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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 4. 2015 - 14:44

The daily Blumenau. Thursday Edition, 16-04-15.

Über die Unverzichtbarkeit der These. Und: warum es ohne Investigativ-Journalismus nicht geht.

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

1

Beim Umzug jüngst ist es mir wieder in die Hände gefallen. Im zum recht unbegehbaren Archiv umgerüsteten Abstellkammerl in meiner alten Wohnung hing in einem toten Winkel (und das auch nur weil die Vormieter da Nägel eingeschlagen hatten) eine gerahmte Magazincover-Seite mit mir und einem Zitat drauf. Ich hatte dieses Geschenk wie wohl jeder erhalten, der beim nämlichen Magazin eine Blattkritik macht.

Ich mochte es aus zwei Gründen nicht. Zum einen war das verwendete Foto, zumindest gefühlt, ein Jugendportrait, das der ernsthaften Seniorität der Aussage entgegenstand (Text/Bild-Schere), zum anderen war ich mit dem Satz unzufrieden.
"Beim (anonymisierten Magazin) wird zu
wenig darüber nachge-
dacht, wo die These
beim Thema ist."

Abgesehen von der hässlichen Abteilung ist das auch ein hässlicher Satz, den ich so nie gesagt haben konnte. Formal, nicht inhaltlich. Tatsächlich besprachen wir mein Grundgefühl, dass nicht nur diese Redaktion sich damit zufriedengibt ein Thema rundum (scheinobjektiv) darzustellen und zu beschreiben. Und selbst wenn sich aus einem Thema dann eine Geschichte, also ein nachverfolgbares Narrativ herausschält, vermeiden auch diese Ausnahmen gerne die These, die - meiner Meinung nach - am Beginn jedes Nachdenkprozesses, am Beginn jeder größeren Geschichte jenseits des an den stream of consciousness gemahnenden Grundton des Tickerjournalismus aktueller Prägung stehen müsste.

Von dieser Kritik nehme ich dann, wenn ich sie äußere, das jeweils eigene Medium und auch die eigene Arbeit nicht aus. Es ist eine menschliche und dann auch recht österreichische Angelegenheit, sich um die Formulierung eines eigenen Standpunkts, der dann in eine These mündet, der man nachzugehen gedenkt, zu drücken.
Weil eigenständige Positionierung jenseits Schlagzeilen-Nachgeplapperes eine mühsame Sache ist, und auch weil die Gefahr besteht, dass man im Verlauf der Suche, der Recherche und der Beobachtungen zum Schluss kommen kann, die Ausgangsthese verwerfen, umschreiben oder gar umkehren zu müssen. Und auch diese Auseinandersetzung mit der eigenen Fehlbarkeit ist mühsam.

"Die These beim Thema" ist aber der Trigger und meiner Ansicht nach der einzig mögliche Schlüssel, um in ein gutes Stück Journalismus hineinzugeraten. Egal ob es als Reportage, Analyse oder chronologische Auflistung angegangen wird. Ohne These bleiben es aneinandergereihte Buchstaben, erst mit These wird es ein Text.

Das gerahmte Bild mit der Kinderfoto und dem schiach formulierten aber wahren Satz steht jetzt also bei den anderen unaufgehängten Bildern herum, die im neuen Zuhause wohl keinen toten Winkel mehr finden werden.

2

Gestern hat der Kollege Florian Klenk, der Chefredakteur des Falterbei einer Fortbildungs-Veranstaltung über seinen Zugang zu investigativem Journalismus erzählt.

Sein Ziel war eine Entmystifizierung, das Runterbrechen des Geheimnisumwehten in eine Normalität, die jedem journalistischen professional offensteht, ganz jenseits von ökonomischen und zeitökonomischen Zwängen. Und es ist ihm gelungen, die Bilder von Deep Throat, der Woodward in der Washingtoner Garage die Watergate-Hintergründe flüstert, oder die Plastiksackerl, in denen die Worms und Klenks und Kuchs ihre brisanten Akten zugespielt bekommen hatten, zu verdrängen und durch Handlungsabläufe wie das Durchforsten von Datenbanken und Archiven, das Abklappern von Augenzeugen oder die Suche nach Geschädigten zu ersetzen, die letztlich auch eine Guantanamo-Recherche dann nicht mehr als Hexerei erscheinen lassen.

Wer sich vom mikrofonhaltenden Schoßhündchen und von der witwenschüttelnden Hyäne unterscheiden will, sagt Klenk, der braucht zuerst einmal eines: eine These. Für sich zu formulieren was man von der Geschichte will. Investigativer Journalismus, sagt Klenk, ist nicht in erster Linie eine Frage von Geld und Zeit, sondern eine intellektuelle Leistung.

Ich muss nicht erwähnen, dass ein aufgeklärter Zeitgenosse sich nicht in lachhaften Pseudo-Diskursen über (unerreichbare) Objektivität verstrickt. In weiterer Folge war jedoch auffällig, dass das allermeiste was Klenk über seine Arbeitsweise und die der anderen Handvoll an österreichischen Investigativ-Journalisten zu erzählen wusste, letztlich in einer Definition dessen mündete, was Journalismus per se leisten sollte.

Hier ein ganz aktuelles Beispiel, wie sich sowas im Tagesgeschäft ausgehen kann.

Denn die Investigation, die genaue Untersuchung, der Check, die Recherche, die vor den Interviews stattfindet um dort die substanziellen Fragen stellen zu können, das Misstrauen gegenüber sowohl offizieller Informationspolitik als auch Geschwätzigkeit etc., das ist die Basis eines Journalismus, der aus der Hamster-Tretmühle der Nachrichten-Schleuderei heraustreten will; also der eigentlichen Journalismus jenseits der Copy-Pasterei.

Das kann im Kleinen und im Unwichtigen genauso stattfinden (und würde diese Geschichten genauso wichtiger und wertvoller machen) wie im Großen und Skandalösen. Und es würde die Branche von der Gerüchte-Anfälligkeit bewahren. Klenk sagt etwa, er habe eine massiv im Netz kursierende Geschichte über einen Landeshauptmann und einen Polizeieinsatz nachgecheckt; und sie stimme schlicht und ergreifend nicht. Und es wäre nicht so schwer gewesen, das herauszufinden.

Nachher ist mir noch eingefallen, wie extrablöd in diesem Licht dann die Vorwürfe von einzelnen Verlegern sind, die den investigativen Journalismus als Sargnagel für die Branche betrachten: ein doppelter Knieschuss nämlich. Wer die Zukunft des (bezahlten) Journalismus sichern will, muss morgen das leisten, was heute die paar Investigativ-Kollegen (und die aufkommenden Datenjournalisten) machen: die gute alte Wühl- und Buddelarbeit, in der Tradition von Marienthal, Viktor Adlers Ziegelarbeiter-Arbeit oder Max Winter. Das ist das, was das bereits existente Korrektiv der Redaktionsgesellschaft nicht leisten kann. Und das ist das, was die thesen- und seelenlose Copy-Paste-Legebatterie nie schaffen wird.

3

Später am selben Tag, beim Kurzbesuch in der Zeitschriften-Abteilung der großen Buchkette (die den Besuch der klassischen Trafik längst ersetzt hat) fällt mir das Cover der österreichischen Wochenzeitung Die Furche doppelt ins Auge: "Einfach Komplex. Warum wir uns vor der Komplexität des Lebens nicht zu fürchten brauchen und simple Lösungen zumeist mehr Schaden anrichten, als sie Nutzen bringen."

Mehr und besser These geht nicht.
Auch wenn der Ausgangspunkt, wir wissen es nicht, vielleicht ein anderer war. Und mir fällt auf, dass die "Furche" oft in der Luft liegende Themen aufgreift und mit einer Headline-These verschnürt aufbereitet. Und dass das einem Medium, das in der 24/7-Timeline-Hektik nicht mitspielen kann/will, extrem guttut.

Mir fällt auch auf, dass ich die Geschichten dann in den allerseltensten Fällen lese, was eher damit zu tun hat, dass ich mit der prinzipiellen bieder-katholischen Anmutung des gern respektlos Kirchen-Blattl genannten Wochenperiodikums wenig bis nichts anfangen kann. Und versuche das für diese Ausgabe (heute erscheint bereits die neue) zu ändern.

Ein best-practice-Beispiel für die Bedeutung der These im journalistischen Zugang bleibt es allemal.