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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

13. 4. 2015 - 11:30

Waxahatchee

Und ewig schmerzen die 90er: Die Singer- Songwriterin Katie Crutchfield aka Waxahatchee und ihr fantastisches neues Album „Ivy Tripp“.

"You look at me like I'm a rose
Singing a song that you don't know
And you always walk so slow" - Breathless

„You“ ist das erste Wort, das man auf dem neuen Waxahatchee-Album zu hören bekommt. „You“ wie in „Du“. Personalpronomen, 2. Person Singular. Es kommt in so ziemlich jedem Waxahatchee-Song vor. Dort ist das „Du“ Ausgangspunkt und Ziel. Denn das „Du“ ist nicht nur das Gegenüber, ein Lover oder Ex-Freund oder Katie Crutchfields Zwillingsschwester Allison. Das „Du“ richtet sich auch an die Singer-Songschreiberin selbst und wird somit zum „Ich“. Die Kunstfigur spricht zur Autorin. Waxahatchee zu Katie Crutchfield. Ein alter Taschenspielertrick, wenn das Klagelied nicht zu weinerlich klingen soll. Und geklagt wird viel in den Songs von Waxahatchee.

Katie Crutchfield, Waxahatchee

Christian Lehner

Katie Crutchfield aka Waxahatchee, Berlin Feb 2015

„Das ist meine Art, zu schreiben. Meine Zwillingsschwester schreit ihren Schmerz in die Welt hinaus, ich schreie ihn in mich hinein und das mitunter auch über Umwege“, erklärt Katie Crutchfield beim Interview in Berlin.

Die Mitzwanzigerin aus der berühmt-berüchtigten Stadt Birmingham im Bundesstaat Alabama bezeichnet sich als „Punk-Rock-Girl“. So etwas sagt sich aus dem Süden der USA stammend nicht so selbstverständlich wie etwa in einer der Metropolen an der Ost- oder Westküste. Sich für Punk entscheiden heißt in Redneck County immer noch eine wild gewordene Schere riskieren - vor allem, wenn man auf der Bühne als Frau seinen Mann steht und das in den Texten auch thematisiert.

„Probleme gab’s immer wieder mit Kirchenleuten und Religionsfanatikern. In Alabama kommt es noch immer eher weniger gut, wenn man mit einschlägigen T-Shirt-Sprüchen durch die Gegend läuft“.

"Maybe you got your head caught in a ditch last night
I got to you, imparting
Now you're someone else's mess tonight"
- Under A Rock

Punk aus Redneck County

In ihrer Teenagerzeit entwickelt Katie ein Faible für Rockmusik aus den 90er-Jahren – vor allem Grunge und den Sound des Riot-Grrrl-Movements. Sie gründet mit Zwillingsschwester Allison mehrere Punkbands und macht sich einen Namen als Songschreiberin für Außenseiterherzen. Aufmüpfigkeit und Widerstandsgeist prägen bis heute ihre Songs. Auch wenn es sich dabei um Liebeslieder handelt und Katie schon lange nicht mehr in einer Punkband spielt.

Waxahatchee, so heißt ein Flüsschen in Alabama. Katies Eltern besitzen dort ein Ferienhaus. Vor vier Jahren gründete sie ihr Soloprojekt Waxahatchee und schrieb in der Abgeschiedenheit der elterlichen Datscha Songs für die ersten beiden Alben „American Weekend“ (2012) und „Cerulean Salt“ (2013). Bis heute zieht es Katie zum Songschreiben in die Wälder Alabamas. Mittlerweile lebt sie mit ihrer Schwester und einigen Kumpels aus alten Zeiten aber in Philadelphia.

„Ivy Tripp“ ist das dritte Waxahatchee-Album. Wie auch auf den Vorgängern erinnert der Sound an diverse Indie, Folk und Rockspielarten der 90er-Jahre. Liz Phair, der frühe Beck oder Rilo Kiley sind dezitierte Einflüsse auf die Musik von Katie Crutchfield. Dementsprechend krachig, ungehobelt und low-fi präsentieren sich zahlreiche Songs auf „Ivy Tripp“. Daneben stehen die Balladen. Spärlich instrumentiert, mit der Akustischen oder dem Klavier als Lead, stehen sie den Rockern um nichts nach in Sachen Benzin im Tank und Feuerzeug.

You were patiently giving me everything that I will never need - Air

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Nie Ankommen

Mit dem Erfolg im Rücken hat auch das Selbstbewusstsein als Songwriterin zugenommen. „Es ist die erste Platte, von der ich wusste, dass es eine gewisse Erwartungshaltung gibt. Zunächst dachte ich, dass der Druck übergroß sein wird. Aber dann ging alles ganz easy. Normalerweise schreibe ich alle sechs Monate ein neues Album. Dieses Mal habe ich mir einfach mehr Zeit und Raum gegeben“.

Deine große Schuld: Kollege Philipp L'heritier über den Waxahatchee Song Air

Und doch laufen auch hier wieder viele Fragezeichen durch die Texte. In der Enge aufwachsen, in die Weite aufbrechen und doch noch nicht angekommen sein, wo immer man auch dachte, hinzuwollen. Das dürfte für viele Mitzwanziger als Generationsmusik gehört werden. So wie auch bei der Australierin Courtney Barnett oder bei der Kalifornierin EMA bleibt – im Gegensatz zu den OG-Slackers – kaum Zeit für langes Nasenbohren und Löcher in den Himmel schauen. Und das, obwohl man eigentlich aus dem privilegiertem Teil der Stadt stammt.

Symptomatisch ist der Umzug Crutchfields von der ursprünglichen Wunschdestination New York, wo sie sich nur kurz aufhielt, nach Philly. Die finanziell bedingte Migration junger Künstler in nahe liegende Orte wie New Jersey, Philadelphia, das Hudson Valley oder Baltimore hat in den vergangenen Jahren zur Austrockung des Hypes um Brooklyn als Musikhauptstadt geführt. Die Peripherie ist auch hier the new loud. „Das ständige Driften und Touren hat auch seine guten Seiten“, meint Waxahatchee dazu pragmatisch: „es macht mich hoffentlich zu einer besseren Beobachterin“.

Waxahatchee suchte bisher – auch nicht untypisch für die gegenwärtigen Verhältnisse – die Defizite hauptsächlich bei sich selbst. Auf „Ivy Trip“ findet sie nun immer häufiger Anhaltspunkte außerhalb davon. Das macht Hoffnung - auch wenn unsere Bardin immer noch nicht ganz auf Du und Du ist mit dem Ich.