Erstellt am: 18. 4. 2015 - 13:02 Uhr
Ins Leben
Das letzte Grunge-Revival war ja bereits für 2013 angekündigt, aber glaubt man den Modemagazinen, soll 2015 endgültig das Jahr des Neo- Grunge werden. Andererseits – ist eigentlich nicht immer Grunge? Cordhosen, Holzfällerhemden, zotteliges langes Haar gibt es doch seit den Siebzigern und es kommt nie aus der Mode.
Der urbane Lumberjack-Look findet sich auch unter den Vertretern des Weird-Folk-Genres und hat bereits die schöne Wortschöpfung „lumbersexual“ hervorgebracht – angeblich löst der lumbersexuelle Mann den Hipster bald ab.
Das sind aber bislang nur Spekulationen. Tatsache ist jedoch, dass im Zuge der Nineties-Nachbereitung Grunge als letzte musikalische Richtung, in der Gitarren noch eine Rolle spielten, wieder ins Blickfeld rückt.
Vor Kurzem erschien Kim Gordons Buch „Girl in Band“, in dem viel von den Neunzigern, Nirvana und Kurt Cobain die Rede ist, und nun kam, 21 Jahre nach dessen Suizid, Kurt Cobains „Montage of Heck“ in die Kinos.
Brett Morgen ist der erste Regisseur, dem uneingeschränkter Zugang zu Cobains Nachlass gewährt wurde, was wohl daran liegt, dass Frances Bean Cobain, Tochter von Kurt Cobain und Courtney Love, den Film produziert hat.
Das Leben des Kurt Cobain ist wahrlich gut dokumentiert, schon die Mutter hat alle Fotos, Bilder, Super 8-Kindergeburtstagsschnipsel vom kleinen Kurt aufbewahrt, als habe sie geahnt, dass aus ihrem Sohn einmal eine Ikone des Zwanzigsten Jahrhunderts wird.
Aber „Montage of Heck“ – der Titel ist auch der eines Mixtapes, das Cobain 1988 zusammengestellt hat – beginnt schon vor der Geburt seines Hauptdarstellers, mit dem Kennenlernen der Eltern im amerikanischen Aberdeen der Sechziger.
Bald danach sieht man einen liebenswürdigen, goldigen kleinen Jungen, der Gitarre spielt und Kusshände wirft, der gerne performt und singt, und in den alle verliebt sind. Und um so greifbarer wird die Tragik, wenn die heute befragten Familienangehörigen (Mutter, Vater, Stiefmutter, Schwester) erstaunlich offen erzählen, dass sie es mit dem älteren, etwa zehnjährigen, hyperaktiven Kurt trotz Ritalingaben nicht mehr ausgehalten haben. Die Mutter gab ihn nach der Scheidung zum Vater, in dessen neuer Familie konnte er auch nicht lange bleiben, so wurde er hin und her geschoben, keiner wollte ihn haben. Da kann sich auch die Hobbypsychologin ausrechnen, dass so was zu schlimmen seelischen Verletzungen führen muss.
Weil zu dieser Zeit keiner den ungeliebten Jungen gefilmt hat, wird die Jugend Kurt Cobains als filmische Graphic Novel erzählt, musikalisch unterlegt mit Nirvana-Melodien aus der Spieldose, "All Apologies" von "In Utero" mit Glockenspiel und Xylophon, das weltberühmte Riff von „Smells like Teen Spirit“, interpretiert vom Streichorchester. „Here we are now, entertain us“ singt ein sphärischer Frauenchor.
Regisseur Morgen hat sich einiges einfallen lassen, um das Material filmisch aufzubereiten, zu düsteren Comic-Sequenzen, in denen der Problemjugendliche mit hängendem Kopf auf der Bettkante sitzt , laufen die O-Töne aus seinem deprimierenden Teenagerleben. Kurt Cobain hat viele Kassetten hinterlassen, auf denen er seine tagebuchartigen Aufzeichnungen vorliest.
Und doch, und das ist das Wunderbare, gibt es auch aus der unglücklichsten Kindheit eine Befreiung und eine Erlösung. Bei Kurt Cobain hieß sie Punk Rock, und der Rest der Geschichte ist bekannt, die Band Nirvana, Grunge in Seattle und der Durchbruch 1991 mit "Smells like Teen Spirit".
Neben den Konzertaufnahmen, darunter erste Proberaumkonzerte mit zwei Zuhörern, werden immer wieder Zeichnungen und Tagebucheinträge gezeigt. Das ist manchmal zu viel des Guten, die Biographie wird schier übervisualisiert, wenn jede Songskizze und Kritzelei jede Gitarrentabulatur, Setlist, und jeder Einkaufszettel animiert und mit Musik unterlegt wird.
Die Doku-Aufnahmen der Nirvana-Konzerte haben inzwischen Patina angesetzt, manches Bühnengebaren, wie die ritualisierte Gitarrenzertrümmerung und das Hinterrücks-ins Schlagzeug-Fallen wirkt heute doch sehr gewollt und fast lächerlich. Auch die Szene, in der sich Kurt spaßeshalber im Rollstuhl zum Mikrofon schieben lässt, entbehrt aus heutiger Sicht doch Einiges an Zauber. Aber schließlich sind ja auch zwanzig Jahre seither vergangen.
Unangenehm distanzlos wirkt „Montage of Heck“, wenn der Regisseur die
Home-Videos des Ehepaars Cobain zeigt, dass sich wohl gerne im zugedröhnten Zustand halbnackt im Apartment gefilmt hat. Peinlich berührt muss man mit ansehen, wie sie im dümmsten Rausch sinnloses Zeug über die eigene Berühmtheit, den Hass auf Courtney Love und die Blödheit von Guns'n'Roses herumgackern.

Heck
Allerdings sieht man Courtney Love nach dem Film mit anderen Augen. Sie wurde damals ja schnell als überdrehte Heroinnudel, Rabenmutter und eigentlich Schuldige am Tod Cobains abgeurteilt.
Bei den viel zu langem Aufnahmen des häuslichen Lebens dieser schrecklich netten Familie scheint sie aber die Wachere, Bewusstere zu sein, während Kurt Cobain sich so zugedrückt hat, dass er das Baby nicht mehr halten kann und fast einschläft. Gut, dass die Dokumentation einen Monat vor seinem Freitod in Seattle endet.
„Montage of Heck“ ist trotz vieler interessanter Stellen mit 132 Minuten ein bissel lang – dem Phänomen und Menschen Kurt Cobain kommt man trotz der Fülle des Materials nicht wirklich näher.
Enervierend hingegen ist das Interview mit dem vor Eitelkeit schier berstenden Regisseurs nach dem Abspann – aber da kann der Zuschauer ja einfach aufstehen und rausgehen – ins Leben.