Erstellt am: 21. 3. 2015 - 11:00 Uhr
Dieser Kelch ist an Berlin vorübergegangen
Als am Montag Abend die Entscheidung bekannt gegeben wurde, dass nicht Berlin, sondern Hamburg sich für die Olympischen Sommerspiele 2024 bewerben wird, entfuhr vielen BerlinerInnen der Stoßseufzer: Ein Glück, wir sind noch einmal davon gekommen! Keine neuen nervigen Werbeaktionen, keine Großprojekte, kein Geld, dass in weiteren Baugruben versickert, während es woanders dringend gebraucht wird.
Aber was die einen mit Erleichterung aufnahmen, war für andere, zum Beispiel die Berliner Lokalpolitik, eine Ohrfeige.
Wir wollen die Spiele. Berlin für Olympia
Und in den Tagen nach dem Olympia-Debakel begab man sich auf Fehlersuche: Warum nur, warum? Berlin ist doch weltweit bekannter und beliebter als Hamburg. Berlin ist eine Sportstadt, hier stehen schon alle Stadien. Die Menschen hier sind sportbegeistert, stehen sich während des jährlichen Marathons die Beine platt, um am Straßenrand die LäuferInnen und Skaterinnen anzufeuern. Bei der Fußball WM – voll die gute Stimmung in Berlin! Fanmeile, Sommermärchen! Hotelzimmer sind auch schon genug vorhanden.
Was hat denn Hamburg, was wir nicht haben? Fischmarkt, Reeperbahn, St. Pauli, Hafen – das kann es doch nicht gewesen sein?
Hamburg hatte sich mit einem Konzept der kurzen Wege und zentralen Wettkampfstätten beworben, und für Olympia 2014 auf einen Mix aus hanseatischer Bodenständigkeit und maritimem Flair gesetzt. Ein Fest "frei von jedem Gigantismus" hatte der Hamburger Bürgermeister versprochen. Auf einer Industriefläche des Hafens soll das Herz des Olympiageländes mit dem Olympiastadion für 70.000 Zuschauer entstehen, das Athletendorf gleich nebenan.
Lag es vielleicht am Slogan?
Spiele in Hamburg
Berlin warb mit der bloßen Behauptung: "Wir wollen die Spiele", während Hamburg mit "Feuer und Flamme" mehr Begeisterung zeigte.
In Berlin kennt man diesen Slogan nur von Demos aus dem schwarzen Block, dort wird immer gerne lautstark skandiert: Feuer und Flamme für diesen Staat!
Ist es die Schuld der NOlympia-AktivistInnen, dass Berlin aus dem Rennen ist? Bislang hatte die Bewegung doch kaum Zulauf erfahren.
Aber dass Berlin, ganz abgesehen von den Nazi-Spielen im Jahr 1936, kein gutes Pflaster für Olympische Spiele ist, hatte der Berliner Senat schon 1992/93 leidvoll erfahren müssen.
Schon bald nach dem Mauerfall 1989 hatte man mit der Planung begonnen, West- und Ostberlin sollten sich gemeinsam für die Olympischen Spiele 2000 bewerben.
Die Bewerbung war geprägt von hausgemachten Pleiten und Pannen; bis heute im Gedächtnis sind die geplanten Sex-Dossiers über IOC-Mitglieder geblieben. Das Hauptproblem war der Senat unter dem damaligen Bürgermeister Eberhard Diepgen. Er diffamierte sämtliche Olympia-KritikerInnen als "Anti-Berliner", die Polizei war angewiesen hart durchzugreifen, ging mit Gummiknüppeln auf eine Fahrraddemo los, so dass die Gewaltbereitschaft auch auf Demonstrantenseite wuchs.
Autos mit Olympia-Werbung wurden abgefackelt, Brandanschläge verübt, aber auch 10.000 friedliche OlympiagegnerInnen gingen in der 1993 auf die Straße. Eines ihrer Argumente: Berlin habe wenige Jahre nach der Wiedervereinigung wichtigere Aufgaben als die Ausrichtung der Olympischen Spiele. Das sah man auch beim IOC ein, und der Zuschlag für Olympia 2000 ging nach Sydney.
Vor dem krawallfreudigen Berlin haben die Olympiafunktionäre natürlich Angst.
metronaut.de
Eine Telefonumfrage hatte in Hamburg 64% Zustimmung der Bevölkerung, in Berlin aber nur 52 % ergeben. Ob die Hamburger BürgerInnen bei der nächsten Hürde, der amtlichen Bürgerbefragung, dann mehrheitlich pro Olympia abstimmen, weiß man allerdings nicht.
Wir BerlinerInnen sind jedenfalls fein raus.
Berlin braucht sozialen Wohnungsbau und kein olympisches Dorf – das ist die vorherrschende Stimmungslage vieler BerlinerInnen. Und auch die Sportfans wissen, dass Olympia mit einer Sportförderung für die breite Bevölkerung nichts zu tun hat.
Die Chancen für Olympische Spiele in Deutschland sind mit dem Votum für Hamburg nicht größer geworden, denn die Hansestadt tritt gegen die Mitbewerber Rom, Paris und Boston an.
Wünschen wir den Hamburger Nachbarn, dass dieser Kelch auch an ihnen vorüber geht.