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Ali Cem Deniz

Das Alltagsmikroskop

31. 3. 2015 - 15:04

Die Angst vor gottlosen Zonen

Glauben wir mehr als wir glauben?

Vor langer Zeit hatten aktionistische KünstlerInnen auf den Straßen von Salzburg "gottlose Zonen" eingezeichnet. Ich stand jeden Tag neben einer solchen gotteslosen Zone und wartete auf den Bus.

Dabei bemerkte ich, dass viele vorbeigehende Menschen plötzlich vor der Zone stehenbleiben und nach einem kurzen Moment der Verwirrung entweder einen Bogen um die Fläche machen oder darüber springen. Das waren vermutlich keine gottesfürchtigen Menschen und dennoch hat auch für sie diese plötzlich auftauchende gottlose Zone eine Art Tabu markiert.

Weißer Quader

https://www.flickr.com/photos/hinkelstone/

Die Stadt ohne Gott

Die Aktion brachte anscheinend so viele Leute dazu, über Existenz oder Nicht-Existenz von Gott nachzudenken, dass man hätte annehmen können, die katholische Kirche hätte diese Zonen eingezeichnet. In Österreich sind jedoch an die zwei Millionen Menschen konfessionslos und zumindest in urbanen Gegenden kann man "ziemlich gut ohne Religion leben". Diese These hat der amerikanische Theologe Harvey Cox bereits 1965 in seinem Buch "Stadt ohne Gott" (The Secular City) aufgestellt. Als Theologe forderte er, dass die Kirche sich den heutigen Zeiten anpasst. Das ist zum Teil passiert – aber auch die "Gläubigen" haben sich angepasst.

Auch heute nämlich bleiben viele Praktiken des religiösen Lebens lebendig. Während der Fastenzeit tauchen in vielen Medien Artikel auf, die erklären wie gesund Fasten sein kann, und sogar der Schweinefleischmarkt leidet unter fleischkritischen Beiträgen. Beim Verzichten kann man aber auch speziell kreativ sein. Manche verwenden während der Fastenzeit kein Smartphone, andere stellen ihren Facebook-Account ruhend... das sind schließlich für die meisten auch größere Herausforderungen, als der simple Verzicht auf Schweinefleisch.

Religiös sind die Anderen

Beten und Meditation sollen übrigens Schmerzen vertreiben und bei einem Burnout kann man sich in's Kloster zurückziehen. Es gibt also weiterhin viele Möglichkeiten, Religion zu praktizieren – für viele Menschen allerdings am ehesten, wenn es praktische Gründe dafür gibt. Die Verbesserung und Disziplinierung des Selbst, das Streben nach einem ganzheitlichen Leben und die Suche nach der "Mitte" sind beliebte Motivationen. "Richtig religiös" sind dennoch eher "die anderen" – obwohl auch viele MuslimInnen nach (pseudo-)wissenschaftlicher Legitimation für entsprechende Einkehr suchen und etwa davon schwärmen, dass das tägliche Beten gut für die Durchblutung und für die Gelenke sei.

Schweinefleisch für den Säkularismus

Dennoch muss vorwiegend der Islam und manchmal auch weiterhin das (orthodoxe) Judentum als "Gegenbild" zum "säkularen Westen" herhalten. Im Rahmen von Kopftuch-, Beschneidungs- und Islamismusdebatten wird das Verhältnis von Staat und Religion diskutiert.

FM4 Auf Laut

Dienstag von 21 bis 22 Uhr auf Radio FM4 und anschließend 7 Tage on demand.

In Frankreich fordert Marine le Pen Schweinefleisch an allen Schulkantinen: Nur so könne der Säkularismus gerettet werden und die Religion aus der Öffentlichkeit ferngehalten werden. Dennoch betont sie, dass die französischen Traditionen aus dem Christentum stammen. Und auch Sarkozy sprach mit Begeisterung und großem Respekt über die christlichen Wurzeln Frankreichs. Letztes Jahr organisierten religiöse Rechte Demos mit über 100.000 TeilnehmerInnen gegen die Ehe von Homosexuellen. Für Michel Houellebecq hingegen ist eine Gesellschaft ohne Religion nicht überlebensfähig .

Das Beispiel Frankreich und die weiterhin lebendigen christlichen Praktiken zeigen, dass der scheinbare Rückgang von Religion aus der Öffentlichkeit und vermehrte Kirchenaustritte nicht unbedingt bedeuteten, dass die "gottlosen Zonen" größer werden.

FM4 Auf Laut: Believe it or not?

Ein FM4 Auf Laut über Spiritualität, Atheismus, Religionen und Ersatzreligionen. An die zwei Millionen Menschen sind in Österreich konfessionslos. Glaubst du an etwas oder nicht? Claus Pirschner diskutiert darüber mit AnruferInnen und Gästen. Im Studio sind Philip Sager, der oberste Maccherone der Kirche des fliegenden Spaghettimonsters, sowie Sarah Egger. Sie studiert Gender Studies und Theologie und weiß derzeit nicht, woran sie glauben soll. Mitdiskutieren kannst du unter 0800-226 996.