Erstellt am: 12. 4. 2015 - 15:58 Uhr
Geboren, um die Angst zu knechten
Hier ist ein junger Mann, ein Talent, der nicht selten barfuß auftritt. Gerne auch trägt er Mäntel, Jacketts in Schwarz oder Dunkelgrau mit keinem Hemd drunter. Da kann man also schon so einiges wissen. Hier wird gefühlt und gespült. Weich. Der englische Mitzwanziger Benjamin Clementine hat und ist eine Stimme, der das Attribut "groß" zugeschrieben wird, ein Tenor, kehlig, warm, kraftvoll, porös, mit der Theatralik muss er ein bisschen aufpassen.
Das Klavierspielen hat er sich selbst beigebracht, ohne falsche Scham nennt er sich auch "Poet" und hat sich erste musikalische Sporen als Straßenmusiker in selbstverständlich Paris erworben. Der Beginn einer 1a Künstlerbiografie, zum Glück gibt sich Benjamin Clementine auf seinem Anfang 2015 in Großbritannien veröffentlichten und jetzt auch anderswo regulär erscheinenden Debütalbum aber nun eben nur selten als der pompös schmelzende Schmerzensboy, dem die Pein der ganzen Welt aus der Trenchcoat-Tasche tropft.
Benjamin Clementine
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Allzu schnell wird der vorgelebte Schmerz in Kombination mit virtuosem Geknödel im Gesang zum einzigen Schaulauf sülzigen Selbstmitleids. Deshalb übt sich Clementine auf dem Album namens "At Least For Now" meist in Minimalismus am Piano, driftet in den Texten bisweilen ins Skurrile und Surreale weg und hält auch meist mit den Möglichkeiten seiner Stimme stilvoll hinterm Berg. Nina Simone, Erik Satie, Antony Hegarty und Leonard Cohen sind hier die Schutzheiligen.
Auf Albumlänge ist das alles zu viel der bleiernen Liedermacherei und der kauzigen Introspektive, einige toll verwirrende und komisch gruselige Songs sind auf "At Least For Now" dann doch zu finden, das Highlight ist das Stück "Condolence".
Musikalisch und stimmlich stellt Benjamin Clementine auch hier die Zeichen wieder auf Kargheit und kalte Tristesse: ein Klavier, ein Beat, der besonders dünn und schäbig daherkommt, wie auf Alufolie und alten Waschmittelboxen eingespielt. Dem gegenüber gestellt singt der Künstler jedoch nicht davon, wie arm und alleine er in der nassen Stube haust, sondern kündet vom Größenwahn.
Er singt sich sein eigenes archaisches Heldenepos, singt von seiner eigenen Geburt aus den Urgewalten: "There was a storm / Before that storm / There was fire / Burning everywhere / Everywhere / And everything became nothing again / Then out of nothing / Out of absolutely nothing / I, Benjamin / I was born".
Später doppeln sich schaurige Geisterchöre, unser Held schickt, so sagt er im Text, seine Beileidsbekundungen – "Condolence" – gleich an die Angst höchstpersönlich: "I'm Sending My Condolence To Fear". Ihn kriegt niemand unter. Selbstüberschätzung und Anmaßung sind gute Motoren der Kunst, in Kombination mit der reduzierten, spröden, dem Zerbrechen nahen Form erhält die Gleichung neues Gift.