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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

29. 3. 2015 - 15:49

The One-Hit Parade

Ausgerechnet im Netz soll die große Zeit der Fernsehhitparade wieder aufleben.

In einer Zeit vor dem Internet, und sogar noch vor MTV, waren sie die Fenster zur Welt der Popmusik: Fernsehhitparaden wie Top Of The Pops, die Großen 10 oder Formel Eins. Sogar die ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck bot so manchen Lichtblick in der grauen TV-Landschaft der frühen 80er-Jahre. Zwar herrschte dort der heute gern nostalgisch verklärte Schlagerterror. Doch selbst der Pophasser Heck konnte sich nicht gegen die Neue Deutsche Welle stemmen, die über offizielle Verkaufszahlen in seine Sendung schwappte.

Verhaltensauffällige junge Menschen mit verhaltensauffälligen Frisuren schleppten verhaltensauffällige Instrumente an und sangen verhaltensauffällige Da-Da-Da-Texte. Da wurde das Bier sauer und die Salzstangen wurden süß.

BRD-Musikfernsehen in den 80ern: Nena wird bei Dieter Thomas Heck zu “Nicole und Band” und im Abspann auch noch ein bisschen angegrabscht.

Der ausgeflippte Hubert Kah kam beim Schlagerpublikum weniger gut an. In der oberösterreichischen Kinderfernsehstube sehr wohl.

Was für die ZDF-Hitparde Nena, Ideal oder Andreas Dorau waren, waren für die zunächst von Peter Illmann moderierte Formel Eins (ARD) The Cure, Depeche Mode oder die Pet Shop Boys. Zwischen den neuesten Musikvideos gab es einen Rundown der internationalen Charts, Interviews und Studioauftritte, die im Vollplayback-Modus vor lachhafter Deko absolviert wurden .

Trotzdem: Ich glaube, ich hätte damals lieber auf eine Woche Donkey Kong Jr. verzichtet, als auch nur eine einzige Ausgabe von Formel Eins zu verpassen. Was diese raren Popmomente mit einer zu Ende gehenden Kindheit am Lande anstellten, ist wahrscheinlich heute kaum mehr nachvollziehbar. Für mich war es, als hätte plötzlich jemand Farbe in mein Leben gegossen.

Dann kam das Kabelfernsehen. Dann MTV. Dann das Netz. 2006 flimmerte die letzte Ausgabe des international erfolgreichsten Formats Top Of The Pops über die Bildschirme. Die Fernsehhitparade wurde in Pension geschickt so wie unlängst Wetten, dass...?

Die Netzparade

Der Berliner Musikjournalist und Kurator Martin Hossbach holt nun die Fernsehhitparade wieder aus der Versenkung. Bei ihm findet sie genau dort statt, wo sie verschwunden ist: im Internet.

In der One-Hit-Parade treten 10 Bands auf, die in Berlin leben und werken. Jede Band bekommt eine frei zu gestaltende Bühne in der Kantine am Berghain. So werden sie zu Regisseuren ihrer eigenen „Videos“. Aufgenommen wird im Full-Playback Modus, genau so wie bei den großen Vorbildern in den 80er-Jahren.

Der große Unterschied zum Original: bei der One-Hit-Parade gibt es keine Wertung und deshalb auch keinen Countdown bis zur Nummer 1. Alle 10 Songs stehen gleichberechtigt nebeneinander. Jede Band bekommt gut fünf Minuten Sendezeit. In der kürzlich zu Ende gegangenen zweiten Staffel sind das Formationen wie die wunderbaren Isolation Berlin, Chuckamuck oder die Jolly Goods.

Martin Hossbach spricht im Telefoninterview über die Beweggründe hinter der nicht unaufwendigen Chose. Und er spricht mir aus dem Herzen, wenn er eine Lanze für die fantastische Idee von Pop bricht:

„Heute geht es in erster Linie um das Live-Ding. Alles muss unplugged sein, auf einem Dach stattfinden oder im kleinen Studio eines Radiosenders. Mir gefällt an Pop aber gerade das Künstliche, das Falsche und die Oberflächen. Und die Lügen und das Spiel und die Verkleidung. Interessanterweise erleben es die beteiligten Bands als Befreiung, wenn sie einmal nicht darauf achten müssen, dass jede Note sitzt. “

Die One-Hit-Parade tappt in der Umsetzung nicht in die Retrofalle. Hossbach weiß anscheinend ganz genau, dass es unmöglich ist, den Charme der alten Shows zu rekonstruieren. Außerdem sind die Originale im Netz nur einen Click entfernt. Durch eine etwas gespreizte Moderation, die von Rezensionen eines befreundeten Printjournalisten stammen, weicht Hossbach dem direkten Vergleich mit Ingolf Lück und Co. zwar etwas trocken, aber auch nicht ungeschickt aus. Die Show wirkt dadurch umso mehr aus der Zeit gefallen.

Die One-Hit-Parade ist keine Parodie sondern Hommage. Und darüber hinaus eine fantastische Plattform für neue Musik aus Berlin. Und die Signation, die hat Hossbach tatsächlich von den Pet Shop Boys geschenkt bekommen. Es ist die Bearbeitung des Stückes „One Hit Wonder“ von 1981. Idealer Titel, idealer Jahrgang. Schau‘n Sie sich das an.