Erstellt am: 21. 3. 2015 - 12:07 Uhr
Fanmomente
Diagonale
Festival des österreichischen Films.
Graz, 17.-22. März 2014
Tägliche Berichterstattung aus Graz im Diagonale Tagebuch auf fm4.orf.at und auf orf.at/diagonale
On demand und zum Nachhören bei 7 Tage FM4: Die Sondersendung zum Filmfestival von Donnerstag, 19. März, in einer FM4 Homebase Spezial.
In der Früh ist der Mensch sensibler. In den frühen Vormittagsvorstellungen bei der Diagonale in Graz aber geht es durchaus heftig zu. Unmittelbar nach der Vorführung von Peter Kerns neuem Film "Der letzte Sommer der Reichen" begegneten BesucherInnen dem Filmemacher mit Ablehnung und Empörung. Peter Kern präsentiert eine Satire auf die Konsumgesesellschaft, die einen berauscht.
Beim Publikumsgespräch anschließend an die Österreich-Premiere des Films sei die Stimmung ungut gewesen, erzählt eine Freundin. Klar ist Kerns überhöhte und surreale Zuspitzung gesellschaftlicher Verhältnisse keine liebliche Angelegenheit, obendrauf legt Kern eine gehörige Portion Zynismus. Es gibt explizite Sex- und Bordellszenen, die nichts mit Liebe zu tun haben. Zu polarisieren, das ist Kerns Werk immanent. Der Fanblock freut sich, Neulinge schließen sich unmittelbar dem Fanblock an oder sind verstört. Nachdem beide Seiten zu persönlich wurden, gelang schließlich doch ein Publikumsgespräch.
Peter Roehsler / Nanookfilm
Was ist dein Heureka-Moment aller bisherigen Diagonalen?
Die Diagonale ist ein Anknüpfungspunkt und eine Drehscheibe. Ob dicht gedrängt in Foyers vor Saaleinlass, beim Publikums- oder Werkstattgesprächen oder zufällig in einem nahen Café - in der Diagonale-Woche ist die Begeisterung für das bewegte Bild überbordend. Florian Flicker sehe ich noch vor mir, wie er 2007 im Schubertkino frühe Arbeiten zeigte und über seinen Zugang zum Filmemachen sprach. Einer der gezeigten Kurzfilme war drei Minuten Super 8, Blick auf Füße, die an einem Hafen laufen. "Lauf, lauf... Lebenslauf".
Am 23. August 2014 ist der wunderbare Filmemacher Florian Flicker gestorben.
Es ist Florian Flickers Spielfilm "Der Überfall", den mir ein Grazer Theaterregisseur als persönlichen Heureka-Film aller Diagonalen nennt. Welcher Film war das für dich?
Stefan Oláh
Glawogger und Ostrowski
Zum Nachhören: FM4-Filmspezialist Markus Keuschnigg hat sich mit Mona Willi über die Arbeit an "Untitled" unterhalten.
Erinnert wird heute an den großen Dokumentarfilmer Michael Glawogger, der auch Spielfilme realisiert hat. Am 22. April 2014 starb er in Liberia, wo er für seinen Reisefilm "Untitled" gedreht hatte. Mona Willi, Cutterin und langjährige Mitarbeiterin in Glawoggers Team, wird bei der Diagonale Fragmente aus diesem Filmprojekt zeigen.
Tommy Pridnig
Wie "Untitled. Der Film ohne Namen" soll ein weiteres Projekt Glawoggers doch den Weg zu einem Publikum finden. Mit "Nacktschnecken" und "Contact High" verband den Schauspieler Michael Ostrowski eine Freundschaft und Zusammenarbeit mit Michael Glawogger und so will Ostrowski nun die geplante Trilogie zu Sex, Drugs und Rock'n'Roll mit "Hotel Rock'n'Roll" abschließen. Es wird Michael Ostrowskis Regiedebüt, Co-Regie wird Michael Köpping führen und vor der Kamera dabei werden Pia Hierzegger, Gerald Votava, Detlev Buck, Hilde Dalik und Georg Friedrich sein. Sowie Ostrowski selbst.
In Graz ist Michael Ostrowski jener Star der heimischen Film- und Serienproduktionen, der um gemeinsame Selfies gebeten wird. Offensichtlichere Fanmomente waren bislang nicht zu beobachten. Doch es gäbe ja auch schüchterne Menschen, weiß die französische Regisseurin Mia Hansen-Løve gestern in Graz, als bei der Österreich-Premiere ihres Films "Eden" niemand aus dem Publikum im Saal eine Frage stellt.
Über die Zeit und das Leben
Sehr sympathisch und persönlich erzählt Mia Hansen-Løve im Werkstattgespräch über ihre Arbeit und über ihre Obsession mit der Geschwindigkeit des Vergehens von Zeit Anfang Zwanzig. Sie kam sich alt vor und ihre Mutter zog sie dafür liebevoll auf. Heute fühle sie sich jünger als damals, sagt Hansen-Løve, die unter den wenigen Frauen ist, die als RegisseurInnen tatsächlich Aufmerksamkeit für ihre Arbeit bekommen. Mit 34 Jahren bereits eine "Retrospektive" bei einem Festival gewidmet zu bekommen wäre auch ein Grund, sich alt zu fühlen. "My films are all about life. There is no other, in my way".
Abends sind die Vorstellungen ausverkauft. Hat man noch eine Karte ergattert und betritt den beinahe vollbesetzten Kinosaal, sind Freunde schwer auszumachen. Beliebt dieses Jahr ist, kurzum laut Hallo und den Namen des Freundes zu rufen. Auf dass jemand freudig winkt.
ORF / A.R.T. Produktion
Binge-Watching einer Serie im Kino ist eine Neuigkeit. Noch dazu, wo es sich um keine US-amerikanische Produktion frisch aus dem Netz gefischt handelt, sondern um eine Fernsehserie aus den Siebziger Jahren. Alle achtzehn Episoden von "Draußen in der Stadt" waren bei der Diagonale zu sehen, von nun digitalisierter Folge zu Folge wurde es psychedelischer. Wer sich eine "Staffel", wenn man so will, angeschaut hat, ging in den nächsten Teil. Die Serie stammt von Günter Brödl, der im Jahr 2000 im Alter von 45 Jahren gestorben ist. Er hat Theater- und Drehbücher geschrieben und war der Texter aller Ostbahn-Kurti-Songs. Nachdem Mirjam Unger und Gerald Votava diesen Serien-Schatz aus dem Archiv gehoben haben, wäre es wünschenswert, wenn "Draußen in der Stadt" auch nochmal im Fernsehen liefe.
Liebe und Kampf
Für die heutige Spätvorstellung noch eine Empfehlung: Olya’s Love ist eine persönliche, direkte Doku über lesbische Liebe unter Putin. Berührend, kämpferisch und sehenswert.
Soleil Film
Proteste, bei denen Fremde auf DemonstrantInnenen zurennen und sie ins Gesicht schlagen: 2013 hat Putin ein Gesetz verabschiedet, das so genannte "homosexuelle Propaganda vor Minderjährigen oder über Medien" unter Strafe stellt. Es ist ein Freibrief auf Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen. Olya ist Schülerin und lebt mit ihrer Freundin zusammen. Sie ist eine Aktivistin für ein selbstbestimmtes Leben, persönliche Freiheit und ihre Liebe im heutigen Russland. Wie sehr dieser Kampf an die Substanz geht und dass ein Stempel ein Tool zum Widerstand sein kann, zeigt "Olya's Love" in knapp über einer Stunde. Koproduziert wurde die Doku von Österreichern, darum läuft sie auf der Diagonale.
Soleil Film
Finale mit dem Sofa Surfers DJ-Team
Morgen gibt es auch noch Programm bei der Diagonale, doch nach dem Preisregen abends mit dem Abschlussfest ab 23.00 Uhr und den Sofa Surfers als DJ-Team im Orpheum endet der Partypart der Diagonale.