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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

22. 4. 2015 - 19:12

Die ertrunkene Olympionikin

Reinhard Kleist erzählt in "Der Traum von Olympia" die tragische Geschichte der Leichtathletin Samia Yusuf Omar, die auf einem Schlepperboot im Mittelmeer ertrank.

"Man hört die Geschichten: 'Wieder ein Boot mit 400 Leuten gekentert' und man hat einfach nur so ein diffuses Bild von irgendwelchen Massen, die da auf uns zukommen und das sind Menschen. Das sind Schicksale. Und ich greife da jetzt mal eine Figur raus und gebe der ein Gesicht." Die Figur, von der der Comiczeichner Reinhard Kleist spricht, ist die Leichtathletin Samia Yusuf Omar.

"Der Traum von Olympia"

Carlsen Verlag

Reinhard Kleist: "Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Samia Yusuf Omar", Carlsen Verlag

Mit 17 Jahren geht die Somalierin 2008 bei den Olympischen Sommerspiele in Peking an den Start. Aus den acht Läuferinnen für die 200m sticht die abgemagerte junge Frau schon durch ihr weniger professionelles Outfit heraus: Sie rennt mit labbrigem T-Shirt und den längsten Hosen von allen.

Mit großem Abstand kommt sie als letzte ins Ziel – dennoch oder gerade deswegen ist sie für kurze Zeit der Publikumsliebling.

Wieder zurück in Mogadischu wird Samia Yusuf Omar von Mitgliedern der islamistisch militanten Bewegung Al-Shabaab bedroht. Sport ist für Frauen und Mädchen verboten. Außerdem habe man im TV gesehen, dass sie ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit war. Falls sie das in Somalia wiederholen würde, werde man ihr Arme und Beine abhacken.

Das vom Bürgerkrieg überschattete Somalia hat nicht nur seit Jahren auf dem Korruptionsindex konstant den letzten Platz, der ostafrikanische Staat ist auch enorm arm.
Samia Yusuf Omar sieht keine Zukunft in ihrer Heimat. Sie will trainieren und ihren Traum verwirklichen – bei den Olympischen Spielen in London teilnehmen.

Der Versuch im benachbarten Äthiopien zu trainieren scheitert. Es werden ihr keine gültigen Papiere ausgestellt. Samia Yusuf Omar beschließt, nach Europa zu fliehen. Hilfe und Unterstützung erhofft sich sich von ihrer Schwester, die in Helsinki lebt.

Die beschwerliche Flucht führt sie über Äthiopien und den Sudan nach Libyen. Es dauert lange und kostet sehr viel Geld, bis sie endlich einen Platz auf einem Schlepperboot bekommt. Das Boot wird abgefangen, Samia Yusuf Omar muss in Lybien ins Gefängnis.

Wieder dauert es Wochen und sie bittet Freunde und Familie um Geld, bis sie im April 2012 auf einem überfüllten Schlauchboot ins Mittelmeer sticht.
Doch ihre Flucht endet tragisch – Samia Yusuf Omar ertrinkt – wie viele andere von diesem Boot.

Reinhard Kleist erzählt Samia Yusuf Omars Geschichte packend, interessant und ohne Pathos. Träume, Hoffnungen und Freude finden neben Gewalt, Ängsten und Unterdrückung ihren Platz in dieser Odyssee. Er wollte eine Geschichte schreiben, "die man verfolgen kann und sieht, was für Strapazen und Schicksalsschläge dahinter stehen."

Ursprünglich hatte Reinhard Kleist ein Künstlerstipendium in Palermo und wollte dort über das Leben von afrikanischen Flüchtlingen in Europa recherchieren. Einige dieser Biographien hat er in die Graphic Novel eingebaut. Im Zuge dieser Recherchen ist er auf den tragischen Fall von Samia Yusuf Omar gestoßen. Mit Hilfe der Journalistin Theresa Krug konnte er die Schwester von Samia Yusuf Omar treffen. Die lebe in Helsinki, mit zwei Kindern in einer kleinen Wohnung und mit einem ungeklärten Aufenthaltsstatus. "Alle Möbel, die dort in der Wohnung waren, waren immer noch in Plastikfolie verpackt. Man merkte einfach, die sitzt da auf dem Sprung und das schon seit Jahren."

Reinhard Kleist möchte sich gegen die diffuse Angst stark machen, die Flüchtlingen gegenüber herrscht: "Wir können in Europa auch nicht so weiter machen wie bisher. So ein Beispiel wie Samia Yusuf Omar zeigt halt auch: Da kommen auch Leute, mit denen wir hier etwas anfangen können. Sie war eine fantastische Sportlerin. Es kommen auch gebildete und kräftige Leute rüber, und die lassen wir hier entweder in irgendwelchen Knästen vergammeln oder die werden als Sklaven ausgebeutet. Auch ein Gutteil der Gemüse- und Obstproduktionen in Italien, was ich da so bei meinem Trip in Palermo mitverfolgen konnte, beruht halt einfach auf moderner Sklaverei von Flüchtlingen. Das ist auch so eine Sache, mit der sich Europa mal so langsam auseinandersetzen müsste."

Mit der Graphic Novel "Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Samia Yusuf Omar" gibt Reinhard Kleist nicht nur einer Figur ein Gesicht. Er erinnert gleichzeitig an die tausenden anonymen Opfer.

"Ich halte seine Version der Geschichte von Samia Yusuf Omar für ein Meisterwerk", erklärt der Journalist und Menschenrechtsaktivisten Elias Bierdel im Nachwort. Dem ist nichts hinzuzufügen.