Erstellt am: 28. 4. 2015 - 14:32 Uhr
Intrigen in der Retro-Zukunft
Es wird düster in der Zukunft, zumindest wenn es nach Kevin Barry geht. Denn der irische Autor sieht keine Hochglanz-Zukunft auf uns warten, in seinem Roman „Dunkle Stadt Bohane“, geht es in der Entwicklung einige Schritte zurück. Die einzigen Sachen, die sich aus unserer Zeit bis ins Bohane Mitte des aktuellen Jahrhundert hinübergerettet haben sind eine Linie der Hochbahn und die Soundanlagen, die die Stadt die meiste Zeit mit Dub beschallen.
Bohane war einst, so erzählt uns der Autor, eine große, kosmopolitische Stadt im Westen Irlands, heute ist sie massiv gestört. Außer an der Zusammensetzung der Bevölkerung - Iren, Gitanos, ChinesInnen und PortugiesInnen - ist von ihrer einstigen Größe und Vielfalt nicht mehr viel zu merken.
Tropen Verlag
Bohane ist abgeschieden, umgeben von der Großen Nichtsöde, eingekesselt in einer Schlucht, durch die der Schwarzwasserstrom fließt, von dem selten etwas Gutes kommt und der der Stadt ihren Namen gibt, Bohane.
Kampf um die Vorherrschaft
Die Stadt lebt von Brauereien und von Schlachthöfen, das große Geld machen aber die Gangs mit Prostitution, Gras und Kneipen. Naturgemäß will jeder einen Stück davon abkriegen. Ganz oben in der Nahrungskette ist momentan die Back Trace Fancy und ihr Anführer ist seit einer Ewigkeit schon Logan Hartnett, auch Aitsch oder Lulatsch genannt, doch mittlerweile ist er alles andere als unumstritten. In den Northern Rises organisieren sich die Familien zum großen Aufstand und außerdem mehren sich die Gerüchte, dass der Gant in die Stadt zurückgekehrt ist, Logan Hartnetts ehemaliger Rivale.
Doch Logan hat während seiner Herrschaft schon einige Fehden ausgetragen, Intrigen gesponnen und ungewöhnliche Allianzen geschmiedet. Auch diesmal schreckt er nicht vor einer Konfrontation zurück. Er zieht seine Fancy-Boys und Girls zusammen, brutale und gewiefte Schläger, die ihre Messer offen an den Gürteln tragen und sich nicht davor scheuen, die auch einzusetzen. Dazu werden sie im Lauf des Romans auch massig Gelegenheiten haben, denn Bohane steuert auf die blutigste Nacht seiner Geschichte zu.
Hipster-Detailverliebtheit
So düster die Stadt auch sein mag, bei seinen Figuren hat Autor Kevin Barry nicht mit den Farben gespart. Sie bleiben im Gedächtnis. Er hat ihnen einen Hipster-Slang der nahen Zukunft verpasst, eine Mischung aus irischen Dialektausdrücken und Neologismen, eine Sprache, die gewöhnungsbedürftig ist, sich aber perfekt in das Setting einfügt. Und besondere Aufmerksamkeit legt Barry auch auf die Outfits seiner ProtagonistInnen, die er immer wieder bis ins kleinste Detail beschreibt.
"Wolfie trug: Einen fesch geschnittenen Crombie aus konföderiertengrauem Tuch zu grünen Röhrentweeds, gerader Schnitt, gestärktes weißes Hemd, der Kragen offen, damit die harlekinbedruckte Krawatte zur Geltung kam, und an den Hufen ein Paar braune Arschtretet, direkt aus Zagreb importiert (die Jungs da wussten, wie man Stiefel machte, so die Saga in der Fancy, spazierte der Lange Lulatsch nicht in Portugiesen, spazierte er in Kroaten.)"
Man merkt die Popkultur
Kevin Barry meint selbst, dass ihn Anthony Burgess, Cormac McCarthy oder James Joyce beim Schreiben seines Romans beeinflusst hätten. Speziell an die Droogs aus "Clockwork Orange" fühlt man sich bei manch brutaler Szene erinnert. Doch es sind auch Assoziationen zu Filmen, die "Dunkle Stadt Bohane" immer wieder weckt, aufgrund der Erzähltechniken einerseits - schnelle Szenenwechsel, Close Ups, Zeitraffer - aber auch inhaltlich. Die Retro-Zukunft kennen wir etwa schon aus "Mad Max" oder "Waterworld", im Gegensatz zum Kevin Costner-Schinken hält Barry allerdings keinen positiven Ausweg für seine HeldInnen parat, denn er ist Generation The Wire oder anderer HBO-Serien.
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„Dunkle Stadt Bohane“ ist ein irisches Sprachmonster, das Übersetzer Bernhard Robben zu bändigen versucht hat. Wie der dunkle Fluss durch die Stadt zieht, so entwickelt auch der Roman einen Sog, der einen mitreißt und erst am Ende wieder ausspuckt, erschöpft, aber glücklich.