehnsucht, Leid und Liebe.

Was die beiden Künstler miteinander verbindet, hat Tracey Emin im FM4-Interview erzählt:

Interview mit Tracey Emin

Auf Egon Schiele trifft ein junges Mädchen in einer englischen Kleinstadt nicht aller Tage. Wie und wo hast du seine Kunst entdeckt?

Ich war 15 Jahre alt und ein riesiger David Bowie-Fan. Und David Bowie war offensichtlich ein großer Fan von Egon Schiele. Ich habe damals "Heroes" von Bowie gehört und wenn man sich das Cover ansieht, dann erkennt man, wie er offensichtlich von einem Schiele-Bild inspiriert war: die Pose ist ja fast die gleiche wie in einem Schiele-Bild.

David Bowie Heroes

Masayoshi Sukita

David Bowie, "Heroes", 1977
Egon Schiele, 1914

Anton Josef Trčka

Egon Schiele, 1914

Dann habe ich in einem Buchladen in der Stadt einen Band über Expressionismus entdeckt, darin waren drei Bilder von Schiele. Ich dachte mir nur, wow, wie unglaublich fantastisch! Dieser Moment hat mein Leben verändert. Ich arbeite in meiner Kunst mit meinen Emotionen, ich muss meine Gefühle ausdrücken. Seine Werke haben mich motiviert Künstlerin zu werden. Ich fühlte mich endlich normal und verstanden.

Es gibt da draußen KünstlerInnen wie Sand am Meer. Warum war es ausgerechnet Egon Schiele, der dich derartig fasziniert hat?

Diese Arbeiten haben mich emotional berührt wie keine anderen. Andy Warhol, Picasso, das sind alles großartige Künstler. Aber sie alle haben nicht diesen wahrhaftigen Ausdruck in ihrer Kunst. In dieser Ausstellung jetzt geht's darum: Egon Schiele und ich, zwei Menschen. Eine der Personen ist seit fast 100 Jahren tot. Aber ich habe versucht, die Werke so zu arrangieren, als würde er immer noch leben. Als wären wir zwei Zeitgenossen, die zusammenarbeiten. Er war ein Mann, ich bin eine Frau. Aber ich glaube, es funktioniert.

Du sagst es gerade: Zeitlich und auch vom Blickwinkel seid ihr sehr unterschiedlich. Wo liegen die Parallelen zwischen deinem und dem Werk von Egon Schiele?

Wir sind beide das Zentrum unserer Kunst. Nicht unbdingt als Modell, sondern als Instrument um Emotionen zu transportieren. Wenn du jemand siehst, der böse ist, kannst du diese Emotionen malen? Das ist schwer, du kannst den Zorn nämlich nicht sehen, weil ihn diese Person versteckt. Aber wenn du selbst das Objekt deiner Kunst bist, dann spürst du genau, wie du dich fühlst, und das kommt dann raus in deiner Kunst. Außerdem: Von van Gogh bis Rembrandt und Munch - viele Männer haben sich selbst gemalt. Aber Frauen viel seltener.

Die Stickarbeiten der Sexszenen, die ich einem Bild von Egon Schiele gegenüber gestellt habe, sind vielleicht die kontroversesten Werke hier: Eine Frau sitzt auf einem Mann. Daneben das Porträt von Schiele, das Mädchen, das ihren Rock hebt. Zusammen ergibt sich ein Dialog. Beide Frauen wirken selbstbewusst und stark, aber beide Frauen sind verletzlich. Wie sind die Positionen verteilt, wie fühlen sie sich? Wer verletzt wen, wo ist der männliche Blick? Unsere Arbeiten werfen Fragen auf. Für Egon Schiele war das Malen außerdem ein kathartischer Prozess.

Für dich auch?

Auf jeden Fall! Ich gehe nicht zur Therapie, ich male (lacht)!

Gibt es eine Art Schlüsselmoment, etwas, das ein Kunstwerk haben muss, damit es deine Aufmerksamkeit erhält?

Kunst muss dich packen und dir einen Moment der Ruhe geben. Bleib stehen, schau genau. Sie muss dich zum Denken bewegen und im Idealfall denkst du über Dinge nach, die vorher noch nie Thema bei dir waren. Die Welt da draußen ist laut, voller Bilder, Farben, Fernsehen, Filme. Wir werden mit so vielen Dingen bombardiert und sind rastlos unterwegs.

Egon Schiele

FM4 Alexandra Augustin

Egon Schiele hat die Natur geliebt. Viele Menschen denken, er hätte ausschließlich diese erotischen Akte gezeichnet. Er hat aber auch Berge und Landschaften gemalt. Seine Kunst hatte so viele Ebenen. Ich frage mich oft, was wohl gewesen wäre, wenn er nicht so früh verstorben wäre. Vielleicht wäre er nach New York gegangen, der beste Freund von Donald Judd und Minimalist geworden. Er hat in seinem kurzen Leben großartige Dinge geschaffen.

Hast du einen Rat für junge Kunstschaffende?

Macht euer Ding, besucht die Uni. Denkt nicht daran, was danach ist! Genießt jeden Tag. Lernt ordentlich zu malen und wie man eine Kamera benutzt. Nutzt alle Ressourcen, die euch zur Verfügung stehen. Die Welt da draußen ist beschissen und nur wenige schaffen es bis ganz nach oben!