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Phekt

Geschichten aus dem Hip Hop-Universum und benachbarten Galaxien.

18. 4. 2015 - 06:00

Diggin' In The Crates

Anlässlich des "Record Store Days" haben wir uns näher mit der Sammelleidenschaft von Vinyl und dem vermeintlichen Comeback der Platte beschäftigt.

Record Store Day 2015 auf FM4

Seit 2007 findet einmal im Jahr, jeden dritten Samstag im April, der internationale "Record Store Day" statt. Zu diesem Anlass veröffentlichen Labels Sondereditionen, Reissues, limitierte Pressungen und schön gemachte Vinyl-Exemplare, die die Herzen der Sammler höher schlagen lassen. Und die Herzen diverser Glücksritter, die mit dem Blick auf mögliche Gewinnmaximierung Platten kaufen, um sie kurz darauf überteuert im Internet anzubieten.

In letzter Zeit war oft die Rede vom "Comeback der Schallplatte". Was durchaus berechtigt ist, denn die Vinyl-Abteilungen in den Musikecken diverser Elektro-Fachmärkte sind in letzter Zeit wieder stark gewachsen und erinnern in ihrer Dimenson an frühere Zeiten. Was man auch kritisch betrachten sollte, denn der Hype hat durch verknappte Produktionsmöglichkeiten von Vinyl vor allem für kleinere Labels auch negative Auswirkungen.

Anlässlich des diesjährigen "Record Store Days" habe ich mit meiner Kollegin Nina Hochrainer eine Spezial-Stunde zum Thema Vinyl gestaltet. Wir haben uns bei "Brooklyn Phono" in New York erklären lassen, wie Vinyl hergestellt wird und das "78 Project" portraitiert. Mehr Infos dazu kann man hier in der Geschichte von Nina nachlesen.

Vinyl

Alex Hertel

In meiner Lebensrealität war Vinyl nie weg. Seit den späten 80er Jahren kaufe ich Platten und werde damit wahrscheinlich nie aufhören. Hip Hop, Jazz, Funk, Soul, Reggae, Soundtracks, etc. Mit jedem Besuch in einem Second-Hand-Plattenladen zwischen Wien und Bangkok entdecke ich neue Musik. Ja, ich fürchte mich vor dem Umzug.

Die Platte war nie weg

Während ein Teil der "Generation MP3" langsam erkennt, was die Vorteile von Schallplatten sind - Haptik, Liner Notes, Cover-Artwork, Langlebigkeit, Soundästhetik, etc. - war Vinyl für viele Menschen nie weg. Einer davon ist der Tiroler Musikexperte Albi Dornauer. Seit Jahrzehnten Plattensammler, Verkäufer in diversen Fachgeschäften, Betreiber eines kleinen Labels, Hersteller von Vinyl-Sonderpressungen und Veranstalter von Konzerten.

Albi Dornauer

Alex Hertel

Albi betreibt Digatone, ein kleines Label, das sich auf obskure, längst vergessene musikalische Schätze aus Österreich spezialisiert hat.

70er Jahre Prog-Rock aus Innsbruck, Soundtracks alter Skandalfilme wie "Geissel des Fleisches" von Eddy Saller und viel mehr.

Nebenbei produziert Albi spezielle Vinyl-Editionen im Postkarten-Format. Für Underground-Rapper aus Chicago, heimische Bands, Unikate für spezielle Anlässe, etc. Sein Leben dreht sich seit vielen Jahren um das schwarze bzw. bunte Gold.

Geissel des Fleisches

Alex Hertel

Der Soundtrack zu diesem Skandal-Film wurde erst jetzt, viele Jahre nach erscheinen, auf Digatone veröffentlicht. Die Platte wurde von Sammlern aus der ganzen Welt gekauft. Anhand ausführlicher Liner-Notes und rarer Fotos erzählt Albi Dornauer mit seinen Platten Geschichten, die so noch nie erzählt wurden.

Auf Schatzsuche in fernen Ländern

Zwei Tage bevor uns Albi im FM4-Studio besucht hat um über seine Vinyl-Leidenschaft zu sprechen und uns diverse Schätze seiner Sammlung vorzuspielen, war er noch in Äthiopien unterwegs um rare Ethio-Jazz Platten zu finden. Zwei Jahre davor war er auf musikalischer Schatzsuche in Kolumbien.

Ausgerüstet mit einem kleinen Batterie-betriebenen Plattenspieler fährt er in entlegene Gegenden und fragt auf Märkten und in Geschäften nach Menschen, die alte Schallplatten besitzen und verkaufen wollen. So findet der Vinyl-Archäologe Musik aus den 60er oder 70er Jahren, die teilweise so regional war, dass sie außerhalb ihres Ursprunglandes nie gehört wurde.

Ein Vinyl-Fundstück aus Äthiopien

Alex Hertel

Dieses rare Exemplar einer äthiopischen Jazz-Platte hat Albi Dornauer letzte Woche in Addis Abeba gefunden. Wäre er kein Sammler sondern Geschäftsmann, könnte er sich mit dem Verkauf dieser Single die nächste Reise finanzieren.

Durch das Internet und Plattformen wie Discogs kann man mittlerweile innerhalb weniger Sekunden herausfinden, welchen Wert eine Schallplatte hat. Die Folge: eine Art Vinyl-Tourismus von Menschen, die aus monetären Gründen Platten kaufen. Ähnlich wie bei Aktien lässt sich mit Vinyl viel Geld verdienen, vorausgesetzt man weiß, welche Genres und Platten wertvoll sind.

Besonders Sammler aus Japan sind international dafür bekannt, in die entlegensten Gegenden zu reisen und absurd hohe Preise für Schallplatten zu bezahlen. Albi erzählt, dass einige der seltensten Platten der Welt mit Sicherheit irgendwo in Japan zu finden sind. Die größten Schätze findet man laut ihm aber in den Subkulturen im eigenen Land. Es macht mehr Sinn, in Österreich nach heimischen, längst vergessenen Musikschätzen zu suchen als nach Soul- oder Funk-Raritäten, die man mit Sicherheit eher in Philadelphia, Detroit oder Memphis findet.

Vinyl

Alex Hertel

Einer der Schätze aus Albis Plattensammlung: eine Messe vom Chor der katholischen Hochschulgemeinde Graz im Jazzstil. Für derartige Raritäten sind Sammler bereit, hohe Summen zu bezahlen. Bei Produzenten, die auf der Suche nach bisher nicht verwendeten Samples sind, sind derartige Platten heißbegehrt.

Ein Fass ohne Boden

Es gibt Millionen von Schallplatten, die es Wert sind, angehört zu werden. Eine Erkenntnis, die jeder Sammler irgendwann hat. Platten kaufen ist ein Fass ohne Boden, man kommt nie an.

Ich kenne das zu gut: man geht in einen Laden, um eine spezielle Platte zu finden. Während dem durchstöbern der staubigen Regale entdeckt man interessante Cover von Künstlern, deren Namen man noch nie gehört hat und die man eigentlich auch nicht gesucht hat. Und genau auf diesen Platten verstecken sich dann Songs, Samples und Breaks, die man nie entdeckt hätte, wäre man nicht in diesen Laden gegangen.

Mein Wissen über Musik hat durch den regelmäßigen Besuch von Plattenläden immens zugenommen. Das ist abgesehen vom haptischen Element vielleicht eines der Hauptargumente dafür, Vinyl zu kaufen. Man trifft Gleichgesinnte, die Empfehlungen geben, entdeckt Dinge, die man gar nicht gesucht hat und taucht ein in eine Welt, die es im Internet nicht gibt. Denn ein Großteil der weltweit veröffentlichten Musik ist digital noch nicht verfügbar. Zum Glück.

Lost In Vinyl

Eine Stunde Platten-Special haben wir gerade in der FM4 Homebase gefeiert. Hier noch einmal in voller Länge zum Streamen: "Lost In Vinyl" mit Nina Hochrainer und Alex Hertel:

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