Erstellt am: 26. 3. 2015 - 19:00 Uhr
TTIP: Datenschutz doch Verhandlungssache
Obwohl seitens der EU-Kommission stets beteuert worden ist, Datenschutz stehe im Freihandelsabkommen mit den USA nicht zur Diskussion, wird sehr wohl ein Kapitel zum Datentransfer in TTIP enthalten sein. Von der Öffentlichkeit fast unbeachtet hatte dies einer der höchsten EU-Beamten bereits vor einer Woche mit der Aussage bestätigt, dass die Verhandlungen über Datenaustausch im Rahmen von TTIP erst dann beginnen könnten, wenn die EU-Datenschutzverordnung beschlossen sei. Die gravierenden Änderungen am Parlamentsentwurf durch den Ministerrat stehen also in direktem Zusammhang mit dem TTIP-Vertrag.
Den Auftakt zur angekündigten PR-Offensive zu TTIP setzte die Kommission gleich selbst mit der Veröffentlichung der Broschüre "Die Top 10 TTIP-Mythen". Den angeblichen Mythen der Kritiker werden da nicht etwa Zahlen oder Fakten entgegengehalten, sondern Behauptungen wie bisher. Als Gewinner des Abkommens wiederum werden nicht etwa europäische Auto-, Pharma- oder Chemiekonzerne dargestellt, sondern exportwillige Zuckerbäcker, Produzenten von bemalten Tellern oder Sonnencremes. Gleich die zweite dieser "TTIP-Erfolgsstories in spe" über die angeblichen Exportchancen französischer Austernzüchter aber ist nachgerade faktenwidrig (siehe unten).
Public Domain
Die Demontage der Eckpfeiler
Was Datentransfers als Verhandlungsgegenstand von TTIP betrifft, so stünden die Europäer "theoretisch auf derselben Seite wie die USA", so wird Juhan Lepassar, Kabinettsschef des Vizepräsidenten der Kommission, Andrus Ansip, auf der jährlichen transatlantischen Konferenz der US-Handelskammer zitiert. Bevor die EU-Datenschutzverordnung nicht beschlossen sei, "können wir solche Konzepte nicht in die Verhandlungen aufnehmen", sagte Lepassar vom Nachrichtenportal Euractiv, dem einzigen Medium, das darüber berichtet hat.
UPDATE: Stellungnahme der EU-Kommission
Die EU-Kommission legt Wert auf die Festellung, dass Lepassar nur gesagt habe, es sei ihm bewußt, dass die Frage der Datentransfers ein Thema in TTIP sei und dehalb sei es notwendig, die EU-Datenschutzrichtlinie schnell zu beschließen.
In einer TTIP-Resolution des jüngsten EU-Gipfels werden die Mitgliedѕstaaten und die EU-Kommission aufgefordert, "die Vorteile des Abkommens verstärkt zu kommunizieren und den Dialog mit der Zivilgesellschaft voranzutreiben".
Das erklärt, warum der EU-Ministerrat den Parlamentsentwurf zur Datenschutzverordnung gerade in jenen Punkten nachhaltig demontiert, die den Interessen von Verarbeitern gewaltiger Mengen an personenbezogenen Daten, also US-Internetkonzernen, im Wege sind. Nach dem Willen des EU-Ministerrats sollen dafür gerade die Eckpfeiler der europäischen Datenschutzgesetzgebung abgeschafft werden, wie die Zweckbіndung der Verarbeitung personenbezogener Daten.
Public Domain
Datenschutz als "One-Stop-Shop"
Wer persönliche Daten bei einem Internetportal eingibt, um einzukaufen, stimmt nach derzeit gültigen Datenschutzgesetzen zu, dass seine Daten dafür verarbeitet werden. Die Abänderungen des Ministerrats machen daraus eine allgemeine Zustimmung zu allen nur denkbaren anderen Datenverarbeitungen inklusive des Verkaufs an Dritte. Im EU-Jargon wird eine solche Vorgangsweise "One-Stop-Shop" genannt, seitens der Politik wird dazu gern ins Feld geführt, dass die Benutzer heutzutage ja keine Scheu mehr hätten, ihre persönlichen Daten etwa in Facebook selbst publik zu machen. Dass dies zumeist in Unkenntnis des daraus resultierenden Risikos geschieht, wie der Zuwachs der Fälle von Mobbing und gezielten Datenklau-Attacken zeigt, wird nicht erwähnt.
Europe vs. Facebook
Ein Leak des aktuellen Verhandlungsstands zeigte bereits zu Jahresanfang, dass der Parlamentsentwurf zur Datenschutzverordnung im EU-Ministerrat regelrecht demontiert wird.
Die Klage von Max Schrems gegen Facebook vor dem EU-Gerichtshof für Menschenrechte, die am Dienstag in Luxemburg angehört wurde, betrifft ebendiese Datenflüsse über den Atlantik. Rechtliche Grundlage dafür, dass personenbezogene Daten aus Europa überhaupt in den USA verarbeitet werden dürfen, bildet der sogenannte "Safe Harbour"-Vertrag, der die Integrität und Sicherheit dieser Daten garantieren soll.
news.ORF.at
De facto wird durch "Safe Harbour" überhaupt nichts garantiert, denn eine bloße formale Erklärung eines US-Unternehmens, die europäischen Daten adäquat zu schützen, genügt. Auch hier handelt sich um ein "One-Stop-Shop"-System für Internet- und Finanzkonzerne, das noch dazu ohne Kontrollen auskommt. In den mehr als 15 Jahren seines Bestehens ist kein Fall öffentlich bekannt, in dem "Safe Harbour" wegen Verstößen zu Sanktionen geführt hätte.
"Safe Harbour", ohne Garantie
Bei der Anhörung in Luxemburg am Dienstag mussten die Vertreter der EU-Kommission letztendlich einräumen, dass der "Safe Harbour"-Vertrag mit den USA besonders angesichts der flächendeckenden Überwachung durch US-Geheimdienste keinerlei Schutz europäischer Daten gewährleisten kann. Die einzige Empfehlung, die der Anwalt der Kommission an Max Schrems zum Schutz seiner Daten hatte, war, sein Facebook-Konto eventuell zu löschen.
"Von der Papierform wäre Safe Harbour gar nicht schlecht, leider funktioniert es bis heute nicht", weil nichts überprüft werde, meint Erich Schweighofer, Professor für Rechtsinformatik und Völkerrcht in Wien.
Diese Bankrotterklärung einer Politik, die Datenschutz seit jeher als reine Formsache behandelt, weil sie ohnehin nicht durchsetzen kann, dass sich US-Firmen sich an diese europäischen Gesetze halten, passt zum Spin rund um das TTIP-Abkommen. Der einzige Unterschied ist, dass hier sogar mit Zahlen und Fakten offen Schindluder getrieben wird.
Zurückgezogene Zahlen
So sahen sich der Verband der deutschen Autoindustrie (VDA) und andere EU-Industrielobbies in der vergangenen Woche gezwungen, ihre Falschmeldungen zurückzunehmen, die seit Ende 2013 verbreitet worden waren. Sie beruhen auf den Zahlen einer TTIP-Studie des wirtschaftsnahen "Londoner Centre for Economic Policy Research".
Public Domain
Die falsch interpretierten Zahlen der britischen TTIP-Studie kursieren seit 2013 und finden sich teils noch heute auf Websites von TTIP-Befürwortern.
Die Studie kam zu dem Schluss, dass zehn Jahre nach Abschluss des TTIP-Vertrags ein Schwellenwert von mehr als 100 Milliarden Euro Mehrumsätze in der EU erreicht werden könnten. Aus dieser "Best Case"-Schätzung nach zehn Jahren Laufzeit von TTIP wurden quer durch die Reihen der Unterstützer "mehr als 100 Milliarden pro Jahr" gemacht. Der VDA nahm jetzt nicht nur diese Aussagen vom Netz, gelöscht wurde auch eine Rede seines Präsidenten Matthias Wittmann, der diese Zahlen ebenso strapaziert hatte.
Der "bis zu" Trick
Die britische Regierung aber griff für ihre neue TTIP-Offensive zu einem Trick, der von den Angaben der Mobilfunker über ihre Datenraten nur allzugut bekannt ist: Es wurden einfach die Worte "bis zu" vor den Zahlen eingefügt. "Ein ambitioniertes Abkommen wird kleinen und mittleren Firmen zugute kommen und die Wirtschaft um bis zu 119 Milliarden Pfund pro Jahr wachsen lassen", lautet die Ausage aus dem Londoner Wirtschaftsministerium. Die Branchen Pharma, Gesundheit oder Energie werden genausowenig erwähnt wie in der TTIP-Marketingbroschüre von EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström.
Public Domain
Von den dort erwähnten sechs konkreten Fallbeispielen betreffen zwei die Branche der Zuckerbäcker, deren Produkte in den USA um bis zu "zehn Prozent" billiger werden könnten, die Tellerproduzenten könnten gar mit "6 bis 25 Prozent" Verbilligung rechnen. Für Europas Konsumenten werde es mehr Auswahl an Sonnencremes geben und die französischen Austernzüchter könnten endlich in die USA exportieren. Hier müssten einfach die Testverfahren in den USA und Europa angeglichen werden, denn während jenseits des Atlantiks die Wasserqualität getestet werde, würden in Europa die Austern selbst auf Schadstoffe geprüft.
Weltmarkt für Austern
Das hat auch einen guten Grund. Von Frankreich aus verbreitet sich seit etwa zehn Jahren ein Herpesvirus, der auch in anderen Austernfarmen rund um die Welt bereits nachgewiesen wurde. Vor allem Jungaustern sterben dabei in so großen Mengen ab, dass die französische Austernproduktion seit 2007 von 130.000 Tonnen auf 80.000 gefallen ist, einher damit ging ein Preisanstieg in Frankreich.
Mehr zum Thema in ORF.at
Neben den Herpesviren dezimieren auch Bakterien die Austernkulturen rund um die Welt. Die Wissenschaft führt dies in erster Linie auf die Erwärmung der Weltmeere durch den Klimawandel zurück.
Das Land ist zwar der größte Austernproduzent Europas, laut Zahlen der Welternährungsorgansition FAO betrug der Anteil Frankreichs 2010 aber nur etwa zwei Prozent des Welthandels mit Austern. Die USA, wo die Zahl der Austernfarmen laut Aussagen der Züchterverbände stetig steigt, lagen 2010 bereits mit 3,2 Prozent vor Frankreich, haushoher Weltmarktführer aber ist laut FAO China mit etwa 78 Prozent.
Public Domain
Die französische Krankheit
Auch aus den USA sind bereits Fälle des französischen Austernvirus bekannt, die periodischen Massensterben durch Herpesviren sind allerdings immer noch auf Frankreich beschränkt. Laut Meeresbiologen wie Katsuyoshi Mori, dem Präsidenten des Weltausternverbands breitet sich die Seuche nämlich von der japanischen Auster (Crassostrea gigas) aus, die in Frankreich wegen höherer Fleischerträge seit Jahrzehnten ebenfalls gezüchtet wird.
Prof. Katsuyoshi Mori, Präsident der World Oyster Society über die Ausbreitung des französischen Herpesvirus
Mutationen des Herpesvirus greifen in französischen Gewässern dann auch auf die europäische Felsenauster (Ostrea edulis) über. Wie alle Quellen zeigen, grassiert unter internationalen Austernzüchtern, die bereits jetzt mit bakteriellen Muschel- und Austernseuchen zu kämpfen haben, die Angst, dass dieser französische Virus so mutieren könnte, dass auch Massensterben unter Sorten wie der amerikanischen Crassostrea virginica ausgelöst werden könnten. Laut Mori beträgt die Sterblichkeitsrate bei befallenen Jungaustern in Frankreich zwischen 40 und 100 Prozent.
Fazit und Ausblick
Dass diese Faktenlage, die eher dafür spricht, dass in erster Linie US-Produzenten künftig Austern nach Europa exportieren, nun als große Exportchance für Europas Austernzüchter dargestellt wird, kann nur auf Unkenntnis des Markts oder eben Spin-Doctoring zurückgeführt werden. Wenn dies allerdings noch mit dem Anspruch geschieht, Fiktionen durch Fakten zu konterkarieren, ist dies in beiden Fällen an Chuzpe schwer zu überbieten.
Was den "Safe Harbour"-Vertrag angeht, so wird die Entscheidung im Fall Schrems vs. Facebook für Ende Juni erwartet. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird jedenfalls von grundlegender Bedeutung nicht nur für die Datentransfers im Rahmen des TTIP-Verfahrens sein.