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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

6. 4. 2015 - 19:00

EU-Strategie gegen russische TV-"Desinformation"

In Brüssel feilen PR-Experten an einer Medienstrategie gegen die Spin-Doctors des russischen Staatsfernsehens RT. Ab Herbst sollen zwei russischsprachige TV-Kanäle starten.

Seit zwei Wochen arbeitet eine "Mythbusters" genannte PR-Expertengruppe in Brüssel mit Hochdruck an einer europäischen Medienstrategie gegen die "Desinformationskampagnen" des russischen Staatsfernsehens RT. Bereits im Mai soll der im Auftrag der nationalen Regierungschefs erarbeitete Ansatz der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini vorgelegt und schon im Juni mit der Umsetzung begonnen werden.

Vor allem in den baltischen Staaten wird angesichts der großen russischen Minderheiten vorrangig Handlungsbedarf gesehen. Die Strategie ziele darauf ab, Falschmeldungen der russischen Medien zu korrigieren, hieß es bei der Vorstellung am EU-Gipfel Ende März. Beobachter bezweifeln allerdings die Effektivität eines solchen Ansatzes gegen die RT-Berichterstattung, denn "Mythbusting" ist genau jene Strategie, mit der RT seit Jahren erfolgreich ist.

Wie RT kontert

Der offizielle Launch von RT UK, einer eigenen RT-Nachrichtenschiene für Großbritannien im November fiel nicht ganz zufällig mit den umstrittenen Wahlen in der von russischen Separatisten besetzten Ostukraine zusammen.

Was die EU-Spitzen als "Desinformation" bezeichnen, geht nämlich am Sachverhalt vorbei. RT betreibt vielmehr selektive Berichterstattung und nützt jede Inkonsistenz und jede Lücke in der Argumentation des Westens, um diese insgesamt zu desavouieren. Ein Musterbeispiel dafür waren die aktuellen Berichte und empörten Kommentare westlicher Medien über die Aberkennung der Sendelizenz einer Radiostation der Krimtataren am Wochenende. RT konterte mit dem Verweis auf die Schließung von insgesamt 15 russischsprachigen TV- und Radiostationen nach dem Machtwechsel in der Ukraine. Es folgte die rhetorischen Frage, wo denn in diesem Fall die Empörung westlicher Medien geblieben sei.

Screenshot von RT-Talkshow Crossfire

RT

Peter Lavelle, Host der Talkshow "Crossfire" in RT

Wie der Spin von RT funktioniert

Anmerkung
Man beachte bei diesem und den folgenden Screenshots die Aussagen im Newsticker darunter. Es werden immer nur die Top-3 Meldungen in Schleife geschaltet.

Zentrales Element in der Medienstrategie des weltumspannenden RT-Netzwerks ist es nämlich, anderen Medien doppelte Standards in der Berichterstattung nachzuweisen. Selbst wiederum greift man mit Vorliebe Themen auf, die aus verschiedenen Gründen im Westen "underreported" sind. Aktuell sind das zum Beispiel die Bombardements der saudischen Luftwaffe im Jemen, die in den Nachrichtenblocks Europas bestenfalls als Kurzmeldungen vorkommen. RT berichtet dagegen vor Ort wie Kampfjets aus dem sunnitischen Kernland Saudi-Arabien mit Unterstützung von US-Militärberatern Stellungen der schiitischen Huthi-Rebellen bombardieren.

RT Bericht über die Bombardierung von Sanaa

RT

Die RT-Kriegsreporter zeigen dazu Bilder von verwüsteten Wohnvierteln in Sanaa mit dem Verweis, dass die bombardierten Huthis die erbittertsten Gegner des Al-Kaida-Ablegers im Jemen seien. Wenn dann noch über die Bombardements von IS-Terroristen durch die US-Luftwaffe im Nordirak berichtet wird, dann genügt der Verweis darauf, dass die USA hier mit einer von Schiiten dominierten Allianz gemeinsam Krieg gegen radikale Sunniten führen. Die RT-Berichterstattung aus dem Jemen ist also keineswegs Desinformation, sondern bildet das durch die US-Intervention im Irak verursachte Chaos einfach ab.

Die Effizienz der Moskauer Spin-Doctors bekam der vergleichsweise winzige TV-Nachrichtenkanal Ukraine Today gleich nach dem Launch im September 2014 zu spüren. Seitdem sind die beiden Sender in einen ungleichen Propagandakrieg verstrickt

Lettland und Estland

Angesichts dieser politisch-medialen Gemengelage ist es schon einigermaßen rätselhaft, wie ein EU-Ansatz des "Mythbusting" funktionieren sollte, wenn das bereits die Strategie des gegnerischen Medienimperiums ist. Obendrein setzt die von den europäischen Regierungsspitzen ausgerufene Medienoffensive ausgerechnet bei jenen beiden EU-Mitgliedsstaaten an, deren Bilanzen im Umgang mit den eigenen Minderheiten schlichtweg miserabel sind.

Bundeskanzler Wewrner Faymann in RT zitiert

RT

Mit Saudi-Arabien bietet gerade der engste Verbündete der USA reichlich Angriffsfläche

In Lettland waren 2014 etwa 14 Prozent der Einwohner staatenlos und vom aktiven wie passiven Wahlrecht, der freien Berufswahl und anderen Bürgerrechten ausgeschlossen. Dabei handelt es sich nicht um Zuwanderer, sondern vor allem um autochthone Russen, Weißrussen und Ukrainer, die bei der obligaten Lettischprüfung nicht angetreten oder durchgefallen sind und deshalb de lege keine lettischen Staatsbürger sind. Ein Referendum im März 2012 zementierte diesen Status in Lettland ein, der allen Standards der EU und des Europarats zur Behandlung ethnischer Minderheiten widersprіcht.

Russicher Weltkriegsveteran erzählt

RT

Patriotismus leistet man sich nur in den Trailern zwischen den Nachrichten. Aktuell ist dies eine Serie von Porträts über Veteranen des Zweiten Weltkriegs.

Baltische Nachrichtenkoalition

Ausgerechnet in Lettland und Estland, wo einer Gleichbehandlung aller Bürger ebenfalls mächtige Barrieren durch die einzige und obendrein schwierig erlernende Amtssprache im Wege stehen - estnisch gehört der ugro-finnischen Sprachfamilie an - soll die "Mythbusters"-Strategie von EU-Kommission und Ministerrat ansetzen. In den öffentlich-rechtlichen Medien der beiden Staaten kursieren diese Pläne für russischsprachige TV-Kanäle bereits seit Ende November. Mittlerweile stehen die Zeichen dabei auf Kooperation, indem ein gemeinsamer Nachrichtenpool gebildet werden soll, im Zentrum sollen dabei "Erfolgsgeschichten" russischstämmiger Einwohner in beiden Ländern stehen.

Medienweltmacht RT

Damit will man gegen ein globales Medienimperium antreten, das seit einem Jahrzehnt systematisch aufgebaut wurde und sich keineswegs auf das Medium TV beschränkt. RT hat nicht nur eine mit der BBC oder CNN vergleichbare Präsenz auf mehr als dreißig Satellitenpositionen weltweit, mit zwei Milliarden Zugriffen auf Youtube betreibt RT auch eine der weltweit größten Medienpräsenzen überhaupt auf dem Videokanal. Seit 2009 stellt RT sendefähiges Material kostenlos zur Verfügung, mit Ruptly.tv wurde 2013 eine eigene in Berlin angesiedelte Medienagentur gegründet.

Russischer Kriegsveteran mit drei Dutzend Orden und einer Enkelin

RT

Dazu kommt ein Team von etwa 2.000 TV-Journalisten, alles professionelle Moderatoren wie Reporter mit reichlich internationaler Erfahrung und eine geschickte Einkaufspolitik, vor allem was Dokumentationen betrifft, die von unabhängigen Produzenten zugekauft werden. Am Osterwochenende zeigte RT unter dem plakativen Titel "Greedy Liars" eine ausgezeichnete Dokumentation über rechtskonservative US-Thinktanks und Politiker, die den Klimawandel abstreiten, und von daran interessierten Großkonzernen wie den Koch Industries finanziert und gefördert werden. RT-Dokumentatіonen über den Hungerstreik der Häftlinge von Guantanamo bzw. über die "Occupy Wallstreet"-Bewegungen wurden 2012 und 2014 für die prestigeträchtigen "Emmy Awards" nominiert, 2013 gewann RT für seine Berichterstattung über den Meteoreinschlag in Tscheljabinsk beim TV-Festival in Monte Carlo.

Die Lizenzen für Videomaterial in Sendequalität von Ruptly.tv sind mit 300 Euro so billig zu haben, dass sie auch für kleine TV-Stationen leistbar sind.

Einkaufspolitik

Nicht nur Dokumentationen werden zugekauft, RT übernimmt auch TV-Shows und lässt sich dies einiges kosten. Jeden Freitag talkt hier der legendäre CNN-Host Larry King, weil dessen Streaming-Show im Netz da von RT übernommen wird. Von redaktionellen Eingriffen der Russen ist dabei nichts zu merken, denn am Freitag wurde von RT Kings Talkshow mit dem ehemaligen US-Präsidentschaftskandidaten Howard Dean ausgestrahlt. Dean bezeichnete dabei das offen diskriminierende "Gesetz zur Wiederherstellung religiöser Freiheit" ("Religious Freedom Restoration Act") des US-Bundesstaats Indiana als "extremistisch" und bigott gegenüber Homosexuellen.

EX-CNN-Talkmaster Larry King mit Howard Dean, Ex-US-Präsidentschaftskandidat im russischen Staatsfernsehen.

RT

Larry King und Howard Dean

Achillesferse Innenpolitik

Dass diese mittlerweile unter dem Druck der Öffentlichkeit etwas entschärfte schwulen- und lesbenfeindliche Regelung eines US-Bundestaats von den einschlägigen russischen Gesetzen an Bigotterie und Extremismus bei weitem übertroffen wird, fand hingegen in der RT-Berichterstattung keinerlei Erwähnung. Damit hätte man sich nämlich in die russische Innenpolitik begeben, Berichte darüber aber sind im offiziellen russischen Nachrichtenkanal ein Tabu. Das ist nämlich die Achillesferse dieser russischen Nachrichtenmaschine, die über alles in der Welt berichtet - mit strikter Ausnahme von russischer Innenpolitik. Da böte man nämlich selber reichlich Angriffsfläche.

Die Berichterstattung über Russland beschränkt sich in erster Linie auf technische Neuerungen, nicht wenige davon militärischen Charakters wie neue Kampfjets, Raketenstarts oder eben Jubiläen wie der Sieg Russlands im Zweiten Weltkriegs vor siebzig Jahren. Ansonsten handelt es sich um chronikale Ereignisse wie den erwähnten Meteoreinschlag oder den Untergang eines russischen Frachters am Freitag im Eismeer. Auch der Mord am russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow wurde ganz auf seinen chronikalen Anteil reduziert und jede politische Diskussion darüber völlig ausgeklammert.

Manipulation durch Nichterwähnung

Die einzige erkennbare Manipulation bei der RT-Berichterstattung etwa über den Konflikt in Syrien besteht ebenfalls in der Nichterwähnung von Sachverhalten, die für das Verständnis der Nachricht selbst aber essentiell sind. Nicht dazugesagt wird nämlich, dass der syrische Machthaber Baschar Al Assad Russlands engster Verbündeter im Nahen Osten ist und sich in Syrien der einzige Marinestützpunkt Russlands auf ausländischem Terrain befindet. Dieser Art von Spin ist deshalb kaum mit einem Gegen-Spin zu begegnen, weil die Manipulation ja in erster Linie durch das Vorenthalten von Information passiert. Was nicht gesagt wurde, lässt sich naturgemäß auch nicht zitieren und damit in einen anderen Kontext stellen.

Wenn die russischsprachigen Kanäle aus Estland und Lettland im Herbst 2015 bzw. im Frühjahr 2016 "on air" gehen, so ist von erheblichem Interesse daran auf russischer Seite auszugehen. Damit sind weniger die russischen Minderheiten im Baltikum gemeint, sondern die Spin-Doctors in Moskau, die wie das Beispiel von "Ukraine Today" gezeigt hat, nur darauf warten, dass ihnen neues, zitierfähiges Material zugeliefert wird.