Erstellt am: 24. 3. 2015 - 15:47 Uhr
Die Retrospektive von Pipilotti Rist
"Pipilotti Rist. Komm Schatz, wir stellen die Medien um & fangen nochmals von vorne an"
Pipilotti Rist
22.3. bis 28.6.: Öffnungszeiten:
Di - So, 10 bis 18 Uhr
Ein FM4 Gästezimmer mit Pipilotti Rist gibt es am 19. April, 15 Uhr auf FM4 zu hören.
Es ist für viele wohl jetzt schon die Ausstellung des Jahres, die die Kunsthalle Krems für Pipilotti Rist ausgerichtet hat. Selten wird der Videokunst so viel Raum gegeben. Videokunst, oft noch sehr zurückhaltend, manchmal gar stiefmütterlich in Ecken auf klitzekleine Bildschirme gedrängt, an die lose ein Paar Kopfhörer gebunden werden, tut sich im Kunstbetrieb häufig immer noch schwer. Nur wenige Galerien und Museen werden den Ansprüchen der KünstlerInnen gerecht, obwohl Videokunst spätestens seit den 1960er Jahren Teil des Kunstbetriebs ist. Auch in der Sammlerszene ist die Menge derer, die sich auf Videokunst spezialisiert haben, in der Minderheit.
Was Videokunst alles sein kann, verdeutlicht Pipilotti Rist in ihrer aktuellen Retrospektive in Krems. Ein beinahe paradiesischer Optimalzustand, in der Präsentation sowie inhaltlich - im wahrsten Sinne des Wortes.
Pipilotti Rist, na klar. Das ist doch diejenige, die diese wunderbare Restaurantdecke im neuen Jean Nouvel-Tower entworfen hat, die in den buntesten Farben auf den grauen Wiener Schwedenplatz hinaus leuchtet. Das ist doch diejenige, die in diesem einen Lied mitsingt. Und sie ist ein internationaler Kunstsuperstar.
eSeL.at
Auf der Einladungskarte befindet sich in Großaufnahme die weit geöffnete, hellblaue Augenlinse der Künstlerin. Das Bild drückt sehr gut aus, worum es in der Kunst von Pipilotti Rist geht: Die Welt intensiv wahrnehmen, die Beschränkungen des Sehens aufheben. Unter die Oberfläche schauen. Mittendrin sein, in ihren üppigen, detailreichen Farb- und Körperwelten.
FM4/ Alexandra Augustin
Florale Muster gleiten über alle Wände, Böden und in jede Ritze. Blätter, Blüten, Blut. Man ist hier nicht zum Zaungast verdammt, sondern Teil des farbenfrohen Werkes: Nur mit einer kleinen Taschenlampe ausgerüstet bahnt man sich den Weg durch den abgedunkelten Raum, durch ein Meer aus Stoffbahnen hindurch, die das Licht reflektieren. An der Wand sind keine störenden Texte, die den Blick hindern. Dazwischen findet man Pipilotti Rists Objekte: Muscheln und Handtaschen, in denen kleine Bildschirme sitzen.
Alle Bilder: eSeL.at
Die Retrospektive zählt laut Kuratorin Stephanie Damianitsch und Direktor Hans-Peter Wipplinger zu den bisher aufwendigsten Ausstellungen in der Kunsthalle Krems, aber der wochenlange Aufbau macht sich bezahlt. Wäre es doch überall so. So oder so wie vor rund drei Jahren etwa im KW Institute for Contemporary Art in Berlin.
Ganz anderes Thema, ganz anderer Kontext, ganz anderes Ende des Spektrums, aber ein ebenso gutes Beispiel für einen gelungen kuratorischen Output: Auch die "You Killed Me First - The Cinema of Transgression"-Ausstellung von Susanne Pfeffer hat zum Beispiel gezeigt, was alles in einem Museumsraum möglich sein kann. Damals waren alle Innenräume vom Boden bis zur Decke schwarz und rot ausgemalt, die Fenster schwarz verklebt. Mittendrin durfte man die mitreißenden Videoprojektionen bestaunen.
Wirklich gut wird es eben erst, wenn Raum und Mensch selbst zu Faktoren des Werkes werden, when context becomes content, wie es einst schon Brian O’Doherty in seinem Klassiker "Inside the White Cube" erläutert hat. Wenn Zeit- und Raumgefühl aufgehoben werden. In Pipilotti Rists Retrospektive kann man Stunden verbringen.
The Act of Seeing with Pipilotti Rist's Eyes
Pipilotti Rist wurde 1962 in der Schweiz als Elisabeth Charlotte Rist geboren. Ihr Künstler-Vorname ist eine Kombination aus ihrem Spitznamen "Lotti" und Pippi Langstrumpf, von der sie seit der Kindheit ein großer Fan ist. Mit ihrer Kunst ist Pipilotti Rist, die einst in Wien an der Angewandten studiert hat, zu den international gefragtesten Video-, Foto- und ObjektkünstlerInnen avanciert. Ob die Biennale in Venedig, das Pariser Centre Pompidou und das New Yorker Museum of Modern Art: Alle großen Stationen hat sie bereits erfolgreich bespielt.
Filmtipp: Claudia Willke: "Les Reines Prochaines - Alleine denken ist kriminell".
Dokumentarfilm. Schweiz/Deutschland 2012
Vor der großen Kunstkarriere war sie Mitglied der Schweizer Frauenband Les Reines Prochaines. Musikliebhaber werden hier aufjapsen: Natürlich kennen die meisten den Song "Opfer dieses Liedes / I'm a Victim of This Song", die Neuinterpretation von Chris Isaaks Schmusenummer Wicked Game, in der Pipilotti Rist singt.
Pipilotti Rist hält sich in ihrer Interpretation zwar an den ursprünglichen Liedtext, schrammt jedoch, ebenso wie die Gitarre, völlig an den richtigen Tönen vorbei. Dann endet ihre Version in einer lauten Schreierei. Nein, im Hintergrund halten und eine gefällige Soundtapete abliefern entspricht nicht dem Credo der Künstlerin. Wie oft war ihre Version wohl schon die letzte Nummer auf irgendeiner Party, wenn um fünf Uhr in der Früh die Aschenbecher überquellen und ein paar übergebliebende Seelen in den Ecken den letzten Schluck Bier runterkippen?
Auch diesem Lied begegnet man in Krems: Man darf gemütlich auf Riesen-Pölstern, in Betten und auf kuscheligen Teppichböden Platz nehmen und in die Videoarbeit "Sip My Ocean" von 1996 abtauchen. Eine Videoprojektion, die sich über zwei Wände erstreckt und 1:1 gespiegelt wird.
Man erblickt eine tiefblaue Unterwasseridylle, in der Plastikmüll, Porzellantassen, Spielzeug und allerhand Alltagsschrott auf den Meeresgrund absinken, dazu ertönt Pipilotti Rists Gesang. Die Beziehung zwischen Alltag und Fantasie, das Verhältnis von Mensch und Natur und gleichzeitig ein Blick in Innenwelten werden hier thematisiert: Es geht hier auf sehr poetische Art und Weise auch um das Wesen der Liebe, wie die Künstlerin erklärt:
"Die Arbeit dreht sich um den tiefen Wunsch, mit einer anderen Person absolut synchron zu sein. Ein Zustand, den man kurz erreicht, um dann wieder auseinanderzufallen."
Klar, das hier ist sicher keine Ausstellung die polarisiert, die kritische Momente erzeugt. Darf zeitgenössische Kunst auch Wohlfühlkunst sein? Sie darf. Auch.
Die Befreiung des Bildes aus dem Bildschirmformat
Beim Donaufestival ist Pipilotti Rist mit dabei und wird zwei performative Kooperationen mit Eugénie Rebetez und Hans Platzgumer veranstalten.
In der äußerst unterhaltsamen Arbeit "Ever is Over All" von 1997 geht es weniger lieblich zu: In der Videoarbeit spaziert eine junge Frau in einem blauen Kleid mit einer tropischen Blume in der Hand durch die Straßen von Zürich, dazu erklingt ein melodisches Summen. Plötzlich zerschlägt sie lächelnd und völlig überraschend die Seitenscheiben von geparkten Autos am Straßenrand - und das nicht mit einem Schlagstock, sondern mit diesen langstiligen Blumen mit Metallkern. Auf der anderen Seite der Wand fährt die Kamera in Nahaufnahme an bunten Blumenfeldern entlang. Eine Polizistin die durchs Bild spaziert winkt freundlich. Subtiler Humor à la Pipilotti Rist, der natürlich auch eine feministische Komponente und mindestens hundert weitere Interpretationsmöglichkeiten beinhaltet.
Wie immer sind auch die Entstehungsgeschichten zu derartigen Arbeiten besonders spannend. Wem gehören diese Autos? Handelt es sich hier um einen Akt des Vandalismus oder um eine geplante Kunstaktion? Pipilotti Rist erklärt lachend im Rundgang, wie diese Arbeit entstanden ist:
"Die Autos gehörten Freunden von mir. Wir haben nur die Seitenscheiben genommen, die waren billiger als die Frontscheiben. Ach, da hinten im Hintergrund im Bild, da geht meine Mutter!"
Das Aktivieren der Körperlichkeit auf allen Ebenen
Wie geht es Pipilotti Rist damit, ihre Arbeiten und dreißig Jahre Videokunst - und somit auch Technikgeschichte - auf einen Fleck versammelt zu sehen? Über 50 Beamer und unzählige Bildschirme sind immerhin im Einsatz für ihr Werk. Und gibt es etwas, das sie in den BesucherInnen auslösen möchte?
"Ich beobachte bei meinen Eröffnungen gerne die Menschen. Und ich bemerke oft, wie sich beim Betrachten meiner Werke ihr Brustkasten öffnet. Außerdem fasziniert mich das Ritual des Museumsbesuchs. Es geht mir um einen anderen Umgang mit dem Museumsraum. Distanzen abbauen. Regeln, denen man folgen muss, über Bord werfen. Meine große Hoffnung ist, dass die Menschen mit der Kunst in Dialog treten. Denn in unseren Körpern sind wir eigentlich sehr einsam. Die Haut ist unsere Grenze. Aber wenn wir gemeinsam Musik hören und Kultur erleben, dann ist das eine Möglichkeit nicht mehr einsam zu sein."
Wer der Einsamkeit entfliehen möchte: Die Ausstellung "Komm Schatz, wir stellen die Medien um & fangen nochmals von vorne an" von Pipilotti Rist ist noch bis 28. Juni in der Kunsthalle Krems zu sehen.