Erstellt am: 23. 3. 2015 - 19:23 Uhr
"Die Macht der Nacht"
"Manche Cuts waren unsauber wie die Aufnahme selbst. Doch das machte es für mich nur noch roher, tiefer und besser. Durch die Cuts entstand ein hypnotisch einfacher Beat. Ich erkannte eine neue Musikform darin, eine Art DJ-Minimalismus. Für mich war es ein Manifest und der Hauptgrund, weswegen ich mich später Westbam genannt habe."
Anfang der 80er Jahre hatte der Teenager Maximilian Lenz aus Münster in Westfalen ein Erweckungserlebnis. Er entdeckt, dass es kein Fehler ist, wenn zwei laufende Platten gleichzeitig zu hören sind. Wenn die rhythmischen Passagen übereinander passen, entsteht dadurch ein neuer Song. 1983 fällt ihm der "Death Mix" vom Electro-Funk-Pionier Afrika Bambaataa in die Hände, als den im lokalen Plattenladen niemand wollte. Kurze Zeit später war aus Maximilian Lenz Westbam geworden. Er war sich nun sicher, dass er mit dieser Idee des Plattenmixens nicht alleine war. Die Welt galt es noch zu überzeugen. Doch sie ließ sich nicht lange bitten.
Von Punk bis zum Ende von Rave
In nur 20 Jahren, von 1980 bis 2000, hat sich Popmusik in einer intensiven Weise nach vorne bewegt. Ende der 70er und Anfang der 80er war sie im großen Umbruch. Disco war noch nicht ganz vorbei, Punk und New Wave konnten sich nicht von den Gitarren und dem klassischen Bandkonzept lösen. House und Techno und der damit in Zusammenhang stehende Aufstieg der elektronischen Tanzmusik waren hingegen erst in der Vorphase.
In dieser vielfältigen, aber auch chaotischen Musikwelt hat sich Maximilian zunächst selbst noch mit Punk und New Wave herumschlagen müssen. Es waren ereignisreiche Jahre, doch so wirklich fasziniert haben ihn die Plattenspieler an denen damals noch die schon etwas müde gewordenen Hippies eine Nummer nach der anderen gespielt haben. Zu dieser Zeit, circa 1978, beginnt Westbams Erzählung "Die Macht der Nacht", und sie setzt sich in einer persönlichen, anekdotenreichen und amüsant geschriebenen Weise bis Anfang der 2000er Jahre fort, wo Techno schließlich in der Postmoderne angekommen war und sich ab sofort jeder selbst eine Clubmusik basteln konnte, wie es gerade beliebte.
Was ist Recordart?
Ullstein Verlag
Westbam ist zweifellos einer der Pioniere von elektronischer Tanzmusik. Weniger, was die Produktionen betrifft (die meist von seinem langjährigen Produzenten Klaus Jankuhn geleitet wurden), sondern in Bezug auf die Etablierung von DJ-Musik und ihren dazugehörigen Stilen und Sounds. Bereits 1985 veröffentlicht er den erklärenden Kurz-Essay "Was ist Recordart?" und 1988 wird er vom Goethe-Institut als deutscher Kulturbeitrag zu den Olympischen Sommerspielen nach Seoul geschickt. Westbam erlebt zu dieser Zeit die Geburt und den Aufstieg von House und Techno (ausgehend von ihren Heimatstädten Chicago und Detroit) mit, übt sich in transatlantischem Austausch, erlebt die Erweckung des britischen Rave-Sounds mit den hochgepitchen Soul- und Funk-Loops und tanzt am 3. November 1989 auf der kurz danach zusammenbrechenden Berliner Mauer.
Die nächsten Jahre braut sich aus einer innovativen Subkultur eine neue Popmusik zusammen. Als der Rave-Wahnsinn Mitte der 90er Jahre dann vom kommerziellen Ausverkauf heimgesucht wird, bricht West, wie er in Fankreisen genannt wird, diese Phase für sich ab, fährt die Geschwindigkeit wieder um 30 BPM herunter und kehrt zu seinen Wurzeln zurück - dem Elektrotechno: moderate Geschwindigkeit, scheppernde Percussions, tighte Beats, simple Synthie-Melodien.
Der Chronist der DJ-Musik
"Die Macht der Nacht" von Westbam ist bei Ullstein erschienen.
Westbam war und ist der sympathische Poser, der nie an die Anonymität von Techno geglaubt, aber sich auch zu keiner Zeit in hohler Selbstdarstellung gesuhlt hat. Er war in den rund 20 Jahren des Aufstiegs von elektronischer Tanzmusik wichtiger Mitgestalter wie auch neugieriger Beobachter. "Die Macht der Nacht" bietet oft verblüffend detailreich erzählte Begebenheiten, wo Drogen und "Draufsein" nicht selten eine relevante Rolle spielen. Doch ein guter Chronist lässt auch in wilden Momenten nie komplett aus, und so ist Westbams Buch nicht nur in musikhistorischer Hinsicht relevant (auch wegen der vielen Platten, die im Buch genannt werden) sondern vor allem eine witzig zu lesende, persönliche Achterbahnfahrt durch das, was wir oft und gerne Subkultur und Underground nennen - und das, was aus ihr werden kann. Je höher der Flug, desto schneller brennen die Flügel ab.
"Ich wollte was völlig Neues im E-Werk ausprobieren, und völlig neu
hieß, dass ich auch wieder alte Platten auflegte. Für die Saion 1996/1997 war das genau das Richtige, denn das Alte wurde jetzt gerade wieder das Neue. Im Zusammentreffen von Altem und Neuem entstand das eigentlich Neue. Und das blieb auch für den Rest der Neunziger so."