Erstellt am: 31. 3. 2015 - 16:47 Uhr
Abenteuer-Buch über ein Abenteuer und Bücher
Tropen Verlag
Wenn wir uns an die Bücher erinnern, die uns am meisten gepackt haben, die wir nicht mehr weglegen wollten und an die wir uns erinnern, als hätten wir die Geschichten selbst erlebt, dann sind das meistens Bücher, die von einem Abenteuer erzählen. Ein Held oder eine Heldin muss Herausforderungen meistern, Probleme überwinden, Gefahren trotzden. David Whitehouse hat auch so ein Buch geschrieben, und darin schreibt er über solche Bücher.
Anfang und Ende eines Abenteuers
Das Buch beginnt mit dem Ende der Geschichte. Wir steigen mitten im Showdown ein und merken sofort, dass es sich hier um das Ende eines Abenteuers handelt. Ein Bus steht am Rand einer Klippe, umringt von Polizeiautos. Wir kennen uns nicht aus, wissen nicht, was es mit den Insassen des Busses - eine Frau und zwei Kinder - auf sich hat, aber wir merken sofort dass hier eine Reise zu Ende geht. Eine Verfolgungsjagd deren Hintergründe wir nicht kennen - aber wir wollen es wissen. Und damit ruft "Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek" eines der besten Lese-Erlebnisse hervor: Wenn man ein Buch gerade angefangen hat, das verspricht gut zu werden, und man hat noch alles vor sich.
Die Geschichte dreht sich um den elfjährigen Bobby, der von seinem alkoholkranken Vater misshandelt wird und darauf hofft, dass seine Mutter irgendwann zurückkehren wird. Er ist einsam und wird in der Schule von Bullies drangsaliert. Doch eines Tages lernt er Rosa kennen, ein Mädchen mit geistiger Beeinträchtigung. Und ihre Mutter, Val, die als Putzfrau für eine mobilie Bibliothek - den Bücherbus - arbeitet. Die beiden nehmen ihn in ihre Familie auf und geben ihm ein Gefühl von Geborgenheit, das er daheim nicht bekommt. Die Nachbarn beäugen diese Freundschaft kritisch und sprechen von Kindesmissbrauch, der Bücherbus soll aufgelassen werden, wodurch Val ihre Lebensgrundlage verliert. Als dann auch noch Bobby wieder einmal von seinem Vater so geschlagen wird, dass er mit blauen Flecken übersät ist, packt Val ihn und ihre Tochter ein und sie fahren einfach los - mit dem Bücherbus.
Und dann waren sie fort, in ihrer riesigen, rasenden Bibliothek, fuhren in Richtung eines Ziels, das sie nicht kannten und bis jetzt auch nicht gewagt hatten, sich überhaupt vorzustellen. Es fühlte sich an, als würde man ein Buch aufschlagen, von dem man nicht das Geringste wusste.
"Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek" erzählt von jenem Road Trip, davon, wie sie den Herumtreiber Joe kennenlernen, der schließlich mit ihnen quer durch England fährt. Der kleine Junge, der auf seine Mutter wartet, die alleinerziehende Mutter und das beeinträchtigte Mädchen, der Herumtreiber, der einmal beim Militär war und vor irgendetwas davonläuft... Im Laufe der Erzählung erfahren wir viel über die Vorgeschichten der Protagonisten - David Whitehouse schafft interessante Figuren. Alle kommen aus eher traurigen und vor allem einsamen Verhältnissen, aber gemeinsam machen sie sich daran, sich eine glückliche Geschichte zu schaffen. Und um diese Kraft von Geschichten, darum was für eine Bedeutung Bücher dabei für uns haben können, darum geht es.
klett Coa
In jede Entscheidung, die sie von nun an trafen, würden das Wissen und die Erfahrung tausender Romanfiguren einfließen, deren Leben in den vier Wänden der Bibliothek enthalten waren. Für jedes Problem, dem sie in Zukunft gegenüberstanden, war in zahllosen letzten Kapiteln längst eine Lösung gefunden worden. Liebe, Verlust, Leben, Tod, all jene gewaltigen Schicksalsstürme, die über einen Menschen hereinbrechen, waren auf den Seiten der Bücher so oft überwunden worden, dass man sich ihnen niemals wieder allein gegenüberstellen musste.
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Bücher im Buch
Immer wieder bezieht sich David Whitehouse auf berühmte Erzählungen wie Gullivers Reisen, Moby Dick oder Die Abenteuer des Tom Sawyer, und verwebt sie mit seiner Geschichte. Seine Figuren lesen die Bücher aus dem Bücherbus und schöpfen daraus Mut und Ideen für ihr eigenes Abenteuer.
"Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek" ist eine Liebeserklärung an das Lesen und außerdem eine Tragikomödie, mit ziemlich viel Tragik vor allem. Dabei kommt das Buch so unschuldig daher, mit dem bunten Einband und dem Titel, der klingt wie ein Kindermärchen. Aber dahinter verbirgt sich eine schöne, spannende Geschichte, ebenbürtig denen, die im Buch immer wieder zitiert werden. Ein Buch wo man ein bisschen traurig ist, wenn man am Ende angekommen ist.