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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

23. 4. 2015 - 15:16

The daily Blumenau. Thursday Edition, 23-04-15.

Wilder Aktionismus, Investigation und öffentliches Nachdenken.

#demokratiepolitik #medienverständnis #selfie

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Intro

Die Person des öffentlichen Lebens war schriftbildsichtlich erregt. Wenn sich die "linken Journis" doch um die ihm deutlich genehmeren Themen auch so kümmern würden wie um Äußerungen des Leaders ihrer Gesinnungsgemeinschaft. Und überhaupt: dies und jenes sollte auch endlich einmal angesprochen werden. Aber das wäre wohl nicht opportun, wenn man im ORF was werden wolle. Samt der nachstehenden kurzen, höchst derben Beschimpfung.

Die sozialen Netzwerke melden einem das sofort. Und so landen die Injurien auch dann in der Mailbox, wenn die entsprechenden Postings rasch gelöscht bzw überarbeitet werden. Was die Person des öffentlichen Lebens getan hat; was ihr hoch anzurechnen ist. Kurzzeit-Erregung, vor allem des nächtens, halte zumindest ich für durchaus legitim.

Mich regt die kleine, für den öffentlichen User jetzt nicht mehr nachlesbare Attacke, zu der mein montäglicher Text diese Person des öffentlichen Lebens getrieben hatte, trotzdem zum Nachdenken an.

Da schwingt nämlich einiges mit, was mir nicht ganz eingänglich ist. Die Sache mit dem Aufwand, die Sache mit der Entzauberung und die Sache mit rinks und lechts.

lechts und rinks - werch ein illtum

Immer dann, wenn etwas sofortigen Gähn-Reflex erzeugt, wenn eine Zuschreibung zum Klischee gerinnt, ist Gefahr im Verzug: etwas, was davor einmal tatsächlich inhaltlich etwas bedeutet hat, entwertet sich von selbst, ist zur Folklore erstarrt; bedeutet also nichts mehr.

Wie etwa das mit dem Begriff "Linken", der in seiner Undifferenziertheit heute praktisch überall und für alles eingesetzt werden kann. Wenn man ideologisch, egal ob wegen starken Konservativismus oder einer starken nationalen Ader, den Raum von der rechten Wand aus betrachtet, sind alle anderen immer links. Ganz automatisch.

Das abstufungsfrei und undifferenziert zu betrachten, ist aber in etwa so sinnvoll wie wenn der (ich verwende jetzt bewusst ein absurdes Beispiel) Inuit alle anderen Menschenwesen als Südländer abtut. Das mag aus einem einfachen Impuls heraus stimmen - trotzdem könnte man zwischen den Bewohnern der einzelnen Klimazonen und Kulturcluster unterscheiden; und zudem wäre die Einsicht, dass ganz unten (um bei unserem Bild zu bleiben: ganz links) dann wieder Menschenwesen unterwegs sind, die den Inuit rein klimanpassungstechnisch durchaus ähnlicher sind als ihre eigentlichen Nachbarn, eine wertvolle Erkenntnis.

Das simple Zerrbild von Links und Rechts, das ja nicht nur von strammen Rechten, sondern auch den betriebsblinden Linksaußen verbreitet wird, geht von der Unvereinbarkeit der Basis-Positionen aus. Dass nämlich (und wieder darf ich auf das kluge Nassehi-Interview jüngst im Standard verweisen) die linke Perspektive des ständigen Umbaus und der Notwendigkeit der Verbesserung der Gesellschaft und die rechte Bewahrungsperspektive, in der das Ideal einer homogenen Gesellschaft gepriesen wird, keinen Kompromiss-Weg offenhalten.

Das ist insofern besonders absurd, weil die alltägliche Lebenspraxis diesen Weg ja permanent geht, weil ununterbrochen beides koexistiert. Die Entweder-Oder-Unterscheidung passiert ausschließlich in den Köpfen.

Für einen politischen, im öffentlichen Diskurslebens stehenden Proponenten ist die nur noch folkloristisch interessante Verwendung des Kampfbegriffs "Linke" jedenfalls kein Reichtumszeugnis.

Entzauberung

Das ist der zweite stutzigmachende Begriff.
Warum denn immer nur die Vertreter des eigenen Lagers "entzaubert" werden würden und nicht die anderen (samt Verschwörungstheorien, warum das nicht sein darf).

Ich wüsste zum einen nicht, wer hier entzaubert wird (der Text enthält nur allgemein bekannte Fakten und beschreibt offen zugängliche Bilder).
Ich wüsste zum zweiten nicht, wie es ein Medium heute noch schaffen könnte, Vertreter der politischen Kaste überhaupt zu ver- oder entzaubern: nach jahre-, jahrzehntelanger Runtermacherei, die auch (und lange Zeit vorrangig) von den populistischen Parteien betrieben wurde, ist beides nicht mehr möglich. Die Politik der verbrannten Erde hat längst alles weggeräumt, was dem aktiven Politiker in früheren Tagen zum Popstar gemacht hat. Vereinzelte Musterkarrieren wie die von HPB Fischer, Minister Kurz oder eben Strache sind die - uns deswegen schon schrill erscheinende - Ausnahme. Die der Schmieds und Heinisch-Hoseks der Regelfall.

Ich könnte mir vorstellen, dass diese schiefe Sichtweise mit der falschverstandenen Macht des Investigativ-Journalismus zu tun hat. Nicht das Falschverstehen jener Art, die ich letzte Woche hier beschrieben habe, sondern das von der Maschek-Seite aus gesehen. Dass jegliche journalistische Äußerung sich als investigativ und aufblattelwillig versteht, also eine aggressive Agenda hat, wilden und somit per se politischen Aktionismus befördern will. Selbst wenn "Analyse" drübersteht, muss es dann eine Abrechnung im unzensuriert-style sein.

Das ist natürlich ein ausgemachter Unsinn.
Die allgegenwärtige, vor allem durch die Untiefen des Boulevards und die Hektik des 24/7-Tickers hochgepimpte Aufgeregtheit der Medien existiert zwar, das allermeiste der dargebotenen Inhalte bleibt aber trotzdem im Deskriptiven stecken.

Das was "Journis" (ein irgendwann lieb gemeinter, aber extradümmlicher Begriff, wie ich davor interessanterweise nur von Grünen kannte...), egal welcher Preisklasse anbieten, ist in den allerseltensten Fällen das, was als allgemeines Klischee kursiert.

Womit wir beim dritten Punkt wären. Dem des angenommenen Aufwands, der einem solchen Text nach sich zieht.

Öffentliches Nachdenken

Wirklicher (journalistischer) Aufwand entsteht dann, wenn man sich ein paar Tage, eine Woche lang freischaufeln muss, um einer Geschichte hinterherzurecherchieren, samt Reisen, vertrauensbildenden Gesprächen etc. Also echten investigativen Journalismus; den die allermeisten heimischen Medien nicht leisten können/wollen, aus ökonomischen, aber auch anderen Gründen.

Der Anspruch eines (wenn möglich) täglichen, durchaus textintensiven Blogs ist ein anderer, muss ein anderer sein. Einer abseits des klischeetriefenden Aktionismus, einer jenseits der Investigation: der des öffentlichen Nachdenkens.
Einem Nachdenken über öffentlich zugängliche Geschehnisse, Bilder, Fakten, Daten, Zahlen oder Zitate. Einem Nachdenken, das erst aus der Kombination von verschiedenen, im besten Fall vorher noch nicht oder kaum oder ungenügend verknüpften Items entsteht - und im noch besseren Fall ein anderes Schlaglicht auf Prozesse wirft, deren Ausleuchtung statisch oder ungenügend ist.

Darum geht es hier.
Und der Aufwand, der da betrieben wird, ist einzig und allein der Aufwand des Denkens. Das wiederum ist eine Ressource, die (bis auf die Tiefschlafphase) permanent anzuzapfen, also quasi permanent online ist. Diese Denkübung benötigt also nicht einmal den Aufwand eines Einschaltknopfes.

Vielleicht geht es der mittlerweile nicht mehr erregten, sondern wieder in einen pfleglichen Umgangs-Modus eingeschwenkten Person des öffentlichen Lebens darum, dass in diesen öffentlichen Nachdenk-Prozessen nicht nur die eigenen Helden, sondern auch andere beleuchtet werden; kritisch.

Das wäre legitim; auch ohne wirkliches Wissen um journalistische Gestaltungsformen, ohne wirkliches Sprachgefühl und ohne den Versuch die Welt als Ort der Differenz und höchsten Unterschiedlichkeit im kleinsten Detail zu betrachten.