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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

26. 3. 2015 - 11:04

Musikantenstadl für Geeks

Der Wanderzirkus "Video Games Live" war erstmals in Wien: Kitschiges Las Vegas Entertainment mit Orchestershow, fragwürdigen Gitarrensoli und Mitklatschfaktor.

Ich wollte gar nicht hin. Die Chance wäre zu groß gewesen, dass sich meine Vorurteile bestätigen würden. Doch dann hat meine Schwester Tickets gewonnen, war aber selbst zeitlich verhindert. Also eben doch: "Video Games Live", die vom US-amerikanischen Games-Komponisten Tommy Tallarico mitgegründete Musikshow, im Wiener Gasometer.

Videospielmusik, die live von einem Orchester gespielt wird, hat schon seit über zehn Jahren eine ungewöhnlich große Beliebtheit, deren Wesen ich bis heute nicht ganz verstehe. Es liegt wohl einerseits daran, dass die vermeintlich "unwichtige" Musik aus Computerspielen von professionellen Musiker/innen in Konzerthallen aufgeführt und damit auf eine neue Ebene der Relevanz gehoben wird. Darüber hinaus werden viele moderne Game-Soundtracks ohnehin für Orchester komponiert und aufgenommen, da macht es natürlich Sinn, diese dann auch live aufzuführen.

Video mit freundlicher Genehmigung von derstandard.at, die hier über den Abend berichten

Es wäre so eine tolle Sache, meint Tommy Tallarico zu Beginn des Abends, dass er nach zehn Jahren, in der es die Show nun gibt, nun endlich in Wien angekommen sei. Wien, das sei ja die Stadt der Musik und der großen Komponisten, Mozart und so weiter. Doch leider sind wir hier nicht in einem Konzertsaal, dessen Akustik einem Orchester würdig ist, sondern in einer Veranstaltungshalle, deren Klang auch bei Pop- und Rockkonzerten oft hinterfragt wird. Das hier hat nichts mit einer gediegenen Orchester-Aufführung (übrigens in Wien mit den Prager Philharmonikern) zu tun - dafür pocht in Tallaricos Brust viel zu sehr das Herz des aufdringlichen Entertainers. Der Games-Music-Bro steht leger in Jeans und T-Shirt ganz vorne auf der Bühne und fordert alle auf, mitzuklatschen und zu jubeln, wenn ihnen danach ist. Ihr sollt euch freuen und es auch zeigen! Nur Spießer sitzen schweigend auf den Stühlen!

Das bloße Interpretieren diverser Videospiel-Songs wäre in so einem Rahmen zu wenig. Weil Gamer/innen ja dem Klischee nach ständig irgendwas tun oder sehen müssen, damit ihnen nicht langweilig wird, gibt es hinter dem Orchester riesige Vidiwalls. Dort laufen Trailer des jeweils gespielten Spiels und zwischendurch lustige Clips. Eine Sängerin, manchmal im Cosplay-Kostüm, betritt bei jedem dritten bis vierten Song die Bühne und trällert zu den Orchesterklängen den Gesang einer Ballade oder eines epischen Schlachtlieds. Es werden Songs aus jenen Spiele und Spieleserien interpretiert, die mehr oder weniger bekannt sind: "Final Fantasy", "Zelda, "Tetris", "The Secret of Monkey Island", "Shadow of the Colossus", und so weiter.

Mindestaufwand

Die Videoeinspielungen sind verblüffend lieblos gestaltet. Neben den bereits genannten Trailern und Witz-Clips gibt es simpel eingeblendeten Text in weißer Schrift, animierte Emojis und - so wirkt es - geklaute Cosplay-Bilder aus dem Netz. Eine Kameraperson filmt das Geschehen auf der Bühne ab, das dann live gezeigt wird. Leider sind dabei Kameraführung und Licht ziemlich schlecht. Neben Tallarico steht Russell Brower, Chefkomponist bei Blizzard Entertainment, auf der Bühne und gibt den Dirigenten. Obwohl er bereits am Anfang der Show vorgestellt wurde, wendet er sich kurz danach selbst ans Publikum um auch zu sagen, wer er ist. Die Orchestermitglieder dürfen hingegen die ganze Show über nichts ins Mikro sagen. Die Sängerin auch nicht.

Je länger das Konzert andauert, desto mehr kommt Tallarico in Fahrt. Er nudelt Aufmerksamkeit heischend ein Gitarrensolo nach dem anderen herunter und animiert das Publikum mit jenen Sprüchen, die sie hören wollen: Sie hätten euch gesagt, Games seien nur für Kinder! Sie glauben, Spielemusik wären bloß Blips und Bloops! Doch sie haben nicht mit uns gerechnet. Haltet euren 3DS in die Luft! - Juhu, Jubel. Bei all dem Theater wird absurderweise beinahe auf jene vergessen, die der Kern des Abends sind: die Musikerinnen und Musiker, die eigentlichen Stars einer solchen Veranstaltung. Doch das Orchester ist dank des großen Egos des "Video Game Live"-Zampanos zu diesem Zeitpunkt schon zur Staffage verkommen. Es wird geklatscht und getrampelt, am Schluss singen wir noch gemeinsam "Still Alive" aus "Portal" und verdrücken ein paar Tränchen vor Rührung.

Die Masche, die hier auf Kosten vieler Games-Kultur-Fans abgezogen wird, gleicht einer Bauernfängerei. Die "Video Games Live"-Macher wissen genau über den Zustand vieler Videospiel-Menschen Bescheid: Diese lechzen immer noch nach gesellschaftlicher Anerkennung. Wer viel computerspielt, ist entweder Kind oder Jugendlicher - oder jemand, der quasi "hängen geblieben" oder eben einfach kindisch ist. Diese landläufige Meinung ist weiterhin in vielen Köpfen drinnen. Was ist da befriedigender, als mit hunderten anderen Geeks zwei Stunden lang in einem Saal zu feiern, die auch jene Spiele und Songs so toll finden wie man selbst? Wo niemand in ein Eck gedrängt wird, man sich gegenseitig versteht und alle - auf der Bühne und im Publikum - die eigene Kultur feiern? Das Publikum freut sich, auf den ersten Blick wäre allen gedient. Doch bei Lichte betrachtet ist "Video Games Live" eine lieblos inszenierte, uninspirierte Fließbandshow, die die Sehnsucht nach einem Gemeinschaftsgefühl schamlos ausnutzt und dabei ordentlich die Hand aufhält.