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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

30. 3. 2015 - 17:04

Das wahre Leben im falschen

Ein alter Philosoph und eine frühreife Lebenskünstlerin wollen einem gehypten Jungschriftsteller das Buchprojekt versauen. Das rasante Romandebüt von Richard Schuberth.

Was machen deutschsprachige JungschrifstellerInnen, um ernst genommen zu werden und sich als seriöse AutorInnen zu positionieren? Sie setzen sich mit der jüngeren Vergangenheit auseinander und schreiben etwa einen Holocaustroman. So schreibt es zumindest Richard Schuberth in seinem Debütroman "Chronik einer fröhlichen Verschwörung" und holt gleich drauf aus, um einen witzigen und intelligenten Rundumschlag auf Literaturszene und Popkultur zu machen.

Mädchen mit Rucksack auf dem Cover von Richard Schuberths "Chronik einer fröhlichen Verschwörung".

Zsolnay Verlag

"Chronik einer fröhlichen Verschwörung" von Richard Schuberth ist im Zsolnay Verlag erschienen.

Protagonist in Schuberths Roman ist Ernst Katz, ein siebzigjähriger Philosoph und Literaturwissenschaftler, der die letzten Jahre zurückgezogen in seiner Wiener Wohnung verbracht hat. Doch jetzt hat er einen Grund, wieder in die Welt zurückzukehren, ein Anliegen. Er will das Andenken seiner ehemaligen Geliebten retten, Klara Sonnenschein, einer jüdischen Philosophin und KZ-Überlebenden. Denn ausgerechnet der gehypte und in Katz' Augen überschätzte Jungautor René Mackensen will ihre Lebensgeschichte für ein Romanprojekt ausbeuten.

Nach Auschwitz kein Gedicht mehr

Die Verwertung der Vernichtung der europäischen Juden geht für Katz gar nicht, ob "Holocaustprosa", Nazi-Musical, das engagierte KZ-Drama oder die beherzte filmische Anklage, wenngleich sie alle mittlerweile zum Genrerepertoire zählen: "Ein zweites Mal seien die Gemordeten wehrlos gegen ihre industrielle Verwertung. Die Nazis hätten Lampenschirme aus ihren Häuten gemacht, die engagierten Künstler kritzelten drauf, wie arm die Opfer und wie böse die Täter gewesen seien, oder bemalten sie mit erschütternden Actionszenen. Dafür regnete es Literaturpreise und Césars und Oscars und Goldene Bären." Fesselnd lässt Schuberth im Roman das Adorno-Diktum von "Nach Auschwitz kein Gedicht" zwischen "Diskursverwaltern" und "Leichenschändern" verhandeln.

Zwei wie Pech und Schwefel

Katz schickt sich an, das Romanprojekts Mackensens zu verhindern. Unterstützung bekommt er dabei von Biggy, einer frühreifen 17-jährigen Lebenskünstlerin, die Katz bei sich aufnimmt. Doch Biggy macht nur unter der Bedingung mit, dass Katz zu ihrem Lehrer wird - wobei sich ihre Rollen im Laufe des Romans des öfteren ändern: Katz zeigt Biggy, was sie lesen, hören und wie sie denken soll. Sie wiederum zeigt ihm das reale Leben, in Shopping Malls, Bars oder auf Pornoseiten.

Mit viel Witz lässt Schuberth Katz alle möglichen Ausprägungen der Popkultur analysieren, von den Simpsons ("konformistische Unterhaltung mit ein paar kritischen Pointen") und South Park ("freakige Tabubruchbrachialität von Nerds, die an politischer Korrektheit schmarotzen") über Diskursrock ("Exzentrikclowns"), bis zu deutschsprachiger Gegenwartsliteratur, für die er sogar eine Typologie parat hat: "Streber, Mothafucker, Sensibelchen, zudem [...] die DDR-Aufarbeiter, die Testosteronslawen, die multiplen Gewissensbefriediger, die Sprachspielautomaten und die Essayistendarsteller."

Schuberth selbst in diese Typologie einzureihen, gestaltet sich kompliziert, für mich findet er sich am ehesten zwischen "Streber", "Mothafucker" und "Testosteronslawen" wieder: intelligent, aus den Niederungen der Popkultur, wäre aber irgendwie doch gern Säufertyp.

Von A bis Z in 25 Schritten

Katz Philosophiestunden und wütende Tiraden gegenüber Biggy sprühen vor gelungenen Formulierungen, Witz und intelligenten Gedanken - Katz muss auch öfter einstecken - aber die Lektionen werden leider bald redundant, weil der Autor kein Thema auslassen kann: Castingshows, Protestbewegungen, Kino (Inglorious Basterds) - auch FM4 bekommt als fmx ein eigenes Kapitel gewidmet.

Zudem treibt der Plot um die Verhinderung des Holocaustromans nicht so richtig, wird aber mit der Zeit immer abgedrehter und übertriebener. Mackensen wird auf eine Schnitzeljagd nach Klara Sonnenschein geschickt, nach Serbien und Israel, wo ihm absurde Dinge zustoßen.

Nüsse und Schokolade

Die wachsende Unzufriedenheit, die sich bei mir nach anfänglicher Begeisterung breit macht, kommt daher, dass Schuberth sich selbst nicht an die Worte hält, die er dem Kritiker Katz in den Mund legt: "Wenn man wie ich die Tage zählen kann, die einem noch bleiben, will man sich nicht durch den Handlungsmüll fressen, bis man mal auf einen klaren Gedanken stößt. Es gibt Texte, da ist jeder Satz ein Universum aus Gedanken. Ich will an die Nüsse, die Schokolade verklebt mir die Phantasie - und kratzt im Rachen."

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Manchmal blitzen auch weiter hinten im Buch noch sehr schöne Gedanken auf, über Freundschaften etwa, die Gesellschaft im Allgemeinen, Deutungsmacht, aber die werden seltener, bzw. gehen im Inhalt unter. Von hinten bis vorne großartig bleiben die Gedichte und Briefausschnitte Klara Sonnenscheins, mit denen Schuberth jedes Kapitel beginnt. Sonst hätte es dem Debüt gut getan, ein paar Wendungen der Story zu streichen und den Text ein bisschen zu straffen. So oft wie ich beim Lesen gelacht habe, bin ich dennoch auf einen Nachfolger gespannt.