Erstellt am: 28. 3. 2015 - 12:59 Uhr
Rabenschwarzer Frühling
Von Zeiten, in denen der Horrorfilm auf richtungsweisende Art das Mainstreamkino unterwanderte, als Filme entstanden, die ganze Generationen ängstigten, scheinen wir derzeit weit entfernt zu sein. Hollywood setzt weiterhin auf die Fortsetzungsmanie und lässt auch im x-ten Spukhaus-Update rachsüchtige Geister aus der Mottenkiste. Noch schlimmer, Remakes von und Prequels zu modernen Schockklassikern drohen das essentielle Mysterium um diese Filme zu entzaubern.
Sind den Produzenten wirklich alle frischen Ideen ausgegangen, wie man Kinobesucher auf kathartische Weise erschrecken kann? Oder kommt der fiktive Horror gegen das reale politische Grauen nicht mehr an, das unentwegt durch die Medien und sozialen Netzwerke spukt? Mit so einer simplen hobbysoziologischen Erklärung will ich mich nicht zufrieden geben, vor allem in Kenntnis der schauerlichen Glanzphasen der Filmgeschichte.
Der beste Weg, um als Genrefan nicht trübsinnig zu werden, ist der Besuch von Festivals. Dort laufen im besten Fall innovative Kleinproduktionen, die noch ernsthaft etwas riskieren, dort kann man im Kreise gleichgesinnter Geeks und Freaks die Lust an der Gänsehaut neu aufleben lassen.
Wer in Wien zuhause ist, wird diesbezüglich im heurigen Frühling reichlich beschenkt. So unterschiedlich ist das Angebot an spannenden Entdeckungen in der Twilight Zone von verhaltenem Grusel bis zu offensiven Blut- und Beuschel-Attacken, dass sich auch für Horrorliebhaber aus den anderen Bundesländern und benachbarten Fan-Enklaven die Anreise lohnt.
Filmmuseum
Schauriges Schengenland
Weil eben vom aktuellen Hollywood-Horror-Durchhänger die Rede war: Die wahren Connaisseure in Sachen cinephilem Terror fühlen sich ohnehin schon immer auch auf europäischem Boden heimisch. Eine Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum, einem höchst seriösen Ort, an dem schon oft auf wunderbar unseriöse Weise das Grauen erkundet wurde, erlaubt nun gezielte Einblicke in den "Schengener Schrecken". So hat der Filmwissenschaftler Drehli Robnik jedenfalls seine kleine Schau zum Euro-Horror betitelt.
Schengener Schrecken: Vom 27. März bis zum 6. April im Filmmuseum, Wien.
Inspiriert von den Großmeistern aus Italien, Frankreich oder Spanien, von Dario Argento, Jean Rollin bis zu Jess Franco, aber auch geerdet in der hermetischen Wirklichkeit der Festung Europa, nähern sich Gegenwartsregisseure in 15 verschiedenen Filmen beklemmenden Themen an.
Neben sarkastischen und blutgetränkten Satiren wie "Trollhunter" oder "Attack The Block", die auch Klischees von Mentalitäten demontieren, markieren künstlerisch strengere Filme wie Christian Petzolds sonambule Frauengeschichte "Yella" oder das tabubrechende Selbstverletzungsdrama "Dans ma peau" das andere Ende des Spektrums. Dazwischen stecken Studien der Entfremdung und Aussperrung im Zombie-Kontext ("28 Weeks Later", "Rammbock", "Les Revenants") oder auch Nicolas Winding Refns surreales Wikingerepos "Valhalla Rising".
Filmmuseum
There will be blood
Nicht nur das letztere, die Sinne benebelnde Schlachtenepos mit einem martialischen Mads Mikkelsen wurde bereits auf dem /slash Festival gezeigt. Mein geschätzter Kollege Markus Keuschnigg zaubert seit einigen Jahren mit seinem umtriebigen Team ein Programm ins Wiener Filmcasino, bei dem die Grenzlinien zwischen Kunst und Kommerz, Arthouse und Genre, Vernunftresten und Wahnsinn bewusst verschwimmen.
Auch schon eine Institution im Filmfrühling ist das /slasheinhalb-Minifestival Ende April, wo nicht nur brandneue Euro-Schocker zu sehen sind, die Markus eigentlich für die Nachtsicht-Schiene des Linzer Crossing Europe Festivals ausgesucht hat. Neben diesen Streifen feiern auch weitere neue und internationale Arbeiten aus dem Fantastik-Bereich auf der Filmcasino-Leinwand ihre Premiere.
/slasheinhalb Festival: Vom 29. April bis 01. Mai im Filmcasino, Wien
Jonas Govaert schickt etwa in seinem Debütfilm "Welp" eine Handvoll Pfadfinder in den dunklen Wald und lässt sie dort auf den totalen Horror treffen. Der Zombiethriller "Wyrmwood" aus Australien leistet sich "Mad Max"-Anleihen und mixt postapokalyptische Action mit bewährtem Untoten-Splatter. Neben dem höchst unterhaltsamen Retro-Schocker "The Guest" von /slash-Stammgast Adam Wingard, der alle Achtziger-Knöpfe drückt, besonders vielversprechend: Das Regiedebüt von everybody’s darling Ryan Gosling. In "Lost River" begibt er sich auf die Spuren von Lynch, Jodorowsky und anderen Traumwandlern zwischen Schattenreich und gleißendem Licht.
slashfestival
Warten, bis es dunkel wird
Wer beim letzten /slash im letzten Herbst den so ziemlich furchterregendsten Horrorfilm von 2014 verpasst hat, der wohl doch keinen regulären Kinostart mehr bekommen wird, kann "It Follows" demnächst bei einem anderen Wiener Festival nachholen: Die Fright Nights finden heuer im Kino im Gasometer statt und bieten ein dichtes Programm.
Das Science-Fiction-Drama "Autómata", bei dem es Antonio Banderas mit gefährlichen Androiden zu tun bekommt, ist beispielsweise nur in diesem Rahmen auf großer Kinoleinwand zu erleben. Handfesten Hinterwäldler-Horror versprechen die "Fright Nights" dagegen mit "Charlie’s Farm", inklusive den Genre-Ikonen Kane Hodder und Bill Moseley, während sich "The Town That Dreaded Sundown" (Warte bis es dunkel wird) angeblich quer durch das Slasher-Genre zitiert und in Sachen Meta-Manie fast an "The Cabin In The Woods" heranreichen soll.
Fright Nights – Das ultimative Festival der Angst: Vom 10.- 19. April im Gasometer, Wien.
Ebenfalls interessant: Der psychedelische anmutende österreichische Film "The Meadow", mit Musik der steirischen Countrymelancholiker Spring and the Land. Und dann natürlich "V/H/S Viral", der dritte Teil der Found-Footage-Reihe, der Stories rund um geistesgestörte Illusionisten, magische Maschinen und mexikanischen Todeskulte in rohe Wackelkamera-Bilder verpackt.
Northern Lights Films
Natürlich kann man sich viele der hier genannten Filme auch zuhause ansehen, im besten Fall auf möglichst fettem Bildschirm, statt am mickrigen Laptop. Die große Leinwand, die bei gelungenen Genrefilmen besonders aufgekratzte Stimmung im Saal, die Gespräche danach mit Leuten, die man oft nur bei solchen Gelegenheiten trifft, all diese Dinge, die das spezielle Festival-Feeling ausmachen, lassen sich aber im Wohnzimmer nicht erleben. Wir sehen uns also im Kinofoyer, irgendwann in diesem herrlich rabenschwarzen Horrorfrühling.