Erstellt am: 4. 5. 2015 - 14:16 Uhr
Zwischen Superego und Sternenpop
Es muss etwas im Trinkwasser sein, hier in Wien. Oder aber ein ansteckender Virus, der sich via elektronisch generierten Schallwellen verbreitet. Derart viele Musikprojekte, die sich atmosphärischer Elektronik verschrieben haben, hat es schon lange nicht mehr gegeben.
Egal ob "brandneu" oder schon "altgedient", der Hang zu digitalen Beats und wabbernden Synthieflächen, die Liebe zu fetten Bassdrums und engelsgleichen Stimmen, das alles vermischt sich mit farbenfrohen, grellen, intimen und körnigen Bildern zu einer herrlichen Melange österreichischer Videopopmusik.
Leyya - "Superego"
Schon mit ihrem grandiosen Video zu "Wolves" hat das Wiener Elektronik-Duo Leyya für Aufsehen gesorgt. Die sphärische und berührende Musik von Sängerin Sophie und Produzent Marco verbindet dabei konkrete Harmonien mit abstrakten Beats. Was "Superego" betrifft, die Single zum neuen Album "Spanish Disco" das am 15.5. bei LasVegas Records erscheinen wird, schnuppern die beiden mehr denn je in den geschmeidigen Pop hinein. Auch wenn der kantige und dichte Rhythmussound auditive Abstraktion zulässt, sind Vocals und Songstruktur sehr zugänglich und setzten sich sofort im Ohr fest.
Auch für die neue Single "Superego" haben Leyya mit Filmemacher Gabriel Hyden zusammengearbeitet. Das Ergebnis ist erneut ein Video, das eine Geschichte zu erzählen scheint, jedoch viel Spielraum für Interpretation zulässt. Verhandelt werden dem Anschein nach die Verstrickungen in Beziehungen, ob nun in der Laborsituation oder im alltäglichen Leben. Ein hoch emotionales Video, das - wenn man es gerne möchte - auch Platz für philosophische Gedankenspiele lässt.
My Name is Music - "Tell It To The Stars"
Ebenfalls aus Wien und auch ein Duo sind My Name Is Music. Sängerin Phoebe Hall und Musiker Niki Altmann können auf eine lange konzertante und Musik-produzierende Laufbahn in unterschiedlichen Bands und Formationen zurückblicken, doch erst mit MNIM - wie ihr Projekt schick abgekürzt wird - haben sie ihren Sound und ihre musikalische Heimat gefunden. Auch wenn sie davon gesungen haben, dass der Pop Tod ist, liefern Phoebe und Niki mit "Tell It To The Stars" ihren vielleicht poppigsten Song ab.
Neben den charmanten 80iger Disco-Referenzen fällt sofort das "neue" Trimbre in Phoebes Stimme auf. Hier dürfte die Sängerin wohl wieder mehr mit ihrem Können experimentiert haben. Das Ergebnis ist ein Stück voller Magie, durch das Akrobaten, Feuerschlucker, Jongleure und ein düsterer Wissenschaftler tanzen.
The Bandaloop - "Bonfire"
Das dritte Zweiergespann, das ebenfalls in der Bundeshauptstadt residiert nennt sich The Bandaloop. Dahinter stecken Barca Baxant (Princess Him und Silicone Pumpgun) und Justin Case (Bassist bei der Liveband von Nowhere Train) die ihre Liebe zu elektronisch generiertem Sound der 80er und 90er Jahre teilen. Der Titeltrack des Debüt "Bonfire" kommt anfangs recht düster daher. Der stampfende Beat von The Bandaloop wird aber nach kürzerster Zeit mit gutlaunigen und opulenten Synthies überlagert und man merkt sofort, dass auch hier der Pop im Vordergrund steht.
Visuell wird das Stück "Bonfire" ebenso opulent mit geschmackvoll gefilmten Tanzeinlagen umgesetzt. Zwischen slow motion und rückwärts abgespielten Sequenzen bleibt auch noch Platz für Barca und Justin, die sich passend dazu zwar in Szene, jedoch nicht in den Vordergrund setzten.
Sleep Sleep - "Just Kids (Sex Jams Cover)"
Noch zwei kleine Nachträge aus dem März. Der erste kommt von dem von mir hoch verehrten Pieter Gabriel alias Sleep Sleep. Der avantgardistische Indiepopmeister widmet sich mit seiner neuen, zweiten EP "CVRS 2" wieder Songs, die er in unnachahmlicher Weise neu interpretiert. Diesmal dabei sind etwa Titel von Damien Jurado, Bon Iver und Deerhunter. Der Song "Just Kids" von der österreichischen Punkpoptruppe Sex Jams wird durch den digitalen Fleischwolf gedreht und mit herrlich synthetisch klingenden Vocals neu interpretiert.
Schon die ersten Beats, gepaart mit den verschwommenen, körnigen Aufnahmen einer nächtlichen Stadtrundfahrt, nehmen einen sofort gefangen. Es ist eine herrlich melancholische und erfrischend geheimnisvolle Welt, die Sleep Sleep hier mit scheinbar einfachsten Mitteln entstehen lässt. Doch das perfekte Zusammenspiel von Sound, Arrangement, Produktion und visueller Umsetzung erzeugt eine dichte Gefühlswelt, der man sich nicht entziehen kann.
Erwin & Edwin feat. Alix - "Wien"
Der zweite Märznachtrag ist zum Abschluss eine gute Partynummer, die schon seit Wochen auf unserem Sender rennt und von vielen HörerInnen immer wieder gewünscht wird. Zugegeben, ihren Bandname Erwin & Edwin könnte man als Unwissender auch der österreichischen Volksmusik zuordnen. Eine durchaus witzige Vorstellung. Doch Erwin Ditchman, Edwin Supertramp, Ewald Reis-Ingwer und Eberhart Mosgruber sind alles andere als hohle Musiker. Sie verbinden Blasmusik mit elektronischen, fetten Beats im Schnittbereich zwischen jazzigem Dance und rockigem Hip Hop.
Ihr Ohrwurm "Wien", der mit Rapper Alix entstanden ist, bietet viel Identifikationsfläche. Die witzige Truppe spielt sich durch fast alle bekannten Sehenswürdigkeiten der Bundeshauptstadt, spielt sich dabei aber mit Klischees und nimmt sich selbst nicht allzu ernst. Politisch wird dann auch noch Stellung bezogen, das alles aber ohne den großen Zeigefinder. Vielmehr reflektiert der tanzbare Song den inneren Zwiespalt, den diese Großstadt zweifelsohne auslösen kann.