Erstellt am: 7. 4. 2015 - 23:42 Uhr
Courtney Barnett, Artist of the Week
FM4 Artist Of The Week
Alle auf einen Blick unter fm4.orf.at/artistoftheweek
Es war der Moment neulich im Keller der Red Gallery in Shoreditch, als Courtney Barnett in Richtung Publikum fragte, ob eh noch alle da seien. Das war kein Scherz, sondern ein Aufblitzen der inneren Unsicherheit einer Sängerin/Gitarristin/Songschreiberin, die jahrelang in Australien in nicht sonderlich erfolgreichen Bands spielte und irgendwann begann, auf ihrem eigenen Label sehr persönliche Songs zu veröffentlichen, die plötzlich alle hören wollten. Verständlicherweise kann sie es nun immer noch nicht ganz fassen, dass sich auf der anderen Seite des Erdballs ihretwegen die Hipsters in einem Gussbeton-Keller versammeln.
Das ist an sich ja auch eine gesunde Einstellung, bloß kompensieren Courtney und ihre Band hier für ihren Mangel an Arroganz, indem sie allzusehr abrocken. Nirgendwo auf dem an diesem Abend präsentierten Album „Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit“ spielt ihr Bassist Bones Sloane mit solch einem zentnerschweren Bass-Sound, noch trommelte da Drummer Dave Mudie je so, als würde er Takt um Takt eine volle Bierkiste auf die Bühne fallen lassen.
Während die Live-Inkarnation eines Songs wie „Nobody Really Cares If You're Going To The Party“ nicht mehr als ein geradliniges Neo-Post-Grunge-Riff hergibt, ist in der Studioversion alles wesentlich subtiler, ja deutet stellenweise gar schon vielversprechend in Richtung möglicher künftiger Ausbrüche aus dem Slacker-Rock-Schema, sogar hinaus aus dem Reich der witzigen und in ihrer scheinbaren Beiläufigkeit so glaubhaften Anekdoten, die Courtney in ihren Songs erzählt, und von denen im Soundbrei unter den Straßen von Shoreditch nichts zu hören ist.
Und komischerweise spricht gerade das für diese eigentlichen, hier untergehenden Qualitäten ihrer Kunst. Schließlich spielen nicht nur ihre Riffs, sondern auch ihre Texte mit dem Charme des Wiedererkennbaren, wenn auch nicht bewusst, wie sie mir beim Interview am Nachmittag gesagt hat: "Erst im Nachhinein wird mir klar, auf welche Weise diese Geschichten die Leute ansprechen."
Marathon Records
Sie spricht vom "Overstep" und dem "Overshare", also jenen Punkten, wo sie Peinlichkeit riskiert und über die Grenzen dessen hinausgeht, was normalerweise in die idealisierte Welt von Songtexten oder – denn in ihrer Sprache schwingt einiges vom Umgangston sozialer Medien mit – in die inszenierte Souveränität selbstironischer Statusmeldungen passt. „Das sind die Sachen, zu denen die Leute einen besonderen Bezug haben, weil sie Angst haben, sie anderen mitzuteilen“, sagt sie.
Allerdings, denn auch Londoner Hipsters sind Menschen, die sich – und das geht sogar jenen mit Trust Fund wohl schon so – oft keine würdevolle Wohnung in ihrer Stadt mehr leisten können, und natürlich klickt es da bei einem Song wie „Depreston“ mit seiner Beschreibung des Gefühls des Scheiterns, während man immer weiter an den deprimierenden Stadtrand hinausgedrängt wird und sich vergeblich vorsagt, dass es in der Gegend, wo man endlich was gefunden hat, eh gar nicht so schlecht sei: „Du sagtest, wir sollten weiter draußen schauen / Schaden würde es uns nicht / Wir müssen ja nicht in der Nähe von all diesen Coffeeshops wohnen / Jetzt wo wir diese Kaffeemaschine haben / Nie hatte ich einen besseren Latte / Ich spare mir 23 Dollar die Woche“
Selten wurde die ganze Bobo-Misere in 28 Sekunden schöner zusammengefasst, musikalisch perfekt gerahmt in eine stimmige Wald-und-Wiesen-Melodie/Akkordfolge (Courtney mag, wie man annehmen würde, Jonathan Richman, nennt als ihre ursprünglichen Vorbilder aber Nirvana und, ja doch, Jimi Hendrix).
Auch gut: „Dead Fox“, wo es heißt: „Jen besteht darauf, dass wir Bio-Gemüse kaufen / Und ich muss zugeben, dass ich anfangs ein bisschen skeptisch war / Ein bisschen Pestizid tut nicht weh / Ich hab nie zuviel Geld / Also kauf ich das billige Zeug im Supermarkt / Aber die pumpen da den ganzen Scheiß rein / Ein Freund hat mir erzählt, dass sie Nikotin in die Äpfel stecken / Wenn du mich nicht sehen kannst / Kann ich dich nicht sehen“.
Detto die Geschichte in „Aqua Profunda!“, wo unsere Heldin einer anderen Schwimmerin im Schwimmbad imponieren will und ihr prompt die Luft ausgeht, bis ihr schwarz vor Augen wird. Ich hatte erst verstanden, sie wäre am Beckenrand angedeppert, aber es stellt sich heraus, das hab ich dazufantasiert, Courtney Barnett erzählt ihre Stories nämlich mit reichlich Zwischenraum zum Ausfüllen. Fest steht: „Als ich wieder zu Bewusstsein kam, warst du und dein Handtuch weg.“
Marathon Records
Das sind alles weitere Beweise jenes narrativen Talents, das Barnett zuvor auf ihrer EP-Compilation "A Sea of Split Peas" in einem Song wie "Avant Gardener" vorgeführt hatte. Aber wirklich spannend wird’s ja dort, wo sie sich nicht mehr ganz erklären kann, siehe etwa das abstraktere, düstere "Small Poppies" (“Oh the calamity / I wanna go to sleep for an eternity”) oder die Lead-Single "Pedestrian at Best", von der zwar die lustige Zeile mit dem Origami hängen bleibt, in der aber auch bereits die an jenem Abend in Shoreditch auf der Bühne sichtbaren Selbstzweifel drinstecken: „Stell mich auf ein Podest, und ich werde dich bloß enttäuschen.“
Noch mehr beeindruckt mich allerdings ein Song namens "Kim's Caravan", der Ausflug nach Phillip Island, südöstlich von Melbourne, die sterbenden Seehunde am Strand, die Gedanken an das sterbende Great Barrier Reef da draußen ("it's been raped beyond belief"), ein berührendes Zeugnis der Stimmung im vom Klimawandelverleugner Tony Abbott und seinen Komplizen regierten Australien. Nicht nur der Text, auch die musikalische Begleitung dieses Songs dringt da in ganz andere Gefielde als der Rest des Albums vor.
Demnächst, wenn sie von den Alltagsbeobachtungen genug hat, wird Courtney Barnett wohl mehr in der Art schreiben, und das ist ein aufregender Gedanke.