Erstellt am: 21. 4. 2015 - 19:18 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 21-04-15.
... auch wenn das die Mediengesellschaft nicht einlösen mag.
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
#machtpolitik #ideologie
Im Mai wird die ÖVP, die es geschafft hat sich mit dem Beginn der Obmannschaft Mitterlehner ein modernes Image anzuziehen wie ein fesches Sommerkleidl, ihr neues, in langen Prozessen erarbeitetes Grundsatz-Programm verabschieden. Es wird das noch gültige Grundsatzprogramm der VP ablösen, das am 22. April 1995 beschlossen wurde, also vor exakt 20 Jahren.
Die in der aktuellen Berichterstattung hochgehängten Themen EU-Heer, oder stärkerer Selbstbehalt sind bereits im alten Manifest (bei vielleicht vorsichtigerer Wortwahl) verankert - wirklich neue Entwicklungen sind in anderen Bereichen sichtbar. Nicht nur deshalb lohnt sich ein Blick auf die Unterschiede der beiden Mission Statements einer Partei die die Themenführerschaft im Land anstrebt.
Das 95er-Programm ist 66 Seiten stark, nach Ressorts geordnet und startet mit einem Exkurs, der den christlich-sozialen Aspekt der Partei betont - schließlich ist man Rechtsnachfolgerin der (allerdings in jeder Hinsicht hochproblematischen) CS, und fühlte sich dazu verpflichtet - ehe die zweite Inhaltsseite dann erstmals den zentralen Begriff des Eigentum und die Verankerung des Kammerwesens herausstreicht.
Das 15er-Programm ist schlanke 25 Seiten dünn und bündelt die Themengebiete, es clustert (um ein Modewort zu verwenden), es streift die Parteigeschichte nur noch zart an und stellt den Leistungs-Begriff deutlich vor das Eigentum.
Die ökosoziale Marktwirtschaft, die einzige genuine VP-Erfindung jenseits der Figl'schen Reblaus und des Raab'schen Fensterkitts, die 1995 ein wenig schamhaft versteckt wurde, taucht gleich auf Seite 1 und als eigenständiges Cluster auf.
Die Kernwerte des aktuellen Menschenbilds sind "Freiheit, Verantwortung, Nachhaltigkeit, Leistung, Solidarität, Subsidiarität und Gerechtigkeit." - 1995 wollte man das noch mit "Anständigkeit, Ehrlichkeit, Sparsamkeit, Mut, Fleiß, Verantwortungsbereitschaft und Verlässlichkeit" beschreiben. Der erste Satz, der 1zu1 übernommen wurde und mir auffällt, lautet: "Wir sind uns dessen bewusst, dass die Unvollkommenheit des Menschen sowie die Begrenztheit seiner Planungs- und Gestaltungsfähigkeit auch der Politik Grenzen setzen."
Das neue Programm soll jünger und weiblicher sein. Das ist zielgruppentechnisch vor allem deshalb interessant, weil es deutlich vager ist als sein Vorgänger und sich um konkrete Ansagen drückt.
Die in vielen forsch-fröhlich-freien Glaubenssätzen zum Ausdruck gebrachte Lebbarkeit des 2015-Programms wendet sich von der teilweise verbiesterten Nüchternheit der schon schüsselgeprägten 95er-ÖVP ab. Dort war noch von Egoisten, die "die Grundlagen demokratischer Selbstbestimmung" zerstören und das Gemeinwohl gefährden, die Rede, nur wenige Absätze nach dem Loblied auf das freie Individuum. Dort sprach man von "unnötiger" Kontrolle, aktiver Ungleichbehandlung, Behinderten und Ausländern, deren unbeschränkte Einwanderung es nicht geben könne. Dort lehnte man den Schwangerschaftsabbruch ab und gestand den Frauen gönnerhaft Strafverfolgungsfreiheit zu, sprach sich gegen Sterbehilfe und die Freigabe von weichen Drogen aus.
Dafür offenbart sich ein seit 95 offenbar grundsätzlich-bolognesk geänderter Zugang: "wirtschaftsnah" sollten damals die Fachhochschulen Grundwissen vermitteln. Die Universitäten, einst "Ort, wo in Unabhängigkeit und Freiheit des Forschens und Lehrens die gesamte Lebenswelt der Erkenntnis und der Sprache eröffnet wird" kommen nur noch im Kontext der Erhöhung privater Drittmittel vor.
Und beim Thema Familie bewegt man sich - im Schneckentempo, aber schneller als etwa die katholische Kirche, vorwärts: Zitat 95: "Die Familie mit zwei Elternteilen und Kindern ist unser Leitbild." Dazu akzeptiere man die Existenz von Abweichlerismus in Form von Alleinerziehenden, Wiederverheirateten, Familien mit Kindern aus verschiedenen Ehen und Kinder aus nichtehelichen Lebensgemeinschaften. 2015 respektiert und anerkennt man auch andere Formen des Zusammenlebens wie Gleichgeschlechtliche Partnerschaften. In den Frauen/Kinder/Gedöns-Bereich (zu dem auch Kunst&Kultur gehören - primär etwas für "unsere Kinder", dann erst käme der emanzipatorische Diskurs) der 1995 aus sonntagsredengleichen Ankündigungen (es ist unannehmbar, wenn Frauen für gleichwertige Arbeit eine geringere Entlohnung erhalten) bestand, kommt Bewegung, wenn den Gemeinplätzen durch Quoten-Aktionismus Leben eingehaucht wird.
Und dann ist da ein Satz im Pop-Titel-Stil: Es gibt keinen Gegensatz zwischen 'realer' und 'digitaler' Welt. Diese Welt steht da, in gelinder Überschätzung, wäre der Innovationsmotor unserer Zeit. Das wird keine 20 Jahre standhalten wie meine Lieblingssätze aus dem alten Programm.
Rang 3, weil gerade aktuell: die Sache mit der Toleranz: "Die Bewältigung der Vielfalt in einer modernen Gesellschaft verlangt von den Menschen eine starke kulturelle Identität. Voraussetzung der Toleranz ist nicht Selbstaufgabe, sondern die selbstsichere Behauptung der eigenen Identität, die zum Gelingen des friedlichen Miteinanders der Geschlechter, der verschiedenen kulturellen, religiösen, ethnischen und sozialen Lebensformen beiträgt. Toleranz bedeutet nicht, dass alle Positionen gleichwertig sind oder alle Lebensformen die gleiche rechtliche und staatliche Förderung erhalten sollen."
Rang 2, weil so schön eventkulturfeindlich: "Die Internationalisierung, das wachsende Freizeitangebot und die Mediatisierung der Gesellschaft führen zur Gefahr der Standardisierung und der Reduktion der kulturellen Sensibilität auf den Erlebniswert. In diesem Zusammenhang ist daher den massenwirksamen identitätsstiftenden kulturellen Ausdrucksformen
in Film, Fernsehen und Architektur verstärkte Pflege und Aufmerksamkeit zu widmen."
Und Platz 1, weil so schillernd-wahr: "Nicht übersehen werden darf freilich, dass Drogenabhängigkeit die Folge einer Flucht in Scheinwelten ist, die nicht zum erhofften Lebensglück führen kann. Aufgabe einer verantwortungsbewussten Gesellschaft ist es, die Ursachen für solche Fluchtversuche zu beseitigen und günstige Voraussetzungen für eine befriedigende Lebensbewältigung zu schaffen."
Derlei Fast-Diskurspop fehlt im neuen, wohl von Reinhold Lopatka endredigierten Manifest, das mehr von Neo-Austropop hat, an Gesellschaftsmodellen (im Sinn des ehrbaren Kaufmanns) arbeiten will, anstatt sie herbeizudekretieren.
Es ist ein klug die Arme in alle Richtungen ausstreckendes Programm ohne die Süffisanz, den verhärmt-christlichen Fundamentalismus und die überhebliche Bevormundung vergangener Tage. Es versucht niemandem wehzutun, es bezieht ein statt sich abzugrenzen.
Seine inhaltlichen Problemzonen werden nur in den Auslassungen sichtbar - und mit denen wird sich die mediale Rezeption nicht beschäftigen.