Erstellt am: 8. 4. 2015 - 14:33 Uhr
Europa ist groß
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Im Radio und auch als Podcast zum Anhören.
"Die Leiden des jungen Todor"
Das Buch mit den gesammelten Kolumnen gibt es im FM4 Shop.
„Über uns Roma wird nie was Schönes gesagt! Sag etwas über mich im Radio! Sag: 'Ilija aus Botevgrad ist ein cooler Typ!' Sag: 'Ilija kann fünf Fremdsprachen: Griechisch, Englisch, Französisch, Roma und Bulgarisch!'“ Ich versuche ihm zu erklären, dass Roma seine Muttersprache ist und Bulgarisch die offizielle Sprache seines Geburtslandes. Er schaut mich lächelnd an und erklärt mir: „Für dich mag Bulgarisch die Muttersprache sein, aber ich bin ein Rom und für mich ist es eine Fremdsprache!“ Seine Logik ist undurchdringlich, aber ich frage ihn, warum die Roma-Sprache auch für ihn eine Fremdsprache sein soll. Mein Sitznachbar im überfüllten Bus von Sofia nach Wien schaut mich an, als ob ich ihm die dümmste Frage der Welt gestellt hätte. „Ist für dich Roma eine Fremdsprache?“, fragt er zurück. „Ja.“ „Bist du ein bulgarischer Staatsbürger?“ „Ja.“ „Bin ich ein bulgarischer Staatsbürger?“ „Ich nehme es an.“ „Warum darf dann für mich die Roma-Sprache keine Fremdsprache sein?“ Nach seinem rhetorischen Sieg lacht lija laut auf.
Mein Gesprächspartner ist nur neunzehn Jahre alt und hat schon halb Europa durchkreuzt. Er ist ein lebendes Lexikon bezüglich der Frage, was ein Kilogramm Aluminium oder Kupfer in verschiedenen europäischen Städten kostet. Er hat überall Alteisen gesammelt. Ich frage ihn, wie. Ilija schüttelt den Kopf, „Mein Vater sammelt sein ganzes Leben lang Metalle! Das liegt mir im Blut, verstehst du!“ Nach dieser metaphysischen Erklärung über Wege, Alteisen zu sammeln, frage ich nicht weiter.
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Ilija lebte zuerst in Athen. Es kam ihm wie ein guter Ort zum Leben vor, in einem benachbarten Land, außerdem ziemlich warm. Danach kam die Krise... „Jetzt gibt es nichts für die Griechen, was bleibt für uns Zigeuner?“ sagt Ilija traurig. Danach war er in Frankreich, wo er 1000 Euro bekommen hat, nachdem er irgendeinen Wisch darüber, nie wieder zurückzukehren, unterschrieben hatte. Er bekam auch ein Flugticket zurück nach Sofia. „Diese Franzosen sind wirklich miese Kerle! In einer Woche haben sie ganze 300 von uns zurück nach Bulgarien geschickt!“
Anschließend war Ilija in England. Er erzählt mit einem Lächeln im Gesicht, wie er von den Engländern 1000 Pfund bekommen hat und etwas darüber unterschrieben hat, nie wieder zurückzukehren. „Die Engländer sind netter als die Franzosen!“, sagt er ohne zu erklären warum.
Ich frage ihn, wie Alteisen auf Französisch und auf Englisch heißt. „Oh“, sagt er, „Ich habe es vergessen, aber ich habe eh unterschrieben, dass ich nie wieder dorthin zurückkehre, deshalb ist es mir egal. Jetzt lerne ich Österreichisch!“
„Ich hoffe, dass diese Österreicher nette Menschen sind“, erzählt er weiter, „Ich habe für meine Kinder zu sorgen!“ Trotz seines jungen Alters hat Ilija bereits zwei Kinder – Petko und Nedeltscho. Seine Frau Maria ist erst sechzehn. Sie lächelt mich aus dem Bildschirm von Ilijas Smartphone mit ihrem Kinderlächeln an. Sie hält das Baby Nedeltscho stolz umarmt. Petko krabbelt im Zimmer. Zum ersten Mal verstehe ich, dass Ilija ein verantwortungsbewusster Familienvater ist, der im Westen nach Wegen sucht, um Geld für seine Familie anzuschaffen. Auf seine Art und Weise, die in seinem Blut steckt, wie er sagt. „Was machst du, wenn sie dich auch aus Österreich vertreiben?“, frage ich. „Europa ist groß, mein Bruder. Und es gibt nicht nur Europa auf dieser Welt, nicht wahr?“