Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Ausgegrenzt, wie niemand sonst"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

11. 4. 2015 - 14:29

Ausgegrenzt, wie niemand sonst

Keiner anderen Bevölkerungsgruppe wird in Deutschland weniger Sympathie entgegengebracht als Roma und Sinti. Eine Kulturwoche in Berlin will Vorurteile und Klischees zurechtrücken.

Der 8. April ist der internationale Tag der Roma, deshalb haben in Berlin am Mittwoch mehrere Politiker an einer Kundgebung am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma teilgenommen.

Eine ganze Kulturwoche der Sinti und Roma findet vom 7. bis zum 11. April in Berlin statt. Dabei geht es um Heimat und Internationalität, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der größten europäischen Minderheit, den Roma und Sinti, und der Mehrheitsgesellschaft - uns.
Im Aufbauhaus in Kreuzberg wurde zu Beginn der Kulturwoche auch das „RomnoKher Berlin“, eine neues Zentrum für Roma eröffnet, es soll ein Haus der Kultur, Bildung und der Antiziganismusforschung sein. Während der Kulturwoche lädt man dort und an anderen Orten zu Musik, Literatur, Theater, Kunst und Diskussionen zum Thema ein.

Zwei Roma-Musiker mit GEige und Klavier

Kulturwoche

Die Musiker Sunny Franz (Violine) und Aaron Weiss (Piano)

Wie eine neue Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt, werden Sinti und Roma in Deutschland ausgegrenzt, keiner anderen Bevölkerungsgruppe wird hier weniger Sympathie entgegengebracht. Jeder dritte Deutsche fände sie als Nachbarn unangenehm, die Hälfte der Bevölkerung denkt, dass Sinti und Roma durch ihr eigenes Verhalten Feindseligkeiten hervorrufen.

Wir Berlinerinnen und speziell Kreuzbergerinnen denken ja gerne von uns, wir wären besonders tolerant. Wer zum Beispiel in der Kreuzberger Oranienstraße an einem ganz normalen Nachmittag vor einem Cafè an einem Tischchen sitzt, wird binnen einer halben Stunde garantiert 3 bis 5 Mal um Geld gebeten. Obdachlose verkaufen die „Motz“ und den „Straßenfeger“, jugendliche Schnorrer benötigen dringend mal einen Euro, eine ältere, leicht verwirrte Frau kommt regelmäßig mit verwelkten Blumen vorbei, ein russisch sprechender Greis mit Kapitänsmütze bietet Feuerzeuge und Batterien an und Roma-Frauen aus Osteuropa, mit und ohne Kinder, strecken den Cafégästen die offenen Hände entgegen.

Da braucht man mitunter schon Geduld, wenn man nicht immer alle zufriedenstellen will oder kann. Am schärfsten und unfreundlichsten sind die Gäste aber garantiert immer den Roma-Frauen gegenüber.

Viele, die in Berlin „Roma" hören, denken zunächst an Probleme: An vielköpfige Familien, die in Parks campieren oder die in der inzwischen geräumten Favela auf einer Brache in Kreuzberg Bretterbuden errichtet haben, an Familien, die in der besetzten Schule mit afrikanischen Flüchtlingen und Obdachlosen wohnten. Roma ziehen durch die Straßen und machen Musik oder bieten an der Ampel energisch ihre Dienste als Autoscheibenputzer an. Und alle sind genervt.

Roma haben keine große Lobby in Berlin. Es gibt einzelne UnterstützerInnen, aber die Linksautonomen halten sich lieber an die Flüchtlinge aus den afrikanischen Ländern.
Die größte Hilfe bekommen Roma-Familien aus Osteuropa von kirchlicher Seite.

Dabei geht es den Roma in Berlin noch relativ gut, man kann ohne Mühe schlimmere Antiziganismus-Beispiele aus anderen europäischen Ländern finden. In Irland und Griechenland werden blonde Kinder ihren Roma-Eltern weggenommen und erst nach DNA-Tests zurückgebracht. In Ungarn werden Häuser von Roma in Brand gesteckt und es wird auf die Flüchtenden geschossen, in Frankreich werden Roma-Siedlungen mit Bulldozern geräumt. Die Solidarität unter der Bevölkerung hält sich überall in Grenzen. Die osteuropäischen Roma sind fast überall das Gesicht des Elends, das man nicht sehen will. Man tut sie ab als Armutszuwanderer, die sich nicht integrieren wollen.

Um solche Vorurteile und Klischees zurechtzurücken, die in vielen Köpfen seit Jahrhunderten verankert sind, hat der Verband der Sinti und Roma die Kulturwoche unter dem Motto „Gestatten, das sind wir“ ins Leben gerufen. „Wir Roma und Sinti sind nationale Volksgruppen mit jahrhundertealten Wurzeln in unseren jeweiligen Ländern und Nationen und damit auch so unterschiedlich in der Kultur, der Sprache und Lebensweisen wie diese Länder und Nationen“, heißt es im Grußwort zum Programm.

Zwei weibliche Puppen

Kulturwoche

Eine ganze Woche lang kann man Kulturbeiträge aus Ungarn, Frankreich, England und Deutschland: Lyrik, Marionettentheater, Musik, bildende Kunst von Sintizija und Sintos, von Romnija und Roma erleben.
Auch die Themen Antiziganismus in den Medien und europäische Strategien zur Inklusion von Sinti und Roma werden in Vorträgen und Podiumsdiskussionen präsent sein.

Wichtig ist zuerst zu verstehen, dass es nicht an dem traditionellen Nomadentum liegt, wenn Roma in den Balkanländern unter unmenschlichen Verhältnissen leben, sondern an dem abrupten politischen und wirtschaftlichen Wandel, an Umwälzungen, von denen diese Regionen heute geprägt sind.

Eine der Veranstaltungen ist die Ausstellung „Knips!“ der rumänischen Kindergruppe „Chaoskreativ“ von AspE e.V.  Die zehn Kinder im Alter von acht bis elf Jahren sind vor einiger Zeit mit ihren Familien aus einem rumänischen Romadorf nach Berlin gezogen und leben nun alle in dem Häuserkomplex der Harzerstraße in Berlin-Neukölln, welcher sich „Arnold Fortuin Haus“ nennt. In Neukölln lassen sich besonders viele Roma aus Bulgarien und Rumänien nieder - eine katholische Wohnungsbaugesellschaft hat dort mit den Roma zusammen mehrere Häuser umgebaut und bewohnbar gemacht, inzwischen sind die Neuköllner Roma-Häuser ein Vorzeige-Projekt.

Die Kinder haben sich unter ehrenamtlicher Leitung und in Begleitung von fünf jungen StudentInnen zusammengefunden, um kreativ zu sein. In der Ausstellung „Knips!“ zeigen sie Fotoprodukte ihrer Arbeit mit Einwegkameras.

Die Initiatoren der Kulturwoche fordern die Berliner auf, die Einladung zum Kennenlernen der Roma anzunehmen, man werde überrascht sein, wie viel kultureller Vielfalt man begegnen werde. Das auch medial verbreitete negative Bild der Sinti und Roma blendet deren kulturelle Vielfalt und Heterogenität ja aus.

Ausschnitt aus einer Installation - ein Rosarotes, beschmiertes Puppenhaus

Kulturwoche

Delaine Le Bas: „Kusthi atchi Tan?“ Ausschnitt, Installation, Mix Media, Wroclaw, Contemporary Museum 2014

Die Zuschreibungen der „Nicht-Sesshaftigkeit“ und „Kriminalität“ haben ihre Wirkungsmacht bis heute nicht verloren, dazu kommt bislang eine kulturelle und sprachliche Unsichtbarkeit.

Trotz fehlender Leitbilder gibt es unter Roma und Sinti eine große Anzahl angesehener Rechtsanwälte, Ärzte, Wissenschaftler oder eben Künstler. Aus Angst vor sozialer Stigmatisierung bekennen sich nur wenige, auch internationale Stars zu ihrer Herkunft: Charlie Chaplin, Yul Brunner, Greta Garbo, Serge Poliakoff, Ron Wood, Marianne Rosenberg, Drafi Deutscher oder der „Bomber der Nation“, Gerd Müller, haben Sinti- beziehungsweise Roma-Wurzeln. Eine neue Generation von Akademikern unter den Sinti und Roma geht offensiv mit diesen Stigmatisierungen um und eröffnet einen selbstbewussten Diskurs über Emanzipation, Identität und Differenz.