Erstellt am: 19. 4. 2015 - 14:51 Uhr
Maschin
Die Spielreihe "Grand Theft Auto" wird nicht zuletzt wegen ihres Detailreichtums gelobt, aus dem eine eigene weitläufige Realität erwächst. Zwischen digitaler und analoger Welt muss bekanntlich lang schon nicht mehr unterschieden werden. Nicht unwesentlicher Entertainmentfaktor sind da im Spiel die je nach Geschmack auswählbaren, sorgsam kuratierten Radiostationen, die einem während heißer Fahrten in heißem Schlitten die Action untermalen. Rap, Chillwave, Oper, die Auswahl ist groß.
Die beiden kalifornischen Produzenten Oh No und Alchemist haben jetzt mit "The Alchemist and Oh No present: Welcome to Los Santos" einen üppigen Begleitsoundtrack voller exklusiver Tracks zu "Grand Theft Auto V" zusammengestellt, der in der Realität des Spiels im Radio zu hören ist und gleichzeitig auch als eigenständiges Compilation-Album draußen in der alten, echten Welt existiert. Und großteils auch unabhängig vom Adrenalinthrill funktioniert.
Größtmögliche Synergie-Effekte wollen aus dem Zusammenspiel von Game, Werbung und möglichst prunkvoller Musik gewonnen werden: Das Fundament ist dem Kernmetier der beiden Kuratoren geschuldet freilich HipHop – und das gerne auch in seiner glitzerndsten Ausformung, bisweilen auch Thema und Atmosphäre des Spiels entsprechend kleinkriminell bekifft oder ins cartoonhaft Humoristische überfließend.
Tunde Adebimpe
Endgültigen Crossover-Appeal erlangt "Welcome to Los Santos" durch den immer gern verwendeten Effekt der interessanten Nebeneinanderstellung. Auch in Bereichen von Indie-Rock- und -Popmusik wird gefischt. So teilen sich hier also nicht bloß Action Bronson und Danny Brown ein gemeinsames Stück, reichen sich Rauchwarenfreund Freddie Gibbs und Dancehall-Durchstarter Popcaan das Mic oder gehen Leute wie Killer Mike oder A$AP Ferg ihrem üblichen Brotjob nach. Auch Earl Sweatshirt und Future-Islands-Sänger Samuel T. Herring sind zusammen in einer Nummer zu hören, ebenso wie Selfmade-Weirdo Ariel Pink und der Future-Funker Dam-Funk, der verschlafene Garagenpunk Wavves schaut für ein Solostück vorbei.
Sicher, das alles will von seiner Buntheit und Zusammengewürfeltheit leben, wirkt manchmal wie an einem faulen Nachmittag durchs Telefon ins Studio eingespielt, ist meistens aber immerhin solide und hat einen feinen Flow. Stumpfgeile Partymusik, fancy und flashy, meistens geht es um den Fetisch Motor. Prächtige Maschinen, steiles Chrom.
Die Anwesenheit von TV-On-The-Radio-Mann, Regisseur, Schauspieler und All-Around-Künstler Tunde Adebimpe auf "Welcome To Los Santos" mag in diesem Zusammenhang zunächst seltsam anmuten – und so soll es sein. Die Verkultung des schnellen Wagens, von Kraft, Reichtum und der Energie des Gadgets hat nicht selten den unangenehmen Beigeschmack der Selbstversicherung bezüglich der eigenen Virilität durch den Außenposten "Spielzeug".
Adebimpe tut in der Nummer "Speedline Mircale Masterpiece" jedoch genau das: Der Song ist eine einzige Aneinanderreihung von Superlativen bezüglich der eigenen Power, Unantastbarkeit, Herrlichkeit. Durch die konstante Überhöhung gelingt Unterwanderung.
"I'm just a hot flash / Im just a wind in the mist", heißt es in dem Stück, und später "Can't believe you got the nerve to come after me / Coming fast, but I'm cruising at hyperspeed". Freilich ist die Nummer dazu ein ständiger Schub, ein Druck, eine Fahrt nach ganz vorne, ausgeholfen haben Alleskönner Sinkane und Sal P. von den legendären No-Wave-Funkern Liquid Liquid – die übrigens schon Ende der 70er mit kaputter, minimalistischer Percussion-Musik und der Einbeziehung von albernem Funk-Geklöppel mit jeglichem Punk- und Gitarrenrock-Machismo aufgeräumt haben.
Gerne will man den Drive dieser Nummer spüren, einsteigen, mit ihr durch die Nacht brausen, gleichzeitig darf man mit ihr wieder einmal lernen, dass die ewige Behauptung der eigenen Unfehlbarkeit und Magie und Sexyness eben nur eine Behauptung ist. Und als solche auch erkennbar.