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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

22. 4. 2015 - 19:00

TTIP: Konzerne reden bei nationalen Gesetzen mit

Alle handelsrelevanten, nationalen Gesetzespläne - Umwelt, Gesundheit, Arbeitsrecht - sollen künftig meldepflichtig sein und vorab auf ihre TTIP-Kompatibilität geprüft werden.

Die neunte Verhandlungsrunde zum umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP, die seit Montag in Washington läuft, wurde - nicht ganz überraschend - von einem neuen Leak eröffnet. Das nun publizierte Kapitel zur künftigen regulatorischen Zusammenarbeit betrifft ein neues Gremium, dem alle für den Handel relevanten nationalen Gesetzesvorhaben bereits im Planungsstadium gemeldet werden. Kritiker sehen das als Frühwarnsystem für Firmenlobbys, um gegen neue Konsumentenschutz- oder Umweltgesetze auf nationaler Ebene vorgehen zu können.

Den Auftakt zu Runde neun setzten am Samstag jedoch hunderte Demonstrationen in allen größeren Städten Europas, aber auch in den USA. Allein in Österreich fanden 12 größere Veranstaltungen mit tausenden Teilnehmern statt. Von der europäischen Öffentlichkeit bis jetzt hingegen unbeachtet blieb die aktuelle Grundsatzeinigung von Demokraten und Republikanern auf ein gesetzgeberisches Schnellverfahren für TTIP im US-Kongress. Für ihre Zustimmung verlangen die Parlamentarier ein entschlossenes Vorgehen der US-Regierung gegen europäische Kartell- und Datenschutzgesetze, um die Interessen von US-Internetkonzernen in Europa durchzusetzen.

Schnellsiedeverfahren in den USA

Die Entscheidung der EU-Kommission vom 15. April, das ruhende Kartellverfahren gegen Google wiederaufzunehmen, wird in den USA von beiden Lagern als reine Wettbewerbsverzerrung angesehen, die europäischen Konzernen Vorteile verschaffen sollte. Ganz ähnlich werden in der Regel auch europäische Datenschutzgesetze in den USA beurteilt. Das als "Fast Track" bekannte Prozedere im Kongress ist nach Ansicht aller politischen Beobachter unerlässlich, um Freihandelsabkommen gleich welcher Art im Kongress durchzubringen.

Die TTIP-Chefverhandler im Bild

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EU- Chefverhandler Ignacio Garcia Bercero (links) mit seinem US-Gegenpart Dan Mullaney am Montag.

Teil dieses Schnellsiedeverfahrens aber ist die strikte Geheimhaltungspflicht des jeweiligen Verhandlungsstands samt beschränkter Einsicht in den Verhandlungstext für die Abgeordneten zum US-Kongress. Dieselben Regeln gelten auch für die EU-Parlamentarier. Das sind genau die Punkte, an denen sich die TTIP-Kritik in Europa neben dem Investorenschutz am heftigsten entzündet. Und das ist der Hauptgrund, warum rund um jede Verhandlungsrunde Teile des TTIP-Texts als Leaks in Europa publiziert wurden.

Im März hatte der Kabinettschef des Vizepräsidenten der Kommission, Andrus Ansip, auf einer Konferenz der US-Handelskammer die Datenkatze aus dem Sack gelassen. Bevor die EU-Datenschutzverordnung nicht beschlossen sei, könnten solche Konzepte zum Datenaustausch nicht in die TTIP-Verhandlungen eingehen, hieß es.

Regulatorische Zusammenarbeit

Wie aus dem neuen Leak hervorgeht, soll ein paritätisch besetztes Komitee als permanente Organisation eingerichtet werden, wie auch TTIP als "lebendiges Verfahren" geplant ist, das laufend an neue Entwicklungen angepasst wird. Laut dem vorliegenden Dokument, mit dem die EU-Verhandler auf Vorschläge der USA reagieren, soll die regulatorische Zusammenarbeit in erster Linie Gesetzgebung und Verwaltungakte auf nationaler Ebene der EU bzw. der US-Bundesstaaten passieren. Dieser neue Passus soll den geplanten Vorab-Informationsaustausch zwischen der EU und den USA auf Bundesebene ergänzen, der bereits weitgehend funktioniert.

Textausriss aus dem Kapitel zur regulatorischen Zusammenarbeitz in TTIP

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Artikel 3, Absatz zwei aus dem geleakten Verhandlungstext

Beispiel Neonicotinoide in Österreich

Im Falle eines TTIP-Abschlusses wäre Österreich unter diesen Klauseln zum Beispiel verpflichtet, dem TTIP-Koordinationsgremium jedes Gesetzesvorhaben anzukündigen, das Auswirkungen auf in Österreich investierende US-Firmen haben könnte, vor allem was deren künftige Gewinnaussichten betrifft. Das Spektrum reicht dabei von neuen Umweltauflagen oder Höchstgrenzwerten für bestimmte Substanzen bis zur Auszeichnungspflicht von Lebensmitteln oder Änderungen beim Arbeitsrecht.

Laut einem Bericht des ZDF am Montag konstatiert das deutsche Umweltbundesamt, dass die hohen EU-Schutzstandards für Pestizide durch TTIP gelockert werden

Die von den Grünen aktuell geforderte Ausweitung des Verbots zum Einsatz sogenannter Neonicotinoide wäre nachgerade ein Paradefall für eine solche "regulatorische Zusammenarbeit". Sollte eine derartige Neuregelung in ein konkretes Stadium treten, würde parallel zur nationalen Gesetzesgebung auch das TTIP-Komitee damit befasst.

"Früher Informationsaustausch"

"Die Parteien... erkennen die Vorteile an, die insbesonders aus einem frühen Informationsaustausch über geplante neue Regelungen auf nicht-zentraler Ebene entstehen könnten", heißt es in Artikel drei, Absatz zwei des gelaekten Kapitels. Welcher Art diese Vorteile sind und wem sie genau zugute kommen könnten wird im vorliegenden Verhandlungsdokument nicht näher erläutert. Wie die aggressive Vorgangsweise vor allem von Konzernen aus den USA bei Klagen gegen Staaten vor internationalen Schiedsgerichten zeigt, wäre eine solche Regelung geeignet, gegen unliebsame Gesetzespläne irgendeines EU-Mitgliedsstaats bereits in deren Ansatz auf nationaler Ebene vorgehen zu können.

Der Text des TTIP-Kapitels wurde von den Konsumentenschützern Corporate Europe ins Netz gesetzt

Ausriss Artkel acht "Bilaterale Kooperationsmechanismen"

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In Artikel acht werden zentrale Meldestellen in Brüssel und Washington vorgeschlagen, in denen die Meldungen aus den EU-Mitgliedsstaaten bzw. den US-Bundesstaaten gesammelt werden. Es geht also um die Einrichtung zweier Datenbanken.

Damit könnten sozusagen sofort Exempel - etwa massive Schadenersatzforderungen - statuiert werden, um so andere EU-Staaten von der Idee abzubringen, ebenfalls ähnliche Verbote ins Auge zu fassen. Mit der Meldepflicht für neuen Gesetzesvorhaben geht nämlich auch eine Art Einspruchsrecht für ausländische "Stakeholder" einher. Im oben zitierten Fall der Neonicotinoide bekämen zum Beispiel US-Agrochemiekonzerne, die solche Substanzen bis dahin in Österreich verkauft hatten, mit TTIP zumindest ein Anhörungsrecht eingeräumt, bevor ein gesetzliches Verbot überhaupt beschlossen werden kann.

Staatliche Hoheitsrechte und die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers werden durch solche Klauseln im Vertragstext logischerweise eingeschränkt. Das passt zum vielkritisierten Prozedere der TTIP-Verhandlungen, in dem die Parlamente in Brüssel und in Washington weitgehend ausgeschaltet sind.

Die jüngsten Urteile internationaler Schiedsgerichte gegen Kanada (Umweltgesetze, 300 Millionen Dollar) und Argentinien (Wasserversorgung 405 Mio), haben die TTIP-Debatte zusätzlich angeheizt

Politisch-taktisches Manöver

Der bisherige Widerstand der Demokraten - unter deren Kernwählerschichten Freihandelsabkommen alles andere als populär sind - gegen eine solche "Selbstausschaltung" beider Häuser des Kongresses durch ein "Fast Track"-Verfahren wiederum hat weit weniger mit TTIP zu tun als mit dem Nordamerikanischen Freihandelsvertrag (NAFTA) von 1994. NAFTA hatte zum Verlust von mehreren Millionen Arbeitsplätzen in den USA geführt, die ins Niedriglohnland Mexiko ausgelagert wurden.

Ausriss aus Kapitel sechs und sieben zur "regulatorischen Zusammenarbeit"

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Das Mitspracherecht für Konzerne bei nationalen Gesetzesvorhaben wird hier als "regulatory impact assessment" bezeichnet

Bei TTIP, an dem zwei Wirtschaftsräume mit annähernd gleichem Lohnniveau beteiligt sind, sind solche Auswirkungen nicht zu befürchten. Der bisherige Widerstand von Obamas eigener Partei ist daher als vorher abgesprochenes politisch-taktisches Manöver zu deuten. Rund um die "Midterm"-Wahlen zum Kongress im vergangenen November war man gegen "Fast Track", um keine Stimmen zu verlieren. Jetzt wird der Widerstand gegen "Fast Track" aufgegeben und dafür nennt man einen Preis, den allerdings Europa zahlen soll.

Vorbedingung freier Datenfluss

Der vom Vorsitzenden des Finanzausschusses im US Senat Ron Wyden (D) zusammen mit republikanischen Senatoren eingebrachte Gesetzesentwurf für ein Schnellverfahren kommt mit der Vorbedingung, dass ausländische Regierungen ihre Kommunikationsnetze nicht gegen digitale Güter und Services aus den USA abschotten dürften. Die Senatoren fordern von der Regierung Barack Obamas eine Sicherstellung, dass "Regierungen keine Maßnahmen ergreifen" dürften, "die digitalen Handel mit Gütern und Services oder grenzüberschreitenden Datenverkehr behindern".

Ein Leak des aktuellen Verhandlungsstands zeigte bereits zu Jahresanfang, dass der Parlamentsentwurf zur Datenschutzverordnung im EU-Ministerrat regelrecht demontiert wird. Viele der Änderungen stehen in direktem Zusammenhang mit den Datentransfers im Rahmen von TTIP.

Obwohl seitens der EU-Kommission stets beteuert worden ist, Datenschutz stehe im Freihandelsabkommen mit den USA nicht zur Diskussion, wird sehr wohl ein Kapitel zum Datentransfer in TTIP enthalten sein. Das hatte ein hoher EU-Beamter im März mit der Aussage bestätigt, dass die Verhandlungen über Datenaustausch im Rahmen von TTIP erst dann beginnen könnten, wenn die EU-Datenschutzverordnung beschlossen sei. Die gravierenden Änderungen am Parlamentsentwurf durch den Ministerrat, in dem es eine große Mehrheit an TTIP-Befürwortern gibt - sind also in direktem Zusammenhang mit dem TTIP-Vertrag zu sehen.

Ausblick

Vor der Einrichtung solcher TTIP-Verträglichkeitsprüfgremien für nationale Gesetze muss TTIP allerdings erst durch das EU-Parlament. Dem will Handelskomissarin Cecilia Malmström Mitte Mai ein "völlig neues Investorenschutzverfahren" (ISDS) vorlegen, denn offensichtlich bestehen die USA darauf, dass ein solches in TTIP enthalten ist. In den nun vorliegenden Ergebnissen der sechs Parlamentsauschüsse, die vergangene Woche abgestimmt hatten, wurde ISDS sechsmal abgelehnt.