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Nina Hochrainer

Sweet Indie Music, Kleinode globaler Alltagskultur, nachhaltiges Existieren. And New York.

16. 4. 2015 - 11:17

Lost In Vinyl

Das lange Leben der Schallplatte. Zu Besuch in der New Yorker Vinylpressfabrik "Brooklyn Phono".

"Lost in Vinyl"

In der FM4 Homebase am Donnerstag besuchen wir das Vinylpresswerk Brooklyn Phono in New York, sprechen mit dem heimischen Vinylproduzenten und Plattensammler Albi Dornauer über seine Leidenschaft und stellen das Aufnahmeprojekt "78 Project" vor, das den Geist alter Musik wieder aufleben lässt. Am Donnerstag, 16.4., in der FM4 Homebase (19-22 Uhr) und anschließend 7 Tage on demand, Programmdetails hier.

Sie wird als das größte Musikcomeback der letzten Jahre gefeiert: Die Vinylschallplatte. Künstler wie Daft Punk, Jack White oder Noel Gallagher verkaufen Rekordsummen des "Schwarzen Goldes". In den USA haben sich die Verkäufe in den letzten sieben Jahren verachtfacht, allein zwischen 2013 und 2014 sind die Umsätze um 52 Prozent gestiegen. Auch wenn diese Zahlen im Vergleich zu digitalen Downloads und On-demand-Streams nur einen verschwindend geringen Prozentsatz ausmachen, so lässt sich doch von einem veritablen Boom sprechen.

Bedingt ist das nicht zuletzt durch die zahlreichen Reissues alter Klassiker (von David Bowie bis Led Zeppelin), die von Major Labels vorangetrieben werden, und durch eine junge Generation von Musikfans, vor allem aus dem Indierock-Bereich, die den Tonträger wieder für sich entdecken – angezogen von der Physikalität der Platte, dem Bedürfnis, etwas in der Hand zu halten, der besser empfundenen Soundqualität inklusive nostalgischem Rauschen und dem feierlichen Ritual des Nadel-auf-die-Platte-Legens. Wobei: In den Dance Music Genres wie House und Techno hat sich die oftmals totgesagte Schallplatte freilich immer gedreht und wurde vielleicht gerade dadurch bis heute am Leben erhalten.

Möglich ist dies alles aber nur, weil es auch 2015 immer noch Menschen gibt, die sich mit der Herstellung von Vinylschallplatten befassen – ein komplexer und langwieriger Prozess mit vielen verschiedenen Schritten. Einer davon ist die eigentliche Pressung des Vinyls – wie es in einem Vinylpresswerk aussieht, das habe ich mir angesehen.

Brooklyn Phono

Matthew Caws

Im Bild: Ein Plattenladen in Cambridge von außen

Where the magic happens
In einem wenig einladenden Teil von Brooklyn, New York befindet sich die kleine Vinylpressfabrik "Brooklyn Phono", die Tom Bernich gemeinsam mit seiner Frau Fern 2003 gegründet hat. Tom empfängt mich frühmorgens vor einem unscheinbaren, einstöckigen Gebäude – darin befindet sich die Produktionshalle, "where the magic happens". Brooklyn Phono ist laut Betreiber Tom Bernich eines von nur 28 Vinylpresswerken weltweit. Um so eines zu betreiben, bedarf es einiges an Vision, Ausdauer und Leidenschaft: "Ich dachte, Platten pressen ist wunderschön. Ich war sehr naiv, ich wusste nichts. Aber als ich einmal angefangen hatte, gab es kein Zurück mehr", sinniert Tom.

Zwei Jahre hat es gedauert, bis er es geschafft hatte, eine halbwegs anhörbare Platte hervorzubringen. "Die ersten Versuche haben furchbar geklungen", erinnert er sich, denn: Vinylpressmaschinen sind geradezu archaische Geräte, die seit Jahrzehnten nicht mehr hergestellt werden. Tom Bernich hatte kaputte Maschinen aus aufgelassenen Presswerken angekauft und dann frankensteinmäßig aus verschiedenen Teilen neu zusammengebaut.

100 Stück pro Stunde quetschen Tom und seine zirka zehn Mitarbeiter bei Brooklyn Phono aus den fünf Maschinen heraus, das sind zirka 40.000 im Monat. Dem anhaltenden Vinylhype steht also ein langsames, antiquiertes Produktionsverfahren gegenüber und die Presswerke weltweit kommen mit den Aufträgen kaum nach. Mittlerweile müssen Labels oft Monate auf ihre Bestellungen warten, darüberhinaus wird das Timing vieler Releases heute auf den Veröffentlichungszeitpunkt der Schallplatte abgestimmt. In diesem Zusammenhang stehen Majors und Indies auch in einem zunehmend härteren Kampf darüber, wer mit seinen Aufträgen bei den Presswerken weiter vorne in der Schlange steht. Zu Tom Bernichs Kunden zählen indes sowohl kleine als auch große Labels aus allen Musikgenres, sowie Galerien und Kunstprojekte.

Record Store Day 2015 auf FM4

Right now it's sexy

Auch sonst ist das rare Handwerk des Vinylpressens kein Frühlingsspaziergang: Sind die Maschinen erstmal angeworfen, wird es ohrenbetäubend laut. Es ist heiß, so heiß, dass das Brooklyn Phono jeden August in der größten Sommerhitze für zwei Wochen schließt. Und auch olfaktorisch ist das Ganze eine Herausforderung – an den Geruch von warmem Plastik muss man sich erstmal gewöhnen.

Stichwort Polyvinylchlorid: In den USA liefert eine Firma allein über 90 Prozent des für die Plattenproduktion benötigten Rohstoffs. Da dieses "Virgin" Vinyl auch teuer ist, verwendet Tom Bernich bei Brooklyn Phono fast ausschließlich recycletes Material, in dem er alte Vinylplatten in eine Häcklser wirft und zu Granulat verkleinert. Alte Junkplatten wieder in neue Musik umzuwandeln – ein schöner Gedanke. "Ich kann aber nicht einfach irgendwelche alten Platten aus einer aufgelassenen Sammlung oder vom Flohmarkt verwenden. Man benötigt 50.000 Stück einer Pressung, um eine konsistente Qualität zu bekommen." Aufgrund der Materialzusammensetzung könne das recyclete Vinyl aber sogar eine bessere Soundqualität abgeben als Virgin Vinyl, fachsimpelt Tom.

Dem aktuellen Vinylboom stehen Tom Bernich und seine Frau Fern gelassen gegenüber: "Wir haben schon viele Hypes erlebt – es kommt und geht. Right now it's sexy, it's having it's moment... but we will see."

Am Tag meines Besuchs bei Brooklyn Phono wird übrigens ein Roots-Reggae-Album von Culture gepresst. Inmitten des Produktionslärms in der Halle wird das Stück frisch aus der Presse zur Qualitätskontrolle gleich aufgelegt. Die Reggaerhythmen vermischen sich mit dem konstanten Pfauchen und Stampfen der Maschinen, die gerade ebendiese Beats auf die Platte gepresst haben. Now, that's the sound of music.