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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

14. 4. 2015 - 17:49

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 14-04-15.

Der tote Grass, das neue News und die alte Wirtschaft.

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

#literatur #nachkriegspolitik

Warum Böll und nicht Grass?

Es kommt ganz automatisch. Immer wenn von Günter Grass die Rede ist, muss ich an Heinrich Böll denken. Sogar gestern, angesichts der Todesnachricht. Ich schweife sofort zum zehn Jahre älteren, längst toten Chronisten des immer noch tief naziverseuchten Nachkriegs-Deutschland ab. Es ist wie ein Reflex. Und es kommt dann noch einmal hoch, als ich wieder das "Warum ich und nicht Grass?"-Zitat lese, das Böll anlässlich seines Literatur-Nobelpreises 1972 geäußert haben soll.

Eh, er hat schon recht. Grass war der Gehaltvollere, der Saftigere, der Literarischere, der sprachlich Wagemutigere. Und trotzdem geht's mir wie dem Stockholmer Vergabe-Komitee: zuerst Böll, dann Grass. Zuerst "Und sagte kein einziges Wort", "Ansichten eines Clowns" oder "Gruppenbild mit Dame", dann erst "Die Blechtrommel" und "Katz und Maus".

Ich habe lange gebraucht, um es zu analysieren.
Es hat sicher auch damit zu tun, dass Böll aus dem kritischen Katholizismus kommt, und somit einem Österreicher den Zugang erleichtert, den kalte nordische protestantische Fische nicht so schnell kriegen (und ich sage das als Protestant, wenn auch als streng nichtpraktizierender). Aber auch Grass war katholisch, wenn auch nicht so öffentlich.

Es hat wohl auch mit der Direktheit zu tun: bei Böll waren die Ausgangspositionen klar, die Grass'sche Annäherung an menschliche Grundverfasstheit war oft verschwurbelt. Früher hab ich das den entscheidenden zehn Jahren Altersunterschied zugeordnet. Böll hat die Nazi-Zeit als junger Mann erlebt, konkret und reflektiert, Grass nur als Halbwüchsiger, diffus und vage. Erst viel später, anlässlich der "Häuten der Zwiebel"-Aufregung rund um Grassens minderjährige Soldaten-Zeit, wurde klar, dass seine Schuld-Erfahrung Regie führte, bei vielem was danach kommen sollte.

Es ist aber wohl in allererster Linie der nüchterne, fast journalistische Ansatz Bölls, der auch seine durchaus emotional gebündelten Romane umfasst, der mich eher angezogen hat, als der des Worte-Jongleurs Grass, der dann auch zu oft in der Sorge um das Ego steckenbleibt.

Grass achte ich und nehme deshalb auch seine Israel-Kritik ernster als die vielen, die sich schon an der Form erregen mussten und so gar nicht mehr zum Inhalt vordringen konnten. Meine Zuneigung gehört aber dem anderen. Unlängst habe ich eine schon fast zerstörte Ausgabe von Bölls "Du fährst zu oft nach Heidelberg und andere Erzählungen" aus einer siechen Krankenhaus-Bibliothek gerettet. Hätte ich für kein Grass-Buch getan.

#journalismus

Was gibt es Neues?

Es gibt eine -neue News-Redaktion. Ein halbes Dutzend frischer ist in das lahme Schlachtross des heimischen Magazin-Journalismus eingeritten, hat alle Schlüsselpositionen inne und versucht jetzt etwas Neues. Meine Parteilichkeit hält sich in Grenzen: ich habe eine gemeinsame Biografie mit dem bis zur Vorwoche die Geschäfte führenden Interims-Redaktionsleiter und ich kenne&schätze einen Teil der Neuen. Und natürlich ist die erste "neue" Ausgabe noch nicht voller Aussagekraft.
Ich hab' unlängst (ganz oben in der Bibliothek, wo man mit der Leiter hinmuss) die gebundenen Ausgaben jener Zeitung eingeschlichtet, die einst - in einer vergleichbaren Anstrengung - von einem ebenso neu einreitenden Redaktions-Team produziert wurden; und ich kann mich deutlich an die Mühsamkeiten dieser Lager-Konkurrenz erinnern.

All this in mind: ich sehe die Bemühung den Spagat zwischen Seriosität und schneller Lockung zu schaffen; ich sehe den Versuch der gute "Stern" des Landes sein zu wollen; ich sehe die doch klare Abgrenzung zum "Profil", die umso deutlicher sein muss, weil beide Hefte aus demselben Verlag kommen. Ich sehe, erstmals seit Äonen, wieder eine Sportgeschichte, die ich lese. Ich sehe aber auch immer noch viel Larifari-Highlife, Getindere und Geschönebergere und Geschrödere ohne Anspruch.

Und mittendrin sehe ich einen vielleicht zufälligen, aber aussagekräftigen Schwerpunkt: Ernährung und Körper. Eh wichtig. Und eh auch interessant, mit welchen Kräutern ich vielleicht die verschleppte Grippe endgültig wegkriege. Und wie das mit dem Olivenöl ist. Und dann frag ich mich gleich wieder was viel Prinzipielleres: ist die gesellschaftspolitische Verantwortung, die Medien mit einem gewissen Generalanspruch in sich tragen, mit diesen Cocooning-Themen erfüllt?
Das ist kein Vorwurf an das neue News, das vielleicht in der nächsten Ausgabe einen anderen, nach außen gerichteten Schwerpunkt hat, der die Citoyen-Haltung betont. Das ist eine immer wieder auftauchende Frage angesichts dessen, was eine noch nicht, nicht mehr oder eh nie gesettelte Userschaft betrifft, der ich mich verbunden fühle, die ich un/bewusst immer vertreten habe und vertreten werde; die das erste neue News nicht im Gefühl ein neu konzipiertes Heft, sondern ein weiteres Wohlfühlding, das ihrem Leben Hohn spottet, sehen und wieder weglegen wird. Und dann kommt mir der Gedanke, dass es diese denkmobile, sozialgeprägte und an Widerhakenthemen interessierte Userschaft vielleicht eh gar nicht gibt. Dann wenn nämlich jene, denen ich diese Denke zugestehen würde, einen Kräuterschwerpunkt machen. Womit wieder alles in Frage steht.

#journalismus #ökonomie

Wirtschaftsabhängigkeit

In bestimmten Bereichen ist selbst dort, wo "echt neu" oder "voll ur neu" draufsteht, nicht einmal ansatzweise zu erwarten, dass es sich abseits der Marketing-Lackierung um mehr als den alten Wein in anderen Schläuchen handelt. Im Wirtschaftsjournalismus etwa.

Mehr als geile Unternehmer-Portraits im superfreundlichen Werbeumfeld, knallhart verkaufte Coverschmeicheleien, den kleinen Anleger befriedigende, an Pferderennbahn-Broschüren erinnernde Gierblätter oder die an der Schwelle zur Kritik stets haltmachende, panisch panikvermeidende vorsichtige Erklär-Arien für den aufgeklärten Finanzbürger gibt es nicht. Die nur allzu dürftige Bandbreite endet dort, wo die Interessen der Kunden, die gerne auch Besitzer sind, in Naheverhältnissen leben oder ihre Druckausübungs-Klaviatur spielen, beeinträchtigt werden; und das ist eigentlich immer der Fall.

Dementsprechend ist aufklärerischer Wirtschaftsjournalismus, der sich den Narrativen der von IV und Kammer mit Wunschaufträgen befütterten Think Tanks entzieht bzw deren Beleglosigkeit zumindest einmal thematisiert, nur in Nischen und zufälligen Vereinzelungen existent. Wobei eine zunehmend besser aufgeklärte Bevölkerung (die Schulen mit Wirtschaftsschwerpunkt sprießen ja) durchaus mehr zuzumuten wäre.

Nun ist die erste österreichische Ausgabe des renommierten Forbes-Magazins erschienen. Publiziert wird offiziell in Bratislava (steuerschonend?), die Redaktion sitzt in der Wiener Riemergasse. Sie erfüllt auch sonst alle Klischees: die lässigsten Start-Up-Portraits, Gierbefriedigung, und ein Ausflug in die Motor- und Reisebranche, die beiden journalistischen Vorreiter in Sachen unverschämte PR. Vom Cover prangt jedoch ein Coup, ein Interview mit dem Austro-Oligarchen Martin Schlaff, einem Mann, der sich in echt so abkapselt und bedeckt hält wie es Dietrich Mateschitz immer nur behauptet.

Im Gegensatz zum in Interviews verkrampften RedBuller ist der geheimnisumwitterte Schlaff (den niemand besser und faktengenauer als die 4 da portraitiert hat, auch wenn die handelnden Figuren aus rechtlichen Gründen verschlüsselt werden mussten) dann recht aussagestark. Egal ob Steuersystem, die Vielzahl der Verwaltungsebenen (Länder und Bezirke abschaffen), egal ob Ukraine-Konflikt-Erklärung (Russland nachvollziehen können ohne die Putin-Versteher-Karte ziehen zu müssen) oder Stabilität vs Demokratie in diversen Schwellenländern - was Schlaff äußert, klingt durchdacht und ist deshalb von Interesse, weil er in jedem Bereich der Verschränkung zwischen Politik und Ökonomie als wichtiger Player gilt.

Dem Interview fehlt natürlich jeglicher kritische Ansatz. Die Dankbarkeit, dass der große Gottseibeiuns überhaupt mit dem Medium spricht überlagert alles. Und weil das auch in jedem anderem österreichischen Medium so wäre (mir fielen maximal ein, zwei Ausnahmen ein), ist dieser Bückling dem Forbes-Magazin nicht zum Vorwurf zu machen. Er, der schriftgewordene Kotau vor dem Supermächtigen ist aber der einzige Grund sich das neue Magazin anzusehen. Und das ist der Vorwurf. Wobei angesichts der Erwartungshaltung auch dieses Wort schon zu hochgegriffen ist.