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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

29. 3. 2015 - 16:53

Gerda ist immer und überall

Margit Mössmers "Die Sprachlosigkeit der Fische" nimmt uns mit auf eine Reise um die Welt mit einer mysteriösen Frau namens Gerda.

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Die Literatur-Strömung des Magischen Realismus zeichnet sich durch surreal übersteigerte Realität aus – oder wie es in einer Definition heißt "die Einbettung des Wunderbaren in den Alltag". Die berühmtesten VertreterInnen des Magischen Realismus kommen aus Lateinamerika: Isabel Allende und Gabriel Garcia Marquez zum Beispiel. Jetzt hat uns die junge österreichische Autorin Margit Mössmer mit ihrem Erstling „Die Sprachlosigkeit der Fische“ ein Werk von magischem Realismus made in Austria beschert – es ist wohl kein Zufall, dass die Autorin unter anderem Hispanistik studiert hat. In dem Roman nimmt sie uns mit quer durch die Welt.

Am Beginn ist eine junge Frau nach Quito gereist, um eine mysteriöse Frau namens Gerda zu finden, und deshalb bei Doktor Jorge Oswaldo Muñoz nachfragt:

- "Ja, Kindchen, deine Mutter hat es mir schon geschrieben, aber ich habe keine Ahnung wo Gerda steckt."
- "Ich weiß, das hat Mama auch schon gesagt. Niemand weiß es."
- "Niemand"
- "Sie hat mir aber auch gesagt, dass du sie am besten kennst."
- "Ach ja? Ich weiß nicht, ob man Gerda am besten kennen kann."

Buchcover: Margit Mössmer - "Die Sprachlosigkeit der Fische".
Eine Palme neben bunten Containern

Edition Atelier

Danach erfahren wird Geschichten aus Gerdas Leben. Sie kellnert im Bahnhofscafe in Floridsdorf, wo sie die Gewaltbeziehung von zwei Gästen mitbekommt. Sie wartet an der Strandpromenade in Mallorca auf den netten deutschen Fotografen, schwitzt in der Stierkampfarena in Madrid auf einem Sonnenplatz, ist Bürgermeisterin von Catania auf Sizilien oder besucht Bad Aussee:

Gerda liebte die Seewiese vom Altausseer See. Weil hier an diesem "geografischen Mittelpunkt Österreichs" alles aussah wie in Kanada. Und Gerda liebte Kanada. Für die Seeumrundung hatte sie sich in einem kleinen Trachtengeschäft in Bad Aussee neue Stiefel gekauft.

In vielen der Szenen passiert etwas Absurdes: der Madrider Torero wird vom Stier auf die Spitze des Kirchturms geschleudert, in Sizilien wird die Lava des Ätna umgeleitet, um eine Landbrücke nach Afrika zu bauen. Und aus dem Ausseer See taucht eine Art Wasser-Marienerscheinung auf, die Gerdas neue Stiefel verlangt, sodass sie barfuß weiterwandern muss.

Ein Förster hatte ihr angeboten, sie im Jeep mit in den Ort zu nehmen. Doch Gerda wusste bereits, dass Müßiggang aller Psychologie Anfang war, und ging weiter.

Nicht nur Kulisse

Die Ortswechsel sind nicht einfach nur Kulisse. Margit Mössmer kann offensichtliche viele Sprachen und Tonalitäten verschiedener Länder erfassen. Mittels Sprachfetzen der jeweiligen Landessprache oder des jeweiligen österreichischen Dialekts und mit Beschreibungen der Personen und Orte kreiert sie an jedem neuen Ort eine andere Atmosphäre und eine andere Gerda. Damit ändert sich auch die Grundstimmung der Szene, die kann von nachdenklich über traurig bis komisch oder sarkastisch reichen.

Gerda ist nicht nur scheinbar überall (gewesen), sie ist auch immer und damit zeitlich-biografisch nicht stimmig: mal ist sie ein Kind, mal eine junge oder ältere alte Dame – ohne dass die Zeit der Umgebung merkbar wechselt.

Konstante Kunst

Junge Frau mit auffälliger Brille und Bluse

Edition Atelier

Margit Mössmer

Eine Konstante dafür, die immer wieder auftaucht in den Gerdageschichten ist das Thema Kunst im weitesten Sinne: im Atelier, auf der Vernissage, Verliebtsein in Künstler, sich lustig machen über Kunst. Dabei zeichnet Margit Mössmer immer schöne Bilder, die ins Surrealistische übergehen:

Sie waren beide vor Wolfgang Holleghas Vögel gestanden, als die Vögel im Bild plötzlich unruhig wurden und ihren Platz verlassen wollten. Sie flogen einige Meter aus der Leinwand, flatterten heftig herum und wurden schließlich von den dicken Farbfäden, die sich über Garys und Gerdas Kopf verworren hatten, wieder zurück ins Bild gezogen. Beim Schnalzer, den es machte, als sie wieder an Ort und Stelle festsaßen, klatschte derart Farbe in den Ausstellungsraum, dass Gerda blaue, grüne, rote türkisfarbene und braune Flecken auf ihrem Wollpulli hatte.

"Die Sprachlosigkeit der Fische" von Margit Mössmer ist 2015 in der edition atelier erschienen.

Es gibt keinen roten Faden, keine "Story", wenn man so will, die auf einen Höhepunkt hinarbeitet. Es wird nichts erklärt, nichts aufgelöst. In dem Sinne ist "Die Sprachlosigkeit der Fische" wohl nichts für FreundInnen der zielstrebigen Erzählweise. Aber etwas für FreundInnen von schrägen Szenerien und ständig wechselnden Gegebenheiten. Und natürlich für WeltenbummlerInnen.