Erstellt am: 30. 3. 2015 - 12:30 Uhr
Artist Of The Week: Sufjan Stevens
Asthmatic Kitty Records
Vor zehn Jahren wurde Sufjan Stevens mit dem Album "Come On Feel The Illinoise" (oder kurz "Illinois") bekannt, einem Konzeptalbum über den US-Bundesstaat. Davor gab es bereits eine Sammlung von der Bibel inspirierter Songs ("Seven Swans"), ein Album für die Tiere des chinesischen Tierkreises ("Enjoy Your Rabbit") und den allerersten Longplayer "A Sun Came". Auf das "Illinois"-Album folgte "The Age Of Adz", eine Songsammlung, die zum Teil vom Outsider-Künstler Royal Robertson inspiriert war. Ja, und jetzt gibt uns Sufjan Stevens sein neuestes Werk "Carrie & Lowell".
Asthmatic Kitty Records
Dass Sufjan Stevens außer seinen Alben noch ein großes Tongedicht gemacht hat, soll nicht unerwähnt bleiben - das war für den Brooklyn-Queens-Expressway, im Auftrag der Brooklyn Academy Of Music. Und er hat Orchestermusik komponiert - wieder beauftragt von der Brooklyn Academy Of Music - für eine Dokumentation über Rodeo, in Slow Motion. Dieser Mann hat also definitiv einen Hang zu epischen Konzepten. Auch durch seinen jüngsten Streich zieht sich ein roter Faden.
"This Is Not An Art Project"
"This Is Not An Art Project this is my life", sagt Sufjan Stevens über sein neues Album. Der Titel, "Carrie & Lowell", lässt auf Persönliches schließen. Bereits beim ersten Song "Death With Dignity" ist zu erahnen, dass es in den elf Songs schmerzlich persönlich wird. Sie haben Titel wie "Drawn To The Blood" oder "Blue Bucket Of Gold". Sufjan Stevens, der heuer vierzig Jahre alt wird, hat vor drei Jahren seine noch nicht alte Mutter verloren. Ihr Name war Carrie. Sie ist die Carrie aus dem Albumtitel und sie erlag einem Krebsleiden. Carrie hatte ein Alkoholproblem, und einmal ließ ihre Kinder im Video-Store zurück, einfach vergessen: "When I was three, maybe four, she left us at that video store...", heißt es im Song "I Should Have Known Better".
Sufjan Stevens schürft tief. Erinnerungen, für die erst jetzt die Zeit reif war, traurige Erinnerungen, aus denen er jetzt viel herausholt. Das britische Q-Magazine stellt fest: "Sufjan Stevens mines saddest memories - and strikes gold." Das beste Sufjan-Album ever. Auf seinem letzten Album, "The Age Of Adz", musste der sanfte Folk-Charm früherer Sufjan-Stevens-Platten elektronischem Experimentieren weichen. Stevens war aus sich herausgegangen und warf sich mit aller Kaft gegen uns. Jetzt ist er wieder zurück beim Indie-Folk und lässt uns verschämt eine Träne aus dem Augenwinkel wischen, wenn er singt "Before I say goodbye, my star in the sky (...) Do you find it alright, my dragonfly?"
Was heißt hier eine Träne? Ganze Tränenbäche dürfen fließen bei der Lyrik des Sufjan Stevens und so wie er die Worte oft wispert. Auf dem neuen Sufjan-Stevens-Album wird aber auch, äh, masturbiert ("All Of Me Wants All Of You") und das Thema Religion ist präsent, etwa mit "No Shade In The Shadow Of The Cross", wo Sufjan singt "there´s blood on that blade, fuck me, I´m falling apart".
Zum Thema Tod stellt er in einem der Songs lapidar fest: "All roads have an end." Harter Stoff. Sufjan Stevens ist eines der bemerkenswertesten Songwritertalente Nordamerikas. Eigentlich wollte er ja Schriftsteller werden.
Wer ist dieser Sufjan?
Wer ist dieser Sufjan Stevens aber nun eigentlich? Der Mann mit dem Kapperl auf dem Kopf und den stechend blauen Augen wurde in Detroit geboren, Familie Stevens zog dann aber aufs Land im Bundesstaat Michigan, wo Sufjan aufwuchs. "Wir waren eine große, laute Familie", sagte Sufjan Stevens in einem Interview. "Bei uns wurde viel gelacht und gestritten."
Sufjan hat mehrere Brüder und Schwestern, es gab viele Tiere, und oft kamen Verwandte vorbei. Mutter Carrie ließ die Kinder Musikinstrumente lernen, Sufjan begann Oboe zu spielen, dann kamen Gitarre und Klavier hinzu.
"The Dress Looks Nice On You" vom Album "Seven Swans", 2004
Asthmatic Kitty Rec
Von Sufjan Stevens gibt es ja zwei Alben, die nach US-Bundesstaaten benannt wurden, "Michigan" und "Illinois", und Sufjan wollte alle 50 Bundesstaaten vertonen. Nein, das war bloß der Scherz von einem Großmaul, sagte Stevens später einmal dazu. Was er aber aus dieser doch etwas großspurigen Ansage gelernt hatte: Sufjan begann verstärkt, über die Geschichte der USA zu lesen, warum die Grenzen der einzelnen Staaten gerade so gezogen wurden etc: "Trying to get a sense of what it means to be an American. It´s a very confusing thing, especially now, to have a real strong sense of identity as an American."
Mutter Carrie war es auch, die ihrem Sohn diesen ungewöhnlichen Vornamen, Sufjan, gab. In einem der neuen Songs ("Eugene") singt Sufjan Stevens: "The man who taught me to swim, he couldn´t quite say my first name". Meine Eltern waren in einer Art Sekte, erklärte Sufjan Stevens einmal, und der Sektenführer stammte aus Indonesien, er war Moslem und gab den Kindern der Sektenmitglieder meist Namen aus dem Mittleren Osten. Sufjan ist ein alter persisch-arabischer Name. Später fragten die Eltern Stevens ihre Kinder, ob sie ihre Namen "komisch" fänden und gern ändern würden. Sufjan war etwa sechs Jahre alt und nannte sich nun eine Weile Calvin. Weil die Familie es aber nie schaffte, den Namen offiziell zu ändern, blieb Sufjan schließlich Sufjan. Er selbst sagt über seinen Namen:
"Sufjan means 'comes with the sword'. I´m not sure, I don´t know if that means that I come to upset things, or I come with violence, or maybe I just come well prepared."
Im Albumtitel "Carrie & Lowell" findet sich neben "Carrie" eben ein gewisser "Lowell". Gemeint ist Lowell Brams, der Stiefvater von Sufjan Stevens. Mit ihm zusammen gründete Sufjan 1999 das Plattenlabel Asthmatic Kitty, benannt nach der Katze von Lowell Brams, die an Asthma litt, das erst besser wurde, als man in den sehr hoch gelegenen Ort Lander, Wyoming in den Rocky Mountains zog. Die asthmatische Katze starb später im hohen Alter von siebzehn Jahren, Asthmatic Kitty Records gibt es nach wie vor, mit MusikerInnen wie My Brightest Diamond oder Lily&Madeleine, und auch der Meister selbst, Sufjan Stevens, veröffentlichte dort sein neues Album.
Als Album-Stream kann man sich "Carrie & Lowell" übrigens auch anhören.