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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

23. 3. 2015 - 16:26

Spuren im Schnee

Es schlummert im Eis: Die sehr gute britische Krimi/Mystery-Show "Fortitude" findet am Ende der Welt das Grauen.

Wenn es auf dem Dorfe gar lieblich und unaufgeregt läuft, dann, so wissen wir, fault es unter der pittoresken Oberfläche. Vermutlich gehörig. Die von Sky Atlantic aufwendig und mit relativem Staraufkommen produzierte Show "Fortitude", die gerade dem Ende ihrer ersten Staffel entgegengeht, bohrt seit neun Episoden im vermeintlichen Idyll der im unwirtlichsten Eise gelegenen Community Fortitude.

"Fortitude" – das bedeutet so viel wie "Kraft", "seelische Stärke" oder "Tapferkeit"; klar, dass in der Show in Folge viel von gegenteiligen Charaktereigenschaften zu spüren sein wird. In der Serie ist Fortitude eine Kleinstgemeinde mit einigen hundert Einwohnern, gelegen auf einer norwegischen Insel, weit nördlich des Festlands, im arktischen Ozean. Viel ist also nicht los in Fortitude: Kohleabbau, Fischfang, Forschung, ein bisschen Tourismus für die Abenteuerlustigen.

Fortitude

Sky Atlantic

Fortitude

Fortitude sei doch nur ein ins kalte Meer geschmissener Felsen, wird der hitzköpfige und trinkfreudige Sheriff Dan Andersen (Richard Dormer) in einer Episode sagen. Die Menschen hier seien alleingelassen, man müsse zusammenhalten. Ob Andersen ein guter Sheriff sei, könne man nicht beantworten, heißt es in der ersten Folge: Die Polizei hat auf Fortitude eher bloßen Repräsentations- und Service-Charakter – jeder in der Community hat einen Job, niemand ist arm, Verbrechen gibt es so gut wie, Gewaltverbrechen schon gar nicht.

Man ahnt es: Mit dem ewigen Frieden ist es schnell vorbei. Eines Nachts wandelt ein 10-jähriger Junge aus unerfindlichen Gründen halbnackt durchs Eis und landet mit Gefrierbrand im Krankenhaus, danach in einer Art künstlichem Koma. In derselben Nacht wird ein Wissenschaftler in seinem Haus brutal ermordet. Erstochen, gehackt, durchlöchert. Gleich in der ersten Szene von "Fortitude" sehen wir, wie ein Mann in den Weiten der Insel von einem Eisbär angefallen und bei lebendigem Leibe verspeist wird, ein Gewehrschuss aus der Ferne erlöst den Mann von seinen Qualen. War es ein Gnadenschuss oder bestehen größere Zusammenhänge zwischen den Ereignissen?

Fortitude

Sky Atlantic

Alles muss in "Fortitude" zusammenzuhängen. Das gut 25 Haupt- und Nebenfiguren starke Personal ist freilich weit intensiver ineinander verhakt und verwickelt, als die alltäglichen Routinen preisgeben. Eine ambitionierte Politikerin (Sofie "Komissarin Lund" Gråbøl ), die ein prestigeträchtiges Hotel verwirklichen will, ein Natur- und Tierfotograf (Michael Gambon), Wissenschaftler, Polizistinnen, eine Ärztin, eine Kellnerin.

Ehefrauen, Ehemänner, russische Gastarbeiter, schießwütige Lokalpatrioten, ein Lehrer, der durch seine selbstherrliche Seriosität und Bildungshuberei gleich seltsam auffallen muss. Sie alle sind durch Geheimnisse verbunden, Intrigen, Ehebruch, Verbrechen, die in der Vergangenheit liegen. "Fortitude" inszeniert das alles ohne schwülstige Grandezza, sondern mit kühler, sachlicher, skandinavischer Nüchternheit, der mulmig machende Soundtrack kommt von Drone-Musiker und Komponist Ben Frost.

So findet auch Humor in "Fortitude" kaum statt. Die Blicke übers Eis sind lang, die Farben matt, die Nacht ist schwarz. Bestenfalls werden in der örtlichen Bar über harten Getränken süffisante Oneliner losgelassen. Auflockerung in die Beklemmung bringen mackerhafte Hahnenkampf-Wortgefechte, die sich der aus London eingeflogene Spezialermittler (süffisant-arrogant: Stanley Tucci) und die lokale Polizei liefern.

Was als recht herkömmliche, wenn auch topsolide Krimi-Serie mit Schauwerten beginnt, wendet sich etwa ab Mitte der Staffel immer mehr dem Wahnsinn zu. Gar grausige menschliche Störungen schlummern hinter Schlafzimmertüren, ebensolche Bilder. "Fortitude" flirtet ausdrücklich mit dem Übernatürlichen, mit Schamanentum, dem Metaphysischen, ohne tatsächlich schon außerweltliche Kräfte als Herd des Übels zu bestätigen.

Hier sprechen klar der Kleinstadt-Mystizismus von Twin Peaks und auch ein bisschen die Koketterie mit kultisch aufgeladenen Serienkillermotiven von "True Detective" aus der Show, wenngleich "Fortitude" stets näher am Boden halbwegs möglicher Realitäten bleibt. Mittlerweile deutet die Serie wiederum leise ein wissenschaftliches Erklärmodell an: Die langweiligere, doofere Lösung als die magische, verhexte, unlogische, einiges offenlassende Voodoo-Lösung ist leider immer die rationale, die alles auf angeblichen Fakten fußend zu Ende erklären will.