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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 4. 2015 - 15:06

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 08-04-15.

Aus aktuellem Anlass: über Toleranz, Minderheiten- und Mehrheitsrechte, Diskursprobleme und Tugendtrottel.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

DER Anlass ist nicht so sehr die jüngste Gabalier-Geschichte, sondern die Seltsamkeit ihrer Rezeption in Kreisen sonst an sich intelligenter Menschen. Vor allem die komisch auslappende Diskussion um den Toleranz-Begriff.

Toleranz ist nicht viel. Duldung.
In Österreich erstmals mit dem Toleranz-Patent von Joseph II. aufgetaucht, einem der gar nicht so vielen Toleranz-Edikte der Geschichte. Darin werden (1781-85) religiöse und Gesinnung-Gemeinschaften außerhalb der katholischen Kirche anerkannt. Geduldet.

SPÄTER weitete sich der Toleranz-Begriff dann auf ideologische Fragen aus - wiewohl die Anerkennung von z.B. Sozialismus und Kommunismus im Österreich vor der 2. Republik immer nur wenige Jährchen währte. Erst in der jüngsten Zeit spielt auch die sexuelle Ausrichtung hinein. Die war früher u.a. deshalb kein Thema, weil es sich Adel, Klerus und Großbürger sowieso entsprechend richten konnten und von den strikten religiösen Regeln de facto immer ausgenommen waren.

TOLERANZ ist also letztlich gleich Duldung von Minderheiten, religiös, ideologisch, sexuell. Weiter gefasst: Duldung von anderen Meinungen und Ansichten.

Was Toleranz nie umfasst hat und auch aktuell nicht umfasst, ist die Verpflichtung, etwas abzunicken, gutzuheißen und seine Lebensentwürfe danach auszurichten.

WENN dem einen die Life-Ball-Plakate missfallen, dann darf, soll und muss er das äußern dürfen. Wenn dem anderen das Supermanderlzumpferl-Gehabe des Andreas missfällt, dann darf, soll und muss er das ebenso äußern dürfen. Und alle Beteiligten haben, zumindest innerhalb eines demokratischen Grunddenkens (was also wieder den Wahlschweizer Baumgartner eigentlich ausschließt, aber das ist ein Spezial-Problem) die Toleranz aufzubringen, der anderen Ansicht zu ertragen. Toleranz, also Duldung, bedeutet, dass die Aus-/Ansagen nicht unterdrückt werden dürfen.

IM allerbesten Fall entwickelt sich eine Diskussion zwischen Kontrahenten oder gar ein gesellschaftlicher, öffentlicher Diskurs. Wo dann jeder jede Position einnehmen kann.

SOWEIT kommt es aber im weitgehend diskursfreien Österreich gar nicht. Man bleibt bereits an der ersten Hürde hängen und hält sich mit einem Toleranz-Begriff auf, der für sich in Anspruch nimmt, dass auf öffentliche Äußerungen nicht reagiert werden dürfe; weil das bzw. die Äußerung einer Gegenmeinung intolerant wäre.

So weit, so absurd.

DIE Gefolgschaften in den niederschwelligen virtuellen Räumen, die es nicht einmal zur Wikipedia-Begriffsklärung schaffen, erhöhen dann auf intolerant ist es vor allem, weil es "eine Frechheit gegenüber einem großen Teil der Österreicher, die sich durch ihn vertreten fühlen" wäre.

HIER haben wir dann die ganz offene (und nicht einmal zynische, sondern nur strunznaive) Umkehrung des Opfer-Diskurses. Denn das was Gabalier da äußert ist selbstverständlich mehrheitsfähig - im national-konservativen Österreich ganz logisch. Insofern ist die Anrufung der Toleranz ja obsolet. Toleranz gegenüber Mehrheitsmeinungen ist ja aus sich selbst heraus gegeben.

Toleranz = Duldung (ehe wir es wieder vergessen). Das Gewährenlassen anderer Usancen. In Österreich, wo die (katholisch geprägte) Heteronormativität allen so stark in den Knochen steckt, dass nicht einmal die Aufarbeitung von Offensichtlichem gelingt, ist es die Aufgabe der flächendeckenden Manderl-/Weiberl-Ordnung, anderes, abweichlerisches zu tolerieren. Die anderssexuelle Minderheit duldet sowieso seit immer schon die vorherrschenden Mehrheits-Narrative, egal wie verquer die daherkommen.

NUN schwebt aber dieser diffuse Toleranz-Begriff herum, der in erster Linie als Totschlag-Argument dient, um ja keine Debatte eröffnen zu müssen; und der im von Weinerlich- und Eitelkeit geprägten öffentlichen Leben eingesetzt wird, um sich nach dem Äußern von unüberlegtem Blödsinn auf eine Formal-Ebene zurückziehen zu können. Genau dort steckt die Manderl-/Weiberl-Sache fest, im Unterholz der politischen Munitions-Beschaffung.

UND dann wäre da noch die Rolle der Tugendtrottel in diesem aktuellen österreichischen Dilemma. Diese Übers-Ziel-Hinausschießer, gutmeinenden Türsteher im Sinn einer besseren Lebensführung sind an der Abtötung der letzten diskursiven Zuckungen natürlich mitschuldig. Die weinerlichen Vorwürfe und falsch verstandenen Toleranzbeschwörungen, die aktuell die Narrative von Gabalier oder Strache dominieren (und der Verfasstheit des Österreichers an sich enorm entgegenkommen), sind zum Teil ein Spiegel der ebenso weinerlichen, ebenso diskursfeindlichen Methodik, mit der manch selbsternannter Sperrminoritäts-Funktionär vielleicht eh berechtigte Anliegen auf allzu dreiste Art durchzupressen versuchte. Dass nun die nationale Rechte diese Formal-Tricks und ihre Dreistigkeit kopiert, ist ihr nicht zum Vorwurf zu machen. Ganz im Gegensatz zur Verdrehung des Toleranz-Begriffs, der dieser Tage zu gelingen scheint. Auch deshalb, weil diese weitere Begriffs-Umdeutung in einer Medienlandschaft stattfindet, die an einer Klärung kein Interesse zeigt.