Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Rewind unterm Regenbogen"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

5. 4. 2015 - 16:23

Rewind unterm Regenbogen

Der Song zum Sonntag: Jamie xx - "Gosh"

Nun befasst sich diese Rubrik, wie schon ihr Titel nahelegt, wöchentlich mit "Songs", gar so streng wollen wir aber mit der Kategorisierungshuberei nicht sein: Zwar tauchen im neuen Stück von Jamie xx kleine Stimmfetzen auf, mit klassischer Liedermacherei hat "Gosh" jedoch nichts zu tun, gesungen wird auch nicht.

Der Beatschnitzer und Sounddesigner der gern trübsalblasenden englischen Minimalpopper von The xx kümmert sich mit "Gosh" wieder einmal um die Beleuchtung, Dekonstruktion und Neuanordnung der Muster des Formats "Track", üblicherweise als Werkzeug für den Club geschneidert.

Jamie xx

Jamie-James Medina

Jamie xx

Mehr und mehr erscheint Jamie xx als uneitler Chronist und Archivar des Dancefloors: Seine Produktionen vibrieren vor charmanter Retromania, blicken ausdrücklich auf die Vergangenheit zurück und stellen eindeutig Signale und Referenzen heraus. Bei aller Verbeugung vor dem Gestern ertrinken die Stücke nicht in selbstgefälliger Nostalgie oder sind matte Kopien.

Jamie xx schichtet kein cooles Wissen zu überladenen Verweishöllen an, er protzt nicht, sondern löst einzelne Sounds, Rhythmus-Patterns, Samples aus dem historischen Kontext und arrangiert sie in neuen, spartanisch angerichteten Zusammenhängen.

Mit seiner Hauptband hat Jamie xx bekanntlich eine neue Musik ersonnen, in der rudimentärster Postpunk mit den allerletzten schwachen Echos von Dubstep und Bass zusammenfindet. In seinem Solostück "Far, Nearer" hat er die Steeldrum, der sonst das Flair von Sunshine-Reggae und Ferienclubanimationsexotik anhaftet, wieder clubtauglich gemacht. Und so auch klar das Vermächtnis von Imperialismus und Kolonialismus des Empires im britischen Alltag, nicht zuletzt in der Musik, herausgearbeitet.

In seiner Bearbeitung von Stücken des großen Gil Scott-Heron hat Jamie xx sich an der schrottigen und staubigen Sample-Handwerkskunst von sogenannten Indie-HipHoppern wie El-P, RJD2 oder DJ Shadow orientiert. Das ebenfalls brandneue, mit Bandkollegin Romy Madley Croft aufgenommene Stück "Loud Places" überführt einen geflüsterten Popsong hinein in die gospelhafte, fast schon spirituelle Energie einer House-Messe. Dabei hat das alles immer eine unverkennbar eigene Note.

Das Mitte 2014 erschienene Stück "All Under One Roof Raving" war Würdigung von klassischem Hardcore Rave, der Track "Gosh" ist jetzt eine Annäherung an Jungle der alten Schule. Auch dieses Stück ist aus einigen wenigen Elementen zusammengebaut. Viel passiert nicht. Ein Breakbeat läuft, wie von einem sehr alten Tape gezogen und mit einem sehr kaputten Mikrofon von außen durch die Fabrikswand aufgenommen.

Ein knapper Loop, ein verpitchtes Sprachschnippsel, kaum Veränderung. Der schmale Text des Stücks besteht aus nicht mehr als einigen Anfeuerungsrufen, die normalerweise in der Live-Situation, in der Party-Situation, beim Auftritt eines Soundsystems von einem Mann am Mikrofon aufheizend in die Crowd geschleudert würden: "Oh My Gosh!", "Hold It Down, Hold It Down". Wiederum ein Dokument der Rave-Kultur, ein seltsamer Versuch, den Zauber der Nacht auf Tonträger zu bannen.

Ab kurz vor Mitte des Stücks schleicht sich ein wunderlich schwülstiges, süßlich quietschendes Keyboard in den bislang so knochentrockenen, dunklen Track. Es wird bis zum Ende von "Gosh" nicht mehr verschwinden und die Nummer komplett vereinnahmen. Woher mag es gekommen sein?

"In Colour" wird das demnächst erscheinende Debütalbum von Jamie xx heißen, einem Mann, den man bislang eher mit den Tönen Schwarz, Weiß und Mausgrau in Verbindung gebracht hat, "Gosh" lässt diese oft von Härte und Strenge beseelte Musik namens Jungle schon einmal in freundlichen, in brandneuen Farben erstrahlen.