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30. 3. 2015 - 18:13

Das spanische Maulkorb-Gesetz

Geldstrafen für das Fotografieren von Polizisten, Gefängnis für Internet-Aktivismus: Spaniens rechtskonservative Regierung geht mit drastischen Mitteln gegen die Protestbewegung vor.

In Spanien liegt die Arbeitslosenrate bei 26 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 54 Prozent. Mit der Krise entstand während der letzten drei Jahre eine breite Protestbewegung. Die Regierung der rechtskonservativen Partido Popular (PP) weiß sich nun nicht anders zu helfen als mit Einschränkungen des Versammlungsrechts und der Freiheit im Internet.

Protest in Spanien gegen Sparmaßnahmen

José Ramón Otero Roko

Fotografieren verboten

Spanische Proteste auf FM4

Spain protesting again - Artikel vom März 2014

Los indignados / Die Empörten
Im Mai 2011 nahmen die Proteste mit Platzbesetzungen in spanischen Städten ihren Anfang.

Besonders umstritten ist etwa das Verbot, Polizisten zu filmen und fotografieren. Eine Zuwiderhandlung kann 30.000 Euro kosten. ORF-Korrespondent Josef Manola berichtet aus Madrid, dass diese Maßnahme von der Regierung nur sehr schwach argumentiert wird: "Im Zusammenhang mit den Kundgebungen der letzten Jahre konnten dank der Videos und Fotos, die ja meist von den Teilnehmern der Demonstrationen gemacht wurden, Übergriffe der Polizei dokumentiert werden." Als Reaktion auf die bekanntgewordenen Übergriffe hat das Innenministerium schließlich gut sichtbare Nummern auf den Uniformen der Beamten eingeführt. "Wenn aber das Fotografieren und Filmen der Polizisten bei ihren Übergriffen durch einen Gummiparagraphen verhindert wird", so Manola, "dann ist die Wirkung dieser Nummern weitgehend aufgehoben."

30.000 Euro Strafe sind im Gesetz auch vorgesehen für die Besetzung einer Bank, für das Verhindern einer Räumung oder für das Nichtanmelden einer Demonstration - letzteres kann in einem speziellen Fall sogar noch viel teurer werden: 600.000 Euro kann für nicht angemeldete Demonstrationen in der Nähe des Parlaments verhängt werden. In Barcelona war es Demonstranten in den letzten Jahren tatsächlich gelungen, Abgeordnete an der Teilnahme von Abstimmungen zu behindern. Der katalanische Ministerpräsident musste einmal im Hubschrauber eingeflogen werden. Hier habe es die Regierung also etwas leichter mit der Argumentation, sagt Manola: "Ausschreitungen, die sich gegen demokratische Institutionen und den Rechtsstaat richten, sollen nach Aussage der Regierung durch das hohe Strafmaß in Zukunft verhindert werden."

Gefängnis für Aufrufe zum Protest

Auch das Aufrufen zu Protesten im Internet will die Regierung verhindern. Drei bis zwölf Monate Haft sind vorgesehen für Internet-Aktivismus, der die "öffentliche Ordnung stört". Ein Gesetz, wie man es man sonst aus autoritären Staaten wie China kennt, mitten in der EU. Dagegen protestieren zahlreiche NGOs und Oppositionsparteien, die sich zu einer "Plattform zur Verteidigung der Informationsfreiheit" vereint haben.

Junge Menschen bei Protesten in Spanien

Rafael Egea Gómez

Die Polizei erhält mit dem neuen Gesetzespaket mehr Rechte. Sie kann in Zukunft zum Beispiel Hausdurchsuchungen und Razzien ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl durchführen: "Mit dem Argument, effektiver gegen Terrorzellen vorgehen zu können, werden diese Paragraphen von der Regierung verteidigt", berichtet Josef Manola.

Das Argument Terror schiebt die Regierung aber auch vor, wenn es Hacker geht: Schon das Defacing der Website einer regierungsnahen Institution wird im neuen Gesetz als Terrorangriff eingestuft. Dafür drohen bis zu fünf Jahre Haft.

Verfassungswidrig?

Von mehreren Seiten in Spanien werden bereits Klagen und Verfassungsbeschwerden vorbereitet. Das geht von Journalistenverbänden, die von einer Behinderung ihrer Arbeit bei Kundgebungen sprechen, über Bürgergruppen, die im Fall der Nichtgenehmigung von Demonstrationen mit drakonischen Geldstrafen rechnen müssen, bis hin zu linken Parteien, die von einem Rückschritt zu den Gesetzen aus der Zeit der Franco-Diktatur sprechen.

Beschwerden bei spanischen oder europäischen Höchstgerichten sind allerdings langwierig - die vorige Woche bereits vom spanischen Parlament beschlossenen Gesetze treten am 1. Juli in Kraft.