Erstellt am: 28. 3. 2015 - 10:33 Uhr
Girl In A Band
Kim Gordon beginnt ihre Memoiren am Ende - mit dem letzten Sonic-Youth-Konzert in Südamerika und der Beschreibung der bizarren, aber in Rockkreisen gar nicht so ungewöhnlichen Situation, miteinander auf der Bühne zu stehen, aber nichts mehr miteinander zu reden.
Dey Street Books
Schon auf der ersten Seite mokiert sie sich über das angeberische Rockstar-Gehabe ihres zukünftigen Ex-Mannes und da ahnt die geneigte Leserin schon: Das ist nicht nur eine Musikerinnenbiografie, sondern auch eine Abrechnung. Als Kim Gordon und Thurston Moore ihre Trennung nach 27 Ehejahren bekanntgaben, waren die Fans schockiert. Denn die beiden waren doch das Vorzeigepaar des Indie-Rock, die moderne Version des des romantischen Künstlerpaares, bei dem Kunst, Alltag und Familie eins werden. Für die Generation der Babyboomer waren Moore und Gordon zudem ein Vorbild, bloß nicht so wie die eigenen Eltern zu altern.
Am interessantesten ist "Girl in a Band" aber, wenn es nicht um Musik und zerbrochenes Eheglück, sondern um Gordons Kindheit und Jugend in Los Angeles geht. Als weißes Mittelschichtsmädchen aus Südkalifornien spürte sie "eine besondere Art von Unbehagen aufgrund des ständigen Drucks, glücklich zu sein, neu zu sein, zu lächeln. Und unter alledem Schatten und Risse und Brüche - der pure Freud’sche Todestrieb."
What it feels like for a girl Natalie Brunner in Flimmern über Kim Gordon.
Kalifornien ist in ihren Teenagerzeiten ein Ort des Todes, umso mehr seit den Morden der Manson Family und den Toten des Alamont-Konzerts 1969. Von den Sechzigern in LA springt die Autorin immer wieder ins New York der Achtziger und in die Gegenwart, da fällt es mitunter schwer im Rhythmus der Erzählung zu bleiben. Schlüsselmomente werden mehrfach angekündigt und Pointen vorweggenommen, aber um Pointen oder Humor geht es in "Girl in a Band" auch nicht, es ist kein besonders vergnügliches Buch. Kunst und Indie-Rock sind schließlich ernste Angelegenheiten.
Sonic Youth waren immer mit New York verbunden, aber auch diese Geschichte ist eine von gebrochenen Herzen - immer wieder wird beklagt, wie sich seit den seligen Postpunkzeiten in den Achtzigern, nach dem großen Aufräumen von Bürgermeister Giuliani in New York alles ins Ungute verändert hat.
Von den Anfängen der Band erfährt man wenig, nichts von den euphorischen Momenten, die es doch in jeder Bandbiografie gibt: Wir haben eine Band! Wir machen eine Platte! In Gordons Erzählung hört sich sogar die erste Welttournee nach ermüdender Rockroutine an.
Vielleicht liegt es daran, dass Gordon mehr in der Kunst- als in der Musikszene zu Hause ist. Seitenlang berichtet sie, welche tollen Künstler sie persönlich kennt: Mike Kelley, Raymond Pattibon, Dan Graham, Richard Price, Gerhard Richter, sogar in Cindy Shermans Wohnung hat sie eine Zeitlang gelebt! Die Klatsch- und Tratschgeschichten aus der Rockwelt hingegen bringen wenig Überraschendes ans Licht: Kurt Cobain war hochsensibel, Courtney Love ist eine gestörte, unerfreuliche Person, Billy Corgan von den Smashing Pumpkins eine arge Heulsuse, Neil Young wiederum sehr kollegial und ein rundum feiner Mensch.
Wie ist es so, als Frau in einer Band zu spielen? Diese dämlichste aller Musikjournalistenfragen wurde in den Neunzigern Frauen, die in Bands spielen, wohl weltweit gestellt. Darauf bezieht sich auch der Titel "Girl in a Band". Wer aber eine tiefergehende Analyse oder Beschreibung der Geschlechterverhältnisse in der Popkultur erwartet, wird enttäuscht. Gordon beklagt ein wenig die Pornografisierung der Popfrauenkörper bei Madonna und Lana del Rey, gibt aber zu, dass Marketingmechanismen auch bei ihrem Styling eine Rolle spielten: "Mitte der Neunzigerjahre freundete ich mich langsam mit einer neuen Idee an: Wenn man sich sexyer anzog, konnte man dissonante Musik leichter verkaufen." Die letzten Kapitel ihrer Memoiren hat Gordon ganz der Trennung von Moore gewidmet, die Analyse lieferte sie bereits auf den ersten Seiten:
"Die Beziehung, die jeder für glücklich, normal und stabil hielt, die jüngeren Musikern Hoffnung machte, sie könnten die irrwitzige Welt des Rock'n'Roll unversehrt überleben, war jetzt nur noch ein weiteres typisches Beispiel für eine gescheiterte Ehe: ein Mann mit Midlifecrisis, eine andere Frau, ein Doppelleben."
Es tut weh zu lesen, wie die coole Kim Gordon gar nicht mehr cool ist und immer wieder in den Mails und Textnachrichten ihres Mannes herumstöbert und immer wieder neue Lügen und Geheimnisse entdeckt.
Aber die ganze Welt soll wohl wissen, dass der schwierige und aufbrausende Gitarrengott Thurston Moore sich von einem verrückten Groupie hat aufs Kreuz legen lassen und dadurch seine Band und seine Familie verloren hat. Von Vergebung keine Spur. Kim Gordon war stets ein Role Model für jüngere Frauen und Musikerinnen und nach der Lektüre von "Girl in a Band" wünscht man sich, dass sie in Zukunft ein Role Model für ihre Altersgenossinnen werden könnte: 60, Single und glücklich mit vielen Freunden und interessanten neuen Musik- und Kunstprojekten.