Erstellt am: 24. 3. 2015 - 16:42 Uhr
Allerleirausch
Im Rahmen der ORF-Initiative "Bewusst gesund – Wie süchtig ist Österreich?" - Drug Awareness Week, sozusagen - widmen wir uns nun der Drogensucht im Film.
Und so wird auf der Suche nach Filmen zum Thema Sucht eine Frage immer deutlicher: in wie vielen Filmen und TV-Serien spielt Sucht eigentlich keine Rolle? Ob Macht, Sex, Alkohol oder das Kino selbst - ist es nicht die Sucht, der Exzess, das Streben und Begehren, die Erzählbarkeit überhaupt ausmachen und die uns immer wieder dazu verführen, einem Narrativ zu folgen?
United Artists
Ebenso lässt sich beobachten, wie in der Behandlung eines so aufgeladenen Themas wie "Sucht" sich die verschiedenen Beziehungen von Kunstwerken zu ihren Stoffen herauskristallisieren. Da gibt es die "Themenfilme", in denen Form und Inhalt weit auseinander stehen - diese meist unerträglichen Beispiele fallen oft ins Genre Biografien, Lebens- und Leidensgeschichten (dazu gehören: The Man with the Golden Arm, 1955; The Basketball Diaries, 1995; Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, 1981; usw) und dienen offensichtlich der Abschreckung.
Dann gibt es die schockierenden Milieustudien der tragisch-humorvollen (Trainspotting 1996), sensationssüchtigen (The Wolf of Wall-Street, 2013), repetitiven (Fear and Loathing in Las Vegas, 1998) oder belehrenden (Requiem for a Dream, 2000) Art. Einige Filme thematisieren Drogenmissbrauch gar nicht oder weniger, verweisen aber in ihrer Form auf den lädierten, abhängigen Zustand der Hauptfigur (Doc Sportello taumelt in Inherent Vice, 2014, durch eine andauernde Cannabiswolke, der Bad Lieutenant (2009) fantasiert ständig aufgrund seiner Dorgen-Cocktails).
Hier nun eine kleine Liste sehr sehenswerter Filme über Drogen- und Alkoholsucht
The Lost Weekend (1945) - Billy Wilder
Turner Classic Movies
Der düsterste Film Billy Wilders über einen schreibblockierten Schriftsteller Don (Ray Milland), der sich für ein Wochenende in seiner Wohnung und einbunkert um zu trinken. Ab und zu sucht er die Bar gegenüber auf, um weiterzutrinken. Angeblich hätte der Film The Last Weekend heißen sollen.
Bigger Than Life (1956) - Nicholas Ray
BFI
Ein Familienvater (James Mason) verfällt der Wunderdroge Cortisone, "a handful of hope", die, anstatt zu heilen, ihn in ein brutales, größenwahnsinniges und urgemeines Ungeheuer verwandelt. Der Vorfilm zu The Shining (1980), sozusagen.
The Connection (1961) - Shirley Clarke
Milestone Films
Ein Experiment mit Filmgrammatik; die Kamera macht eine Wandlung vom Beobachter zum Beobachteten. Gefilmt wird aus der Perspektive eines besonders ambitionierten Filmemachers, der die “richtigen” New Yorker Junkies einfangen möchte und dabei schließlich selbst heroinabhängig wird. Am Ende ist sogar die Kamera “high” und beobachtet mit enthemmter Faszination eine Küchenschabe.
Händler der Vier Jahreszeiten (1971) - R.W. Fassbinder
Criterion
Fassbinders schönste Oper, ohne eigentlich eine Oper zu sein, im Zentrum die Arie “Frische Birnen, frische Birnen … Gelegenheitskauf!”, die einem das Herz zerfetzt wie sonst nur Pavarotti bei “Una furtiva lagrima”.
Fassbinders verletzlicher Held, von seiner Familie malträtiert und geächtet, verfällt der Liebe und sehnt sich nach Alkohol oder vice versa.
Dune (1984) - David Lynch
Universal Pictures
Drogen und Science Fiction sind ein eigenes Thema (siehe Linklaters A Scanner Darkly 2006); am beeindruckendsten vermutlich aber bei Dune: in dieser gewaltigen Space-Saga nach den Romanen von Frank Herbert steht die mächtige Droge Spice Melange als raum- und zeitbiegende Ursubstanz im Zentrum des Geschehens. Spice ist eine geriatrische Droge, ein Verjüngungs- und Transportmittel; wer Spice beherrscht, herrscht über die Galaxien. In Lynchs Film werden die Szenen auf dem Planeten Dune, dem Heimatort der Droge, von psychedelischen und surrealen Bildern begleitet; der Film selbst ähnelt einem Drogenrausch.
Für eine ähnlich psychedelische Filmerfahrung ließe sich noch Ken Russells Altered States (1980) empfehlen.
Drugstore Cowboy (1989) - Gus Van Sant
Artisan Entertainment
Eine kleine Gruppe Junkies hält sich mit dem Plündern von Drogerien und Spitälern high. Nach tragischen und absurden Ereignissen beschließt der Anführer Bob (Matt Dillon), ein „straightes“ aber nicht sonderlich glorreiches Leben zu führen. In einer Nebenrolle erscheint William S. Burroughs als heroinsüchtiger Priester: I predict raunt dieser in seiner ominösen Art in the near future right-wingers will use drug hysteria as a pretext to set up an international police apparatus.
Auf NPR/This American Life lief unlängst ein super Beitrag über Bill Burroughs. Unbedingt anhören!
Naked Lunch (1991) – David Cronenberg
20th Century Fox
William S. "The whole drug problem started when they made drugs illegal" Burroughs’ absurdes Leben und noch absurderes Werk werden hier in einem einzigen fantastisch-dystopischen Film vom großen Meister des Körperkinos zusammengefasst.
Gia (1998) - Michael Cristofer
HBO
Gia, ein Fernsehfilm von HBO, repräsentiert in dieser Liste alle Biographien- und Show-Biz-Filme.
Als geballte Ladung schmachtendes, tränendrückendes Werk im Sinne des Camp ist Gia ein unterschätztes Melodram über das tragische Leben des Supermodels Gia Marie Carangi (Angelina Jolie), womöglich eine Schwester von Hans, dem Händler der Vier Jahreszeiten.
Und was wäre der ideale Nikotinsuchtfilm?
So richtig Sucht-induzierend, wie die Drogen, die sie darstellen, sind leider die wenigsten dieser oben genannten Filme über die Sucht. Wäre dies ein Kriterium - Celluloid als eigene Droge - würde ich persönlich The Wizard of Oz (1939) und Mulholland Dr. (2001) nominieren; zwei Filme, die ich für immer sehen möchte, sogar wenn ich tot bin. Was sind eure persönlichen Suchtfilme, und welche Filme machen euch süchtig?
Und überhaupt, was wäre eigentlich der ideale Nikotinsuchtfilm? Ist es vielleicht The Long Good-Bye (1973) oder vielleicht doch lieber To Have and Have Not (1944)...