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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 3. 2015 - 18:20

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 24-03-15.

Rübenblogger und unfreiwillige Heldenmacher.

#demokratiepolitik #medienpolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Die im Text erwähnte Sendung "Die Anstalt" hätte heute ab 22 Uhr live im ZDF ausgestrahlt werden sollen - entfällt aber wegen der Berichterstattung zum Flugzeugabsturz.

Text in zwei Teilen mit einer finalen Zusammenführung.

1) Kleines polemisches Putinversteher-Intro

Das zentrale Argument jener Empörten, die sich von einem sie kontrollierenden System am allermeisten im Fall der Schwarzer-Peter-Zuschreiberei an den Autokraten Putin getäuscht sehen, gegen die Lügenpresse (aus Österreich habe ich den weniger aggressiven, treffenderen Ausdruck Schlafpresse gehört) des Mainstreams ist ja das der spürbaren Quellen-Einseitigkeit. Was aus westlichen (US-, NATO-, EU-, Regierungs- etc.) Kreisen stammt, wird als verlässliche Nachricht gecopypasted, was von russischer oder russlandfreundlicher Seite kommt, kritischst durchleuchtet oder gar diffamiert.

Nun mag 95 Prozent dessen, was die von Moskau gesteuerte Medien-Kampagne unter enormem in den letzten Jahren massiv verstärktem Aufwand so vor sich hin berichtet, tatsächlich (teilweise sogar ungustiöse) Propaganda sein, die für jeden jenseits einer Verschwörungstheorie-Immunschwäche auch nachvollziehbarer Unsinn ist.
Aber zum einen werden so auch die restlichen 5 Prozent, die man vielleicht beachten sollte, geschluckt, und zum zweiten lässt die unkritische Übernahme der Verlautbarungen der anderen Seite auch ein gehöriges Maß an Propaganda durch. Zuviel allemal.

Und es ist diese Ungleichgewichtung, die einem schon ungut aufstoßen kann. Sofern man im Hinterkopf behält, dass die Putin-Propaganda nicht zum Wohle der Menschen, sondern höchst eigennützig geschieht, und dass eine zunehmend weniger lose Achse der autoritär gesinnten nationalen Postdemokraten das russische Modell als Alternative zu einem EU-Europa etablieren und die demokratischen Grundordnungen destabiliseren möchte, lässt sich der Umgang der westlichen (vor allem deutschen) Leitmedien im zentralen Konflikt rund um die Ukraine in Teilen als sehr bewusst inszenierter Propaganda-Kraftakt des Westens ausleuchten.

Die Anstalt etwa leistet hier die Arbeit, die früher kritisch-alternativen Medien vorbehalten war. Und zwar indem sie das vermeidet, was die Verschwörungs-Blogger bis zum Umfallen betreiben - einäugig motiviertes Aufrechnen, Aufrechnen, Aufrechnen, in schlechtester Cold-War-Tradition, sondern das Fehlverhalten aller beteiligten Seiten analysiert.

Die gewundenen Beschönigungen der Putinversteher, die ihre Relativierungen mit einer eh nur scheinbaren Minderheiten-Position begründen und sich so als Underdogs der lästigen Umsicht entledigen, die ein Blick auf das große Ganze ohne Mimosenlippigkeit und ohne Krokodilstränenvergießerei nach sich ziehen würde, sind also letztlich genauso billig wie ihr Feindbild und machen sie de facto zu auch nichts anderem als Lügenbloggern.

2) Übers kollektive Medienversagen im Fall Griechenland

Fangen wir so an: kennt ihr den spanischen Außenminister? Nicht das Smartphone zücken, sondern aus Hüfte jetzt ... Den spanischen Premier? Okay, ein paar wenige. Aber: wie sieht der aus und wofür steht der? Crosscheck jetzt: wer war vor einem Jahr griechischer Finanzminister? Und wer Premierminister? Wieder nur ein paar, die's wissen ...
Und jetzt die Frage, die jeder beantworten kann: wer ist aktuell griechischer Finanzminister und Regierungschef?

Eh klar, worauf ich hinaus will.
Innerhalb von gefühlten 5 Sekunden sind Tsipras und Varoufakis nicht mehr nur ein paar Experten bekannte Oppositions-Tribunen/Wirtschaftsprofessoren, sondern bekannte Gesichter.
Stars.
Popstars.
Vielleicht sogar die aktuell größten Popstars Europas. Samt Posterboy-Qualität und Trendsetting im Bekleidungssektor.

Als die Medien der reichen europäischen Länder die beiden Charaktere auf die große Bühne hievten, steckte eine andere Absicht dahinter: Griechenland, den nunmehr in aller Keckheit die Schwächen und Unverfrorenheiten des EU-Systems, das die Reichen reicher und die Armen ärmer macht, bloßstellen und vorführen, anhand von zwei Rotzbuben, die sich nicht an Konventionen halten.

Diese Strategie der Personalisierung ging voll nach hinten los.
Anstatt dass ganz Europa, vor allem der Boulevard, jetzt über die Griechenlümmel koffert, kichert er jetzt wenn einer der beiden einen Finger hebt. Klar, rassistische Stereotype gegen den faulen Südländer existieren weiter - aber Tsipras und Varoufakis wurden role models für etwas ganz anderes: Widerständigkeit und den Anflug einer Idee, dass die eingesessene Merkel-Welt nicht der Weisheit letzter Schluss sein muss.

Das soll nicht bedeuten, dass es sich jene, die jetzt Varoufakis geil finden, nicht final in den Welten bequem machen, die die Bildzeitung als gegeben vorgibt. Mehr als die Posterboy-Qualität, die ein Che Guevara-Bild dieser Tage hat, wird nicht drin sein für das dynamische Duo.

Was seine Popularität ausmacht ist einfach der Geist der leisen, fast schon ironischen Rebellion. Es ist nicht mehr als eine Geste, die einem festgefahrenen System zuwiderläuft. Aber die Art wie sie diesem System Angst macht, die freut den neutralen Beobachter, und die lässt auch dessen Anhänger erotisch gruseln.

In dem Moment wo der griechische Widerstand gegen die europäische Bevormundung und Ausplünderung ein Gesicht bekam, hat sich der diesbezügliche mediale Wind gedreht. Und es stellt sich die grundsätzliche Frage wer sich hier an welchem Punkt mit dem Plan die Neuen in der griechischen Regierung zu den Bösewichten zu machen, verkalkuliert hat.

3) ... und jetzt zusammengeführt.

Aus alldem ergibt sich jetzt eine gemeinsame Frage.
Gehen wir einmal davon aus, dass in beiden Fällen ein Masterplan hinter der medialen Darstellung steht.
Im Fall "Putin ist böse" ist das das ökonomisch-politische Interessenskonglomerat des Westen inkl. USA, im Fall "die Griechen sind böse" ohne die USA, der das ein bisserl wurscht ist - auch wenn die andere Zusammenführung, die Junktimierungs-Drohung der Griechen im Raum steht.

Im beiden Fällen funktioniert die Dramaturgie. Die Folgen sind aber unterschiedlich. Während ein Despot wie Putin, der es gewohnt ist, Anerkennung durch Verteilung von Geschenken zu erkaufen, eine massive Gegenbewegung braucht, um einigermaßen dem Buhmann-Image zu entkommen und es nicht über Inhalte, sondern mit Gegendiffamierung probiert, muss den völlig mittellosen Griechen der Verweis auf Visionen genügen.

Wer in punkto Wirkung jetzt besser ausgestiegen ist, liegt im Auge des Betrachters. In punto Aufwand jedenfalls ist das eine eine Apple-Präsentation und das andere der Protestsongcontest.