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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

17. 4. 2015 - 01:07

Wagner war ein Arschloch, aber ...

Chilly Gonzales hat ein Popalbum mit Kammermusikern eingespielt. Ein Gespräch über Romantik und Rick Ross, Erfahrungen mit Antisemitismus in Deutschland und warum er der Tennislegende John McEnroe ein Stück gewidmet hat.

Chilly Gonzales

Am 2. Juli wird Chilly Gonzales im Rahmen des Jazzfest Wien in der Wiener Staatsoper zu sehen sein.

Das Hotelzimmer ist ungewöhlich grau, obwohl es sich in einem dieser schreienden neuen Boutique-Hotels in Berlin-Mitte befindet. Gemessen in Boheme-Zeit ist es allerfrühster Morgen. Chilly Gonzales wirkt dementsprechend zerknittert. Haare tummeln sich an den seltsamsten Stellen seines Gesichts.

Doch der Eindruck täuscht. Der Udo Jürgens des hippen Entertainments ist schneller von 0 auf 100 als der gelbe Lamborghini aus dem Bilderbuch-Video es sein könnte. Apropos Gelb. Noch ehe ich die erste Frage stelle, bekommt der Sender ein dickes Lob. Öffenlich-rechtlicher Auftrag erfüllt. So soll es sein.

Chilly Gonzales

Christian Lehner

Chilly "Gonzo" Gonzales, Berlin Feb 2015

FM4? Ihr habt mir mein erstes Live-Konzert mit einem Orchester ermöglicht. Ohne euch gäbe es das neue Album wahrscheinlich gar nicht.

Oh, ah. Danke! Jetzt können wir gleich mit dem Interview aufhören.

Im Ernst. Durch das Konzert mit der ORF Radio Symphonie-Orchester in Wien bin ich wieder auf den Geschmack gekommen, mit traditionellen Instrumenten zu arbeiten. Auf meinem Rap-Album „The Unspeakable Chilly Gonzales“ hatte ich bereits ein Orchester dabei. Bloß, das kam aus dem Computer meines Bruders, der ein hervorragender Filmkomponist ist.

Viele Kinder werden zum Erlernen eines Instruments genötigt. Manche rebellieren dagegen mit Rock'n'Roll oder kehren der Musik den Rücken. Wie war das bei dir?

Ja, auch ich war so ein Junge. Mein Großvater setzte mich ans Piano und sagte in einem strengen Ton: "Respektiere das Klavier, folge den großen Meistern!" Ich erwiderte: "Okay, das klingt vernünftig". Aber im Nebenzimmer lief der Fernseher. Michael Jackson tanzte über Ziegeln, die zu leuchten begannen. Er sang "Billy Jean" und ich wusste: das will ich auch.

In Bezug auf Klassik kennt man dich vor allem als selbsternanntes „musical genius“ am Klavier. Auf "Chambers" spielst du erstmals mit einem Streichquartet (Hamburger Kaiser Quartett, Anm. d. A.). Was interessiert dich an Kammermusik?

Ich stehe auf das Bandformat. Eine Lehre aus dem Konzert mit dem Radio Symphonie Orchester war, dass ein Orchester für mein Bedürfnisse zu viel Power hat. Es ist fast eine Armee. Ich mag aber jeden einzelnen der Musiker kennenlernen und ich mag jeden einzelnen dabei beobachten, wie er sich die Musik erspielt. Und ich mag, dass das Publikum jeden einzelnen der Musiker kennenlernen kann. Ich mag den Outsider, das kleine Format, das versucht, größer zu sein, als es ist. Crazy Horse, Metronomy, das sind klasse Bands. Wenn einer fehlt, fehlt etwas. Auch das gefällt mir.

Vor allem die Romantik hat es dir angetan. Warum?

In der Romantik sind viele Dinge passiert, die auch das Verständnis von Pop prägen. Nehmen wir Beethoven, der einer der Wegbereiter war. Er war der erste, der sich offenbarte und das Publikum über die Musik an seinem persönlichen Drama teilhaben ließ. Ohne diese big personalities gäbe es keine Figuren wie Kanye West. Davor waren Musiker Handwerker, Köche, Diener ... Dann kamen Persönlichkeiten wie Liszt, ein Superstar seiner Zeit, oder Wagner, der megalomanische Super-Producer. Schubert hat mit seinen gefühlsbetonten, kurzformatigen Liedern den Popsong definiert. Ohne Schubert keine Leslie Feist.

Und doch kam es irgendwann zu einer Trennung in E- also Ernster und U- also Unterhaltungsmusik.

Meine Musik ist oberflächlich, aber sie besitzt hoffentlich auch Tiefgang. Zwischen E- und U-Musik wählen zu müssen, das halte ich für falsch.

Es sind ja nicht nur die sogenannten Vertreter der Hochkultur. Auch die Popmusik pfeift zum Großteil auf die Klassik. Siehst du dich als Vermittler?

Ich bin kein Musikprofessor. Ich erwarte auch nicht, dass mein Publikum ein einschlägiges Vorwissen hat. Und schon gar nicht will ich mit dem Taktstock irgendwo hinzeigen und sagen: Seht her! Damals war es besser! Ich bin eine Popkreatur. Ich habe eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Symphonische Zwölfminutenbewegungen interessieren mich nicht. Ich will nicht konservieren sondern adaptieren. Deshalb suche ich mir in der Klassik die kleinen Popmomente heraus, die schon vorhanden sind, zum Beispiel bei Mendelssohn, Schumann oder Erik Satie, Miniaturen, Preludes usw. Am Klassikbetrieb stört mich dasselbe wie viele andere auch: Er spricht mich überhaupt nicht an. Man hat das Gefühl, die Inszenierungen sind für reiche alte Menschen gemacht. Das halte ich natürlich schon für eine riesen Verschwendung.

Chilly Gonzales und Kaiser Quartett

Alexandre Isard

„Chambers“ funktioniert in meinen Ohren wie ein Filmscore – szenarisch und sehr stimmungsvoll. Wenn man den Begleittext zu den Instrumentalstücken liest, erfährt man, dass bestimmte Rythmen auf Southern Hip Hop basieren oder einer Akkordfolge eines Juicy J Tracks. Ehrlich, ich habe das nicht herausgehört.

Dafür sind die Live-Shows da. Ich nehme das Publikum an der Hand und führe es durch die Musik. Ich zeige woher etwas kommt und was es ist. Das liegt an meiner Persönlichkeit. Ich möchte eine positive Grundstimmung schaffen, das Publikum integrieren - auch überraschen. Wagner, der ein fanatischer Antisemit war, hat in seiner Zeit sehr viele schreckliche Dinge über jüdische Musiker gesagt. Jüdischen Künstlern sei aus Prinzip zu misstrauen, weil sie um jeden Preis gefallen wollen. Deshalb würden sie in der Kunst auch nicht nach Wahrheit streben. Well, Wagner war ein Arschloch, aber hier hat er mich kalt erwischt. Zufälllig, aber doch erwischt. Ich bin so ein Jude, der gefallen will. Ich tue viel fürs Publikum. Ich reiße blöde Witze, ich ziehe eine Show ab, ich schwitze. Ich ziehe mir sogar einen Bademantel und Filzpantoffeln an.

Das Bademantelding. Der kürzlich verstorbene Udo Jürgens zog sich einen für die Zugaben über.

Auf diesen Umstand hat mich jemand aufmerksam gemacht, als ich nach Deutschland gekommen bin. Ich wusste das damals noch nicht. Meine Bademäntel sind allerdings aus Seide. Sie sollen dem Vortrag die Strenge nehmen. Es ist sozusagen der Anti-Smoking. Kurz nach Udos Tod spielte ich übrigens mit dem Quartett in Köln. Vor der Zugabe bin ich von meinem Bademantel in einen weißen geschlüpft - so wie Udo sie getragen hat. Das Publikum hat sofort begriffen, was gemeint ist und applaudierte. Da wurde mir klar, wie ikonografisch dieser weiße Bademantel war. Vielleicht erweist mir auch jemand die Ehre, wenn ich gestorben bin. Wir haben damals übrigens Udos wunderschöne Songzeile: „Was ich dir sagen will, sagt mein Klavier“ gesampelt.

Apropos Sample. Das Stück „Sample This“ hast du Rick Ross gewidmet. Das ist insofern bemerkenswert, weil er bei vielen Hip-Hop-Cracks als sell-out verschrien ist. Was gefällt dir an ihm?

So um 2010 war er mein favorite. Er hatte die größte Persönlichkeit, den massivsten Klangkörper, die mächtigste Stimme. Und dann war da dieser Skandal, wo sie herausgefunden haben, dass er im früheren Leben gar kein Obergangster war sondern Gefängniswärter. Das hätte eigentlich sein Karriereende sein müssen. Dazu kam der Beef mit 50 Cent. Alle dachten, jetzt ist es aus mit Rick. 50 Cent kam von der Straße, war der tough guy und Ross fake. Aber am Ende setzte sich die Musik durch. Schau, wo 50 Cent heute steht: er ist Geschäftsmann geworden. Rick Ross hingegen ist immer noch erfolgreich als Rapper unterwegs, weil er der viel bessere Musiker ist. „Being real“ ist im Hip Hop wichtig. Mir hat die Sache mit Rick Ross aber gezeigt, dass man nicht authentisch in Bezug auf die Person sein muss, sondern authentisch in Bezug auf deine Fantasien.

Das Stück „Advantage Point“ wiederum ist der cholerischen Tennislegende John McEnroe gewidmet.

Ich habe eine Oper über ihn geschrieben. Aber ich durfte sie aus rechtlichen Gründen nicht veröffentlichen. Seine Anwälte schickten mir sehr aggressive Briefe. McEnroe legt größten Wert auf seine Privatsphäre. Das muss man respektieren. Für mich ist er ein ganz Großer, so wie Glen Gould oder Bobby Fisher in der Musik. Athleten können große Künstler sein. Manche definieren die Regeln neu. Als Miloš Forman „Amadeus“ drehte, erklärte er dem Mozartdarsteller Tom Hulce: Schau dir Wimbeldon 1980 an, das ist Amadeus! Dieses Spiel hat dank McEnroe den Sport verändert. Die Streicher am Beginn von „Advantage Point“ klingen wettkampfmäßig aggressiv. Aber da ist dann auch der transzendentale Moment. Die Zeit stoppt und plötzlich schweben die Spieler wie Tänzer über den Tennis Court. Poesie und Brutalität, das findet man in vielen Sportarten.

Du lebst seit mittlerweile 15 Jahren in Deutschland. In jüngster Zeit ist der Antisemitismus in ganz Europa wieder auf dem Vormarsch. Wie ist es dir damit ergangen?

Deutschland musste sich nach Ende des Nazischreckens neu erfinden. Das eröffnete dem Land aber auch die Chance, in einen Zustand des post-prides einzutreten und den Nationalismus zu überwinden. Und ich denke, dass das vergleichsweise gut geklappt hat - Betonung auf vergleichsweise. Die USA oder Frankreich, wo ich eine Weile gelebt habe, sind da noch nicht so weit. Der bedingungslose Stolz auf die eigene Nation ist dort noch immer sehr stark ausgeprägt. Deutschland hat sich den nationalistischen Impuls hingegen verboten. Ich habe mein erstes Album „Gonzales Über Alles“ genannt. Meine Überlegung dahinter war: Ihr Deutschen dürft nicht stolz auf euer Land sein, also übernehme ich das für euch. Ich, der Jude, dessen Familie 1943 wegen der Deutschen aus Ungarn flüchten musste und der trotzdem zurück nach Europa gekommen ist.

Und wie steht es mit der Erfahrung im Alltag?

Ich glaube, man muss sich in Deutschland derzeit mehr Sorgen um das Wohl der Muslime machen als um das der jüdischen Bevölkerung.