Erstellt am: 18. 4. 2015 - 12:49 Uhr
Albträume, Halluzinationen, Polizeivideos
- Flimmern, der assoziative Wochenrückblick
Meine Freundin K. hat ein Problem. Sie weiß wenn sie aufwacht nie wo sie ist, minutenlang. Ein Verwirrungszustand, in dem gefangen sie durch den Morgen schlittert, ein Zustand, der jeden Raum fremd erscheinen lässt.
Wenn man Ausstellungsbesucherzahlen als Indikator für die Berühmtheit zeitgenössischer Künstler heranzieht, wie das eine dieser Tage veröffentlichte Statistik tut, dann ist der momentan berühmteste Künstler eine Frau. Yayoi Kusama - eines ihrer Werke ist zurzeit im 21er Haus in Wien zu sehen.
Die 1929 in Japan geborene Künstlerin Yayoi Kusama leidet seit ihrem zehnten Lebensjahr unter Halluzinationen. Sie schafft mit Punkten und Mustern überzogene Räume, die laut KunsthistorikerInnen Gesetze von Raum und Zeit suspendieren. Sie hat das Problem, das meine Freundin K. hat, für sich gelöst. Sie bricht jeden Raum so, dass es ihrer wird.
Yayoi Kusama, die großes Vertrauen in Institutionen hat, lebt in Tokio. Sie residiert seit 1977 in einer psychiatrischen Klinik und hat gegenüber ihr Atelier eingerichtet.
Von einem völligen Scheitern, von Institutionen und ihrer rechtsstaatlichen Kontrolle zeugt eine Statistik, die letztes Monat veröffentlich wurde und besagt, dass die amerikanische Polizei im Monat März des Jahres 2015 mehr Menschen erschossen hat, als die britische Polizei im zwanzigsten Jahrhundert.
Wenn man es genau wissen will, hat die amerikanische Polizei im Monat März diesen Jahres doppelt so viele Menschen erschossen wie die britische Polizei im gesamten 20. Jahrhundert: 111 Menschen. Für Empörung sorgen inzwischen fast täglich auftauchende Videos, die Misshandlungen afroamerikanischer Jugendlicher, manchmal mit tödlichem Ausgang durch die Polizei zeigen.
In Spanien wären diese Videos illegal, egal, welche Verbrechen von Polizisten darauf zu sehen sind. Seit Ostern stehen in Spanien die Berichterstattung über Polizeigewalt, das Filmen und Fotografieren von Polizeibeamten im Einsatz und das Twittern über eine nicht angemeldete Demonstration und Demonstrationen vor dem Parlament unter Strafe. Bußgelder bis zu 600.000 Euro können für einen Verstoß gegen dieses Gesetz verhängt werden, das in einem Anfall von Zynismus oder als Hommage an George Orwell "Gesetz zur Sicherheit der Bürger" genannt wurde.
Tausende Menschen fanden dennoch einen Weg, vor dem Parlament zu demonstrieren. Sie kamen als Hologramme. Die Demonstration "Hologramme für die Freiheit" wurde dreidimensional in den Raum vor der spanischen Volksvertretung projiziert. Die digitalen Delinquenten hatten ihr Gesicht auf der Internetseite des Bündnisses "Wir sind kein Delikt" eingescannt, das bereits seit Monaten gegen das sogenannte "Knebelgesetz" der konservativen Regierung protestiert.
Endlich eine sinnvolle Verwendung für Hologramme, weil einen digitalen ODB, der posthum mit dem Wu-Tang Clan auf Tour geht, braucht keiner. Einen holographischen Eazy E der vor dem Hauptquartier des LAPD als Promotion für den demnächst anlaufenden N.W. A.-Film Fuck Tha Police performt, stelle ich mir schon wesentlich amüsanter vor.
Digitale Botschaften, Kurzbotschaften, Tweets aus den vom IS besetzten Gebieten Syriens und des Iraks analysiert seit zwei Jahren der Politologe Aymen Jawad Al-Tamini.
Die aus diesen Tweets gewonnen Erkenntnisse, wie der Alltag unter dem Terrorregime des IS aussieht, kann man auf seinem Blog nachlesen oder die Kurzversion in einem Interview, das er dem New Scientist gegeben hat.
Wenig überraschend, kann der IS die eroberten Gebiete teilweise nicht mit Strom versorgen und es gibt Engpässe in der medizinischen Versorgung. Überraschenderweise haben die Tweets gezeigt, dass eroberte Gebiete nicht in willkürliches Chaos versinken, sondern dass der IS versucht, den Alltag bis in die kleinsten Banalitäten zu regulieren. Geldstrafen für nicht ordnungsgemäße Müllentsorgung und von Gotteslästerlichkeiten gesäuberte Studienpläne der Universität Mosul sind nur zwei der so zu Tage geförderten Fakten, aus denen der Politologe versucht, das Leben in den versklavten Gebieten zu erfassen.